Wieviel Wald braucht die Erde?
Forscher der Uni Bonn melden sich zu Wort
Bonn - (red) Anfang Juli machte eine Studie in der Fachzeitschrift Science
weltweit Schlagzeilen: Die Erde könnte demnach 4,4 Milliarden Hektar
Wald tragen, 900 Millionen mehr als heute. Durch Wiederaufforstung
ließen sich daher 205 Gigatonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre
entfernen und der Klimawandel effektiv bremsen. Wissenschaftler der
Universität Bonn sowie von World Agroforestry halten diese Zahlen
für weit übertrieben: Ihnen zufolge basieren sie auf stark
vereinfachten oder fragwürdigen Annahmen. Ihre Replik erschien
ebenfalls in der Zeitschrift Science.
Die Studie, um die es geht, basiert auf einer Simulation von
Wissenschaftlern der ETH Zürich. Diese hatten untersucht, wie viel
Wald es theoretisch auf der Erde geben könnte, wenn man die Bereiche
abzieht, die von Menschen bewohnt oder bewirtschaftet werden. Dazu
hatten sie sich Naturschutzgebiete rund um den Globus angesehen –
also Regionen, die weitgehend dem Einfluss des Menschen entzogen sind.
Bei jedem dieser Gebiete hatten die Forscher geschaut, in welchem Maß
es von Wald bedeckt ist. Zusätzlich hatten sie verschiedene
Standortfaktoren berücksichtigt, etwa Jahresdurchschnittstemperatur,
Bodenbeschaffenheit oder Niederschlagsmenge. Mit diesen Werten hatten
sie dann eine lernfähige Computersoftware gefüttert. Nach einer
Trainingsphase konnte das Programm dann auch für beliebige andere
Gebiete vorhersagen, welche Waldbedeckung dort möglich wäre.
Ergebnis: Die Erde könnte 4,4 Milliarden Hektar Wald tragen, also 900
Millionen Hektar oder gut 25 Prozent mehr als heute.
Wald im Permafrost der Tundra?
Die Wissenschaftler der Universität Bonn sowie von World Agroforestry
zweifeln diese Zahl jedoch an: „Das Modell ist viel zu
undifferenziert“, kritisiert Prof. Dr. Eike Lüdeling vom Institut
für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz der Universität
Bonn. Unter anderem gehen lediglich drei Bodenparameter in die Analyse
ein – viel zu wenig, um den Unterschieden in bodenkundlichen
Ertragspotenzialen Rechnung zu tragen. Zudem sind die Böden in vielen
der heute waldfreien Gebiete erodiert oder andersartig degradiert, was
den Erfolg von Wiederaufforstungen deutlich einschränkt.
Ähnlich sieht es mit klimatischen Faktoren aus: So berücksichtigt
die Software zwar die Jahresdurchschnitts-, nicht aber die niedrigste
und höchste Temperatur eines Orts. „Als Folge sieht die Studie zum
Beispiel erhebliches Wiederaufforstungs-Potenzial in der Tundra“,
erklärt Lüdelings Kollegin Dr. Katja Schiffers. „Dort herrscht
aber vielerorts Permafrost: Der Boden taut auch im Sommer nur
oberflächlich auf. Unter diesen Bedingungen ist keine bedeutende
Steigerung der Baumbedeckung möglich.“
Auf Ungereimtheiten gestoßen.
Auch an anderen Punkten sind die Wissenschaftler auf Ungereimtheiten
gestoßen. So werteten die ETH-Forscher auch Weideland, das momentan
für die Viehhaltung genutzt wird, als potenzielle
Wiederaufforstungs-Flächen. Das gleiche galt für Dörfer, kleinere
Ansiedlungen und selbst für manche Millionenstädte wie etwa
Kinshasa, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. „In den
Gebieten, die die Studie für eine Wiederbewaldung vorschlägt, leben
rund 2,5 Milliarden Menschen“, sagt Lüdeling. „Es ist sehr
fraglich, ob diese Regionen wirklich geeignet sind.“
Kritisch sehen die Forscher auch die Angaben zum Potenzial der neu
gepflanzten Bäume, zusätzliches Kohlendioxid zu binden. „Die
Rechenmethode unterschlägt zum Beispiel, dass auch Weideland oder
Ackerflächen große Mengen CO2 enthalten“, sagt der Bonner
Wissenschaftler. Die berechneten gut 200 Gigatonnen Klimagas, die sich
durch Wiederaufforstung aus der Atmosphäre entfernen ließen, hält
er daher für erheblich zu hoch gegriffen. „20 bis 30 Gigatonnen
halte ich für realistischer.“
Dabei begrüßt er grundsätzlich die Idee, Flächen zu renaturieren,
wo immer es möglich ist – schon weil die Ökosysteme davon enorm
profitierten. Schnelle Brems-Effekte für die globale Erwärmung seien
davon aber nicht zu erwarten. Denn es dauert mehrere Jahrzehnte, bis
ein Wald herangewachsen ist. Abgeholzte Regenwaldgebiete lassen sich
manchmal gar nicht wiederherstellen: Zu groß sind die Auswirkungen
der Entwaldung auf das lokale Klima, zu nährstoffarm die dortigen
Standorte.
Dass Wiederaufforstung der Atmosphäre Kohlendioxid entzieht, ist
allerdings unumstritten. Dabei handelt es sich aber um einen
Einmal-Effekt – sobald die letzte Fläche wieder dicht bewaldet ist,
ist es damit vorbei. Lüdeling: „Die Wiederaufforstung kauft uns
Zeit, die wir bitter benötigen. Sie kann aber nur ein Baustein in
einer umfassenden Handlungsstrategie zur Vermeidung des Klimawandels
sein.“
Publikation: Eike Luedeling, Jan Börner, Wulf Amelung, Katja
Schiffers, Keith Shepherd und Todd Rosenstock: Forest restoration:
Overlooked constraints. Science, DOI:
dx.doi.org/10.1126/science.aay7988
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.