Professor Dr. med. Ulrich Schultz-Venrath
Nach 20 Jahren beendet er Tätigkeit am EVK

Abschied vom Chefarzt Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Von links Aufsichtsratsvorsitzender Norbert Lenke, Professor Dr. Ulrich Schultz-Venrath, Geschäftsführer Dr. Harald Januschewski, Beatrix Rey (Koordination Selbsthilfegruppen) und Chefärztin Veronika Friedel. | Foto: Klinkhammels
  • Abschied vom Chefarzt Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Von links Aufsichtsratsvorsitzender Norbert Lenke, Professor Dr. Ulrich Schultz-Venrath, Geschäftsführer Dr. Harald Januschewski, Beatrix Rey (Koordination Selbsthilfegruppen) und Chefärztin Veronika Friedel.
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Bergisch Gladbach - Nach 20 Jahren beendet Professor Dr. med. Ulrich Schultz-Venrath seine
Tätigkeit als Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach.

Doch von „Ruhestand“ ist bei dem neugierigen und tatendurstigen
Psychosomatiker und Psychotherapeuten nichts zu spüren. Er bleibt
seinem Fachgebiet treu und sein nächstes Buch steht kurz vor der
Veröffentlichung. Seine Bilanz über seine Zeit am EVK fällt positiv
aus.

„Ich bin stolz auf mein hochqualifiziertes und motiviertes Team
und ich bin der Geschäftsführung dankbar, dass sie mich weitgehend
so hat wirken lassen, wie sie es getan hat.“
Die Feierstunde zur
Verabschiedung fand jetzt im festlichen Rahmen statt.

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Als Prof. Ulrich Schultz-Venrath 1999 ans EVK kam und die Klinik für
Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik wirklich aus dem Nichts
aufbauen sollte, konnte er viele seiner architektonischen Ideen und
klinischen Konzepte umsetzen. Schritt für Schritt wurde zunächst aus
einer Psychotherapiestation neben der Kardiologie und der Tagesklinik
durch den Umbau eines Pflegewohnheims die heutige Klinik und
Tagesklinik.

Für die Patienten mit den gravierendsten Störungsbildern wurden die
schönsten Räume eingerichtet. So fängt die Station P3 für akut
psychisch Kranke, die geschützt untergebracht werden müssen, das
Sonnenlicht von allen Seiten ein. Das habe er „von der
Intensivstation des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke abgeguckt“,
so Prof. Schultz-Venrath, der auch bei allen übrigen Stationen
auf eine gelungene Wohlfühlatmosphäre großen Wert legte.

In konzeptioneller Hinsicht verfolgte er das Ziel, Patientengruppen
störungsspezifischen Stationen zuzuordnen, „damit sich die
behandelnden Teams bei relativ homogenen Krankheitsbildern
hinsichtlich Diagnostik und Therapie sicherer fühlen“,
so der
scheidende Chefarzt. Die so erreichte Homogenität, die immer noch mit
einer großen Vielfalt innerhalb dieser Patientengruppen einhergehe,
helfe dabei, den Einsatz von Zeit und Personal ökonomischer zu
nutzen.

Das Behandlungskonzept umfasst neben mentalisierungsbasierten
Gruppentherapien und psychodynamischen Psychotherapien Kunst-,
Körper-, Musik-, Reit- und Sozialtherapie in unterschiedlicher
Dosierung auf den verschiedenen Stationen.

„Mir war es immer wichtig, ein möglichst hohes
psychotherapeutisches Niveau zu realisieren und wissenschaftlich
bestens belegte psychotherapeutische Methoden und Verfahren
einzusetzen“,
so Prof. Schultz-Venrath. Einen wichtigen Baustein
bildete hierbei das „Mentalization-based treatment“, kurz MBT, in
Einzel- und Gruppentherapien, das für Patienten mit
Persönlichkeitsstörungen an einer Tagesklinik in London entwickelt
wurde, sich inzwischen aber auch für andere psychische und
psychosomatische Störungen sehr bewährt hat.

Erstmals kam Prof. Schultz-Venrath mit dieser Methode in Kontakt,
nachdem er für seine Habilitationsschrift zur ersten
Psychoanalytischen Klinik Sanatorium Schloss Tegel 1994 den
DPV-Nachwuchspreis zuerkannt bekam, und dadurch zur Research Summer
School von Peter Fonagy in London eingeladen wurde.

Gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe um die Londoner Psychotherapeuten
Peter Fonagy und Anthony Bateman entwickelte Prof. Schultz-Venrath in
Deutschland das Konzept weiter und machte es hierzulande populär.
Hierzu trug wesentlich sein Grundlagenwerk „Lehrbuch
Mentalisieren“ bei, das vor der vierten Auflage steht.

Unter „Mentalisieren“ versteht man die Fähigkeit, psychische
Zustände von sich und anderen Menschen gleichzeitig und gleichwertig
wahrzunehmen und zu interpretieren, also nicht nur ein Bewusstsein
für die eigenen Wünsche, Ziele, Träume, Ängste und Hoffnungen zu
haben, sondern ebenso zu erfassen, was andere Menschen fühlen und
denken. Das Fundament für die Fähigkeit zu mentalisieren wird in
frühester Kindheit gelegt.

Am EVK wird diese Therapie, die psychodynamische und
verhaltenstherapeutische Element integriert, bevorzugt in der
Tagesklinik und auf den Psychotherapiestationen P1, P1D und P2 bei
Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, aber auch entaktualisierten
Psychosen und bei Patienten mit Depressionen, Angst- und
Somatisierungsstörungen erfolgreich angewandt.

Um die Behandlungsqualität psychisch und psychosomatisch Kranker
nicht nur am EVK, sondern darüber hinaus zu verbessern, verfolgt
Prof. Schultz-Venrath auch versorgungspolitische Ziele. So sieht er in
der Gründung eines Gruppenpsychotherapeutischen Instituts, das vor
allem die Ärzte und Psychologen in Kliniken weiterbildet und
möglichst mit der Universität Witten/Herdecke verbunden bleibt,
einen großen Bedarf.

Er ist überzeugter Vertreter dieser Therapieform, weil sie
nachweislich gegenüber anderen Therapiemethoden die höchste
Effektstärke hat, langfristig wirksam ist und gleichzeitig
kostengünstig ist.

So beschloss der Deutsche Ärztetag in Erfurt im vorigen Jahr in einer
Musterweiterbildungsordnung, dass sich alle Assistenzärzte in den
sogenannten P-Fächern (Psychosomatik, Psychiatrie und Kinder- und
Jugendpsychiatrie) in Gruppenpsychotherapie weiterbilden müssen.

„Anfangs werden häufig Ängste gegenüber dem Vorschlag einer
Gruppenpsychotherapie geäußert, am Ende stellt man als Therapeut
erstaunt fest, dass kaum einer der Patienten mehr die Gruppe verlassen
mag“,
so Prof. Schultz-Venrath. Gruppenpsychotherapien könnten
darüber hinaus sowohl der Vereinzelung als auch den aktuellen
gesellschaftlichen Spaltungstendenzen entgegenwirken.

Dennoch werden bisher nur 1,7 Prozent aller im Richtlinienverfahren
beantragten Psychotherapien als Gruppenpsychotherapie ambulant
durchgeführt, kritisiert Prof. Schultz-Venrath, wobei dieser Anteil
durch eine inzwischen bessere Bezahlung vermutlich etwas gestiegen
ist.

Er kennt die Gründe: „Zum einen müssten mehr Psychotherapeuten
für eine gruppenanalytische Ausbildung gewonnen werden. Zum anderen
wollen niedergelassene Therapeuten nicht neun oder zehn Anträge für
jeden einzelnen Patienten schreiben, um die Finanzierung
gewährleistet zu bekommen.“ 
Diese müssten sie aber
anfertigen, denn für jeden einzelnen Patienten pro Gruppe ist ein
solches Schriftstück einzureichen

Prof. Schultz-Venrath fordert aus diesem Grund, die Gutachterpflicht
für Gruppenpsychotherapien abzuschaffen, damit diese ohne
Antragsverfahren beginnen können. „Dies würde die Wartezeiten
für Patienten erheblich verkürzen und gleichzeitig die häufigen
Brüche zwischen stationärer und ambulanter Behandlung vermeiden
helfen.“

Als überzeugter Vertreter seines Faches plädiert Prof.
Schultz-Venrath dafür, dass Patienten sowohl in Krankenhäusern als
auch in Arztpraxen viel häufiger als bislang nicht nur auf ihre
körperlichen Beschwerden hin untersucht, sondern auch in
psychosomatisch-psychotherapeutischer Hinsicht diagnostiziert werden.

„In vielen, vermeintlich rein somatischen Fällen könnte hier
sehr geholfen werden“,
so Prof. Schultz-Venrath, der auf eine
aktuelle Veröffentlichung der Universitätsklinik Heidelberg
verweist, wonach im Grunde genommen in jeder Hausarztpraxis ebenfalls
ein Psychosomatiker oder psychologischer Psychotherapeut tätig sein
sollte.

Für die Zeit nach dem EVK ist der Termin- und Projektkalender von
Prof. Schultz-Venrath gut gefüllt. Er habe etliche Anfragen von
Kliniken aus ganz Deutschland, die das MBT-Verfahren bei sich
einführen möchten und um entsprechende Unterstützung gebeten haben.

Prof. Schultz-Venrath ist Herausgeber der Reihe „Mentalisieren in
Klinik und Praxis“ des Klett-Cotta-Verlags und auch als Autor
tätig. 2019 wird sein Buch über „Mentalisieren bei
Somatisierungsstörungen“ erscheinen. Außerdem hat sich Prof.
Schultz-Venrath vorgenommen, endlich den einen oder anderen Titel
selbst zu lesen, den ihm seine Frau, eine anerkannte Vielleserin,
dringend empfohlen hat.

Und es gilt, gemeinsam mit ihr, Konzerte zu genießen, Museen zu
besuchen und Europa zu entdecken. Für den Sommer ist eine Reise zum
Peloponnes geplant. Daneben möchte Prof. Schultz-Venrath mehr Zeit
mit seinen (bislang) drei Enkeln verbringen.

- Robert Schäfer

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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