Was macht eigentlich ein Schöffe?
Juristen schätzen den Beitrag der Laienrichter

„Der Einsatz und das Engagement der Schöffinnen und Schöffen ist gar nicht hoch genug zu bewerten“ – so das Fazit vom Dr. Tobias Gülich, Richter am Landgericht Bonn. | Foto: Justiz NRW
  • „Der Einsatz und das Engagement der Schöffinnen und Schöffen ist gar nicht hoch genug zu bewerten“ – so das Fazit vom Dr. Tobias Gülich, Richter am Landgericht Bonn.
  • Foto: Justiz NRW
  • hochgeladen von RAG - Redaktion

Region - „Frage nicht, was dein Land für dich, sondern was du für dein Land
tun kannst.“ Von John F. Kennedys Schulmeister stammt dieses Zitat,
und auch für den Wormersdorfer Wolfgang Paulowicz ist dies zu einem
persönlichen Leitthema geworden. Insbesondere nach dem Eintritt in
den Ruhestand war für den heute 71jährigen Ex-Soldaten klar, sich
ehrenamtlich zu engagieren. Seit fünf Jahren ist er als Schiedsmann
für die Stadt Rheinbach tätig, fast genauso lange fungiert er als
Sprecher des Flüchtlingshelferkreises im Tomburg-Ortsteil. Seit
Anfang letzten Jahres ist er zudem Schöffe am Landgericht Bonn.

Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff „Schöffe“?
Ehrenamtliche Richter, wie die Schöffen auch genannt werden, bringen
ihre Lebenserfahrung, ihre außergerichtliche Perspektive, in die
Prozesse bei Gericht ein und gestalten so den Rechtsstaat mit. Sie
haben das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter und entscheiden mit
diesen gemeinsam. Ihre Amtszeit beträgt jeweils fünf Jahre; sie
werden von den Städten und Gemeinden den jeweiligen Gerichten
vorgeschlagen.

Doch jeder kann sich bewerben, der zwischen 25 und 69 Jahre alt ist,
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und die deutsche Sprache
beherrscht. Juristische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, um
dieses Ehrenamt zu übernehmen. 250 Erwachsenenhauptschöffen und 66
Jugendhauptschöffen stehen dem Landgericht Bonn für die
Schöffenperiode 2019 -2023 zur Verfügung; davon kommen sieben
Erwachsenenhauptschöffen aus Rheinbach, sechs aus Meckenheim und je
fünf aus Swisttal und Wachtberg.

„Es ist eine interessante Tätigkeit mit oft komplexen Themen“, so
die ersten Erfahrungen von Paulowicz, der an einer kleinen Strafkammer
(ein Berufsrichter, zwei Schöffen) des Landgerichtes Bonn sein
Ehrenamt ausübt. Im Durchschnitt ist es ein ganzer Tag im Monat, den
er für dieses Amt aufwendet, doch es kann auch sehr schnell zeitlich
einmal mehr werden, wenn mehrere Verhandlungstage (weitere
Zeugenvernehmungen, Ortstermin) erforderlich sind. Und es sind die
unterschiedlichsten Straftaten, über die verhandelt wird –
Körperverletzungen, Drogendelikte, Schwarzfahrer, Häusliche Gewalt,
Betrug, um nur einige zu nennen.

Die Schöffen dürfen und sollen sich auch in den Prozess einbringen,
Fragen stellen, und bei der Festlegung des Urteils – wenn sich
Richter und Schöffen bei einer Unterbrechung des Prozesses beraten -
ihren Blickwinkel zu dem Fall einbringen. Denn sie haben genauso viel
Verantwortung für das Strafmaß wie der Berufsrichter. Und bei einer
kleinen Strafkammer können die beiden Schöffen sogar den
Berufsrichter überstimmen. Doch die Regel ist: Es kommt fast immer zu
einer Einigung hinter verschlossener Türe. Paulowicz: „Wir sind
alle dem Recht verpflichtet und wurden auch vereidigt. Wir tragen
Verantwortung für unsere Entscheidungen. Auch gegenüber dem
Angeklagten, über die Höhe des Strafmaßes, über die Frage, ob
Bewährung gegeben wird. Aber es gibt schon Delikte, die mich stärker
berühren – zum Beispiel, wenn es um Kinder geht. Bei solchen
Straftaten plädiere ich schon dafür, den verfügbaren gesetzlichen
Rahmen bei der Festlegung des Urteils auch auszunutzen“.

Während Paulowicz selbst seine Bewerbung für das Schöffenamt
einreichte und aus Altersgründen in 2023 nicht wiedergewählt werden
kann, wurde der Meckenheimer Wilfried Wieland (67) von der
CDU-Fraktion für dieses Ehrenamt vorgeschlagen. Zehn Jahre lang –
von 2009 an – wirkte er als ehrenamtlicher Richter am Landgericht
Bonn mit. „Rund 10 bis 15 Prozesse waren es pro Jahr, an denen ich
mitgewirkt habe“, so der ehemalige Personalleiter der LVR-Fachklinik
für Psychiatrie und Psychotherapie in Düren mit über 1.200
Beschäftigten. Auch hier waren es Themen wie Betrug,
Drogenbeschaffung, Körperverletzungen und auch versuchter Totschlag,
die vor Gericht unter seiner Teilnahme verhandelt wurden. Doch auch
bei einem Prozess zu den Betrügereien rund um das World Conference
Center in Bonn vor einer großen Strafkammer mit drei Berufsrichtern
und zwei Schöffen war Wieland beteiligt: „Da kamen nach eineinhalb
Jahren 54 Verhandlungstage zusammen“. Und so manchen Prozesstag nahm
Wieland in seiner „Schöffenzeit“ auch im „Kopf“ mit nach
Hause: „Es sind immer menschliche Schicksale, die vor Gericht
behandelt und dann auch entschieden werden. Dies stellt schon eine
Belastung dar“.

Seit zehn Jahren ist Monika Bobowk (63) ehrenamtliche Richterin beim
Verwaltungsgericht Köln. Sie kommt auf rund fünf Verhandlungstage im
Jahr, allerdings sind es an einem Tag bis zu fünf Verfahren, die hier
durchgeführt werden. Bei ihrer Strafkammer – drei Berufsrichter,
zwei Schöffen – geht es in erster Linie um Ausländerrecht.
Meistens wird hier gegen Entscheidungen der Ausländerbehörde der
Stadt Köln geklagt, werden Bescheide im asylrechtlichen Verfahren auf
ihre Rechtmäßigkeit geprüft. Ist die Ausweisung rechtmäßig, kann
sie zum jetzigen Zeitpunkt erfolgen, sprechen aktuelle Begebenheiten
im betreffenden Land dagegen, wird eine Duldung und eine Ausweisung zu
einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen, welchen Handlungsspielraum
gibt es –viele Fragen sind zu klären. Bobowk: „Auch beim
Verwaltungsgericht können sich die ehrenamtlichen Richter einbringen,
selber im Verfahren aktiv werden, Fragen stellen, in wichtigen Punkten
nachhaken“. Im internen Austausch mit den Berufsrichtern wird
anschließend die Entscheidung festgelegt. Und die Meinung der
Schöffen ist immer gefragt: „Das sind schon Gespräche auf
Augenhöhe“, betonen Bobowk, Wieland und Paulowicz übereinstimmend.

Dies unterstreicht auch Dr. Tobias Gülich, Richter am Landgericht
Bonn und dort auch Dezernent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
„Der Einsatz und das Engagement der Schöffinnen und Schöffen ist
gar nicht hoch genug zu bewerten. Es geht hierbei um Menschen, die
ehrenamtlich einen wichtigen Beitrag für die Rechtspflege leisten und
gleichberechtigt mit den Berufsrichtern verantwortungsvolle
Entscheidungen treffen müssen. Dies gilt insbesondere für die Frage
der Feststellung der Schuld eines Angeklagten und der Bestimmung einer
Strafe. Dies tun sie alles oft neben einer zeitaufwendigen und
anspruchsvollen eigenen Berufstätigkeit. Alle Schöffinnen und
Schöffen, die ich persönlich erlebt habe, üben dieses Amt mit
großem Einsatz und großer Freude aus“.

Dennoch wird gelegentlich die Kritik an Laienrichtern laut, wird ein
solches Verfahren nicht mehr als zeitgemäß bezeichnet. Gülich ist
da anderer Meinung: „Nach meiner persönlichen Erfahrung und auch
aus Gesprächen mit vielen Kolleginnen und Kollegen wird die
Beteiligung von Nichtjuristen an der Urteilsfindung sehr geschätzt.
Die Diskussion über - aus Juristensicht - vermeintlich klare Fälle
und der „Blick von außen“ tun der Rechtsfindung insgesamt gut.
Meines Erachtens sollte das Schöffensystem daher unbedingt erhalten
bleiben“.

- Peter Adolf

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

27 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.