Sommerinterview
Bürgermeister Volker Erner zu aktuellen Erftstädter Themen
Zum bereits dritten Sommerinterview war Erftstadts Bürgermeister
Volker Erner zu Gast beim Erftstadt-Anzeiger. Im Beisein von
Verlagsleiter Mario Fischer-Knop stellte er sich den Fragen von
Redakteurin Gabriele Rupprecht. Es geht unter anderem um die Stärkung
des Einzelhandels, die Schaffung preiswerten Wohnraums, den Kinder-
und Jugendförderplan und den Bahnhof in Liblar.
Der Einzelhandel klagt nach wie vor über Umsatzrückgänge.
Viele Geschäfte schließen, oft ist die Nachfolge ein Problem. Wie
fördert die Stadt den Einzelhandel?
Volker Erner: Wir arbeiten sehr eng mit den
Interessengemeinschaften zusammen. Wir haben zwei sehr vitale
Interessengemeinschaften. Da ist einmal die AHAG in Lechenich und zum
anderen die ISG in Liblar, die sich primär um das Einkaufscenter
kümmert. Wir geben auch gegenseitig Impulse. Wir treffen uns drei-
bis viermal im Jahr mit dem kompletten Vorstand der jeweiligen
Institutionen.
Welche Chancen bietet gerade der Online-Handel auch für den
Einzelhandel?
Erner: Das Thema Online-Handel haben wir gemeinsam angeschoben.
Viele Geschäfte haben Probleme, einen Nachfolger zu finden,
grundsätzliche Probleme, den Betrieb aufrecht zu erhalten und vieles
mehr. Deshalb bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass der
Einzelhandel sich hier zukunftsorientiert aufstellen und den Markt
auch auf dem Gebiet des Online-Handels für sich erschließen muss.
Dies können und wollen wir als Wirtschaftsförderung unterstützen.
Wir hatten bereits eine relativ gut besuchte Auftaktveranstaltung zu
diesem Thema vor anderthalb Jahren. Wir haben aktuell auch eine
professionell begleitete Befragung der Bürgerinnen und Bürger
gemeinsam mit den Interessengemeinschaften in Lechenich und Liblar
gemacht unter dem Stichwort „Vitale Innenstädte“, die an zwei
bestimmten Tagen bundesweit stattgefunden hat, sodass wir dann einen
Vergleich zumindest auch in der Region haben.
Welche Daten wurden da wie erhoben?
Erner: Über den Tag verteilt sind die Bürgerinnen und
Bürger nach ihren Befindlichkeiten und Wünschen befragt worden,
angefangen beim ÖPNV über verschmutzte Straßen, Warensortimente und
Öffnungszeiten - eben alles, was mit dem Thema ‚Einzelhandel‘ zu
tun hat. Die Ergebnisse kommen im Herbst. Ich gehe davon aus, dass wir
daraus neue Erkenntnisse gewinnen werden. Neue Erkenntnisse heißt
neue Ideen und damit auch neue Projekte. Ich denke, wir müssen eine
Menge tun, um die Attraktivität der Siedlungsschwerpunkte weiter
auszubauen und sicherzustellen.
Wie steht die Stadt zum Thema ‚Ladenschluss‘?
Erner: Ich hoffe inständig, auch als Wirtschaftsförderer,
dass wir eine neue gesetzliche Regelung bekommen, was das
Ladenschlussgesetz betrifft, dass es etwas gelockerter wird auch im
Sinne des Einzelhandels. Ich bin kein Feind von
Arbeitnehmerinstitutionen. Aber speziell in Lechenich haben wir
inhabergeführte Geschäfte und keine großen Ketten. Das war
letztlich auch auschlaggebendes Kriterium dafür, dass wir beim
Oberverwaltungsgericht in Münster höchstinstanzlich gewonnen haben,
was den Rechtsstreit mit Verdi zum Bürgerfest an Fronleichnam
betrifft.
Sind nach den zum Teil erfolgreichen - wenn auch nicht in
Erftstadt - Klagen weitere verkaufsoffene Sonntage in Gefahr?
Erner: Wir haben dieses Jahr noch den Oktobermarkt im
Einkaufscenter und den Weihnachtsmarkt in Lechenich. Das wollen wir
auf jeden Fall rechtskonform hinbekommen und sind sehr zuversichtlich.
Wir werden nach der Sommerpause die neue Verordnung über das
Offenhalten von Verkaufsstellen in die Gremien einbringen.
Das neue Parkhaus am Bahnhof in Liblar ist eröffnet. Wie geht
es weiter am Bahnhof?
Erner: Das Thema Bahnhof ist in den vergangenen Jahren absolut
positiv belegt. Ich kann zwar den Ärger einiger Bürger verstehen,
was die Parksituation angeht. Wir haben diese Probleme aber immer
offen und transparent kommuniziert. Wenn der Bahnhof fertig ist, wird
er ein Juwel für unsere Stadt. Ich übertreibe bewusst, weil ich so
überzeugt bin von diesem Projekt. Das wird eine tolle Visitenkarte
als Eintritt in die Stadt Erftstadt. Das Fahrradparkhaus wird jetzt
schon rege genutzt und in Zukunft rundum ausgelastet sein. Da wir die
Fördergelder in Höhe von 1,6 Millionen Euro bekommen haben, werden
wir gemeinsam mit dem NVR in den Ausbau der Parkplätze und des
Park&Ride-Platzes investieren. Wir werden die Bushaltestelle jetzt
wieder an den ursprünglich angedachten Platz verlegen. Das wird eine
spürbare Erleichterung für die Anwohner, weil durch die ganze
Abwicklung des Verkehrs viel Lärm auch teilweise bis tief in die
Nacht entstanden ist. Schön finde ich auch - vor allem im Hinblick
auf andere Städte - dass wir komplett im Zeitplan liegen. Das hat
auch daran gelegen, dass alle Beteiligten, die Deutsche Bahn, der NVR
und die Stadtverwaltung, ein Ziel hatten, Hand in Hand gearbeitet und
alle am gleichen Strang gezogen haben, und dann noch alle in die
gleiche Richtung.
Wann wird der Bahnhof komplett fertig?
Erner: Komplett fertig wird er im 1. Quartal 2018, spätestens
zum 2. Quartal.
Wie meistert die Stadt den Flüchtlingszustrom?
Erner: Dass wir zusammenstehen können, haben wir 2015
bewiesen, als im Sommer über 200 Flüchtlinge zu uns nach Erftstadt
gekommen sind. Das war für uns damals ein Kraftakt, den wir ganz
ordentlich gemeistert haben. Ich glaube, dass wir die Menschen gut
aufgenommen haben, das ist auch unsere christlich-soziale Pflicht.
Was tut die Stadt, um für alle Bürger bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen?
Erner: Wir haben ein Riesenproblem: Wir haben zurzeit knapp 800
Flüchtlinge hier, von denen wohnen 500 in städtischen Unterkünften
vorwiegend am Brabanter Weg und in der Radmacherstraße. 300 sind auf
dem freien Wohnungsmarkt untergebracht. Wir haben derzeit eine
komplette Unterdeckung beim freien Wohnungsmarkt. Wir brauchen
dringend nachhaltigen, bezahlbaren und sozial geförderten Wohnraum.
Die Verwaltung hat im Rat einen Grundlagenentwurf eingebracht, der es
der Politik ermöglicht hat, entsprechende Beschlüsse zu fassen.
Daran müssen wir nach der Sommerpause mit Hochdruck weiterarbeiten.
Grundsätzlich bin ich trotz einiger ‚Baustellen‘ optimistisch,
nachdem wir im Rat ein Bündnis zusammenbekommen haben, das willig
ist, in Erftstadt zu gestalten und nicht immer nur zu blockieren.
Über diese Mehrheit freue ich mich. Sie ist knapp, aber sie steht,
und ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Kann die Stadt allen Kindern eine angemessene Betreuung
anbieten?
Erner: Im Moment ist die Situation noch angespannt. Aber auch
hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Wir werden Platz für viele
Gruppen in Erftstadt in vier neuen Kindergärten schaffen. Es gab ein
Interessenbekundungsverfahren, in dem Träger für die neuen Kitas
gesucht werden. Die Resonanz von seriösen, bekannten Unternehmen war
überwältigend. Mit diesen Trägern wird das in der Zukunft
hervorragend funktionieren. Den Bau können wir bereits in der
Sommerpause offensiv angehen.
Was beinhaltet der nun verabschiedete Kinder- und
Jugendförderplan?
Erner: Der Kinder- und Jugendförderplan ist gerade im Rat
beschlossen worden. Den brauchen wir dringend, denn wir haben viele
Jugendliche auch mit Migrationshintergrund, und die müssen integriert
werden. Das funktioniert nur mit einer offenen Jugendarbeit. Die wird
intensiviert für den Stadtteil, der es am nötigsten braucht,
nämlich Liblar. Dort werden wir mit Fördermitteln des Landes ein
neues Projekt umsetzen, das unter Federführung der Jugendberatung
Mobilé ein herausragendes Angebot als Jugendtreff in der ehemaligen
Hauptschule in der Carl-Schurz-Straße werden wird. Ich bin seit fast
17 Jahren in Erftstadt als 1. Beigeordneter, beziehungsweise als
Bürgermeister aktiv, davon viele Jahre auch als Jugenddezernent. Ganz
am Anfang dieser Zeit haben alle immer gesagt, wir brauchen in Liblar
einen Jugendtreff für junge Leute, wo wir sie betreuen können und -
ich sage das mal etwas übertrieben- wo wir sie von der Straße holen
und entsprechend begleiten können. Wahrscheinlich gibt es diese
Diskussion aber bereits noch viel länger. Aber jetzt sind wir
endgültig am Ziel, und ich freue mich, dass wir die Fördergelder des
Landes bekommen haben, ohne die das Ganze wahrscheinlich noch weitere
Jahre gedauert hätte.
Werden die Pläne zum Bau von Windkraftanlagen durch neue
Vorgaben der schwarz-gelben Landesregierung eingeschränkt?
Erner: Man muss sich den Realitäten stellen. Die neue
Landesregierung hat ja angekündigt, dass sie die Abstandsregeln auf
1500 Meter hochschrauben will. Wir haben in Erftstadt nach langer
Diskussion eine Abstandsregel von 750 Metern erreicht. Wir haben mit
der Energiegesellschaft Kooperationspartner, die regional aufgestellt
sind und ihren Plan für die Windkraftenergieanlagen haben. Wenn die
Regelung so kommt, wie bei den Kooperationsverhandlungen
durchgesickert ist, wird es den Windpark natürlich nicht so geben,
wie er ursprünglich geplant war. Aber man wird erst mal abwarten
müssen, ob das Angekündigte überhaupt in Rechtskraft erstarken
wird. Ich werde nach der Sommerpause den Aufsichtsrat einberufen, und
wir werden dann fußend auf den neuen Ankündigungen weiterplanen und
alle Kooperationspartner mit ins Boot holen.
Ich bin überzeugt, dass wir mit allen Kooperationspartnern zu einem
guten Ziel kommen werden, wenn auch nicht in dem Umfang wie
ursprünglich angedacht. Das eröffnet ja auch völlig neue
Handlungsfelder für eine Energiegesellschaft, die sich auch anderen
Gebieten wie zum Beispiel der Photovoltaik widmen kann. Es gibt auch
schon konkrete Gespräche mit Landespolitikern, um ihnen den konkreten
Sachstand aus den Kommunen näher zu bringen. Davon ist auch schon
einiges angekommen.
Wie weit ist der Glasfaser-Ausbau in der Stadt Erftstadt
vorangeschritten?
Erner: Der ist gesamtstädtisch gesehen auf einem guten Stand.
Die Ortsteile Niederberg und Borr sind ja dank der Initiative von
Unity Media und vieler Bürgerinnen und Bürgern bald gut bis sehr gut
versorgt. Unser Sorgenkind ist Scheuren. Da hat es im letzten Rat
keine Entscheidung geben können, weil es vergabetechnisch eine neue
Situation gegeben hat. Das Ganze wurde auf die Zeit nach der
Sommerpause vertagt. Da müssen wir politisch und strukturell
ausloten, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Denn wir
unterliegen des Fesseln des Vergaberechts und können sich sagen, wir
investieren jetzt für ein Leerrohr sechsstellige Beträge. Das wäre
eine versteckte Subvention für Unternehmen, und ist vergaberechtlich
nicht möglich.
Sind Sie mit dem aktuellen Vermarktungsstand im Wirtschaftspark
Lechenich zufrieden?
Erner: Auch der Wirtschaftspark in Lechenich ist eine sehr
erfolgreiche Geschichte. Wir werden in diesem Jahr noch vier weitere
Baustellen haben in positivem Sinne. Vier neue Unternehmen siedeln
sich an. Wir haben ein interessantes, auch international aufgestelltes
Spektrum dort, und unsere Wirtschaftsförderung ist auch in durchaus
lukrativen Gesprächen was das Jahr 2018 betrifft. Wir erhoffen uns da
auch den ein oder anderen Vertrag. Es wird auch zu Abschlüssen
kommen.
Gibt es noch genügend Flächen oder Möglichkeiten zur
Erweiterung?
Erner: Der Platz wird enger, aber das ist ein gutes Zeichen.
Man diskutiert ja politisch schon, von der Verwaltung angeschoben,
eine Erweiterung des Wirtschaftsparks, die ich persönlich sehr
begrüßen würde. Genauso wie ich begrüßt hätte, wenn das Areal am
Barbarahof auf der Stadtgrenze zu Hürth hätte verwirklicht werden
können. Aber das letzte Wort ist ja noch nicht gesprochen. Da erhoffe
ich mir einfach ein bisschen mehr Einsicht bei dem ein oder anderen
Stadtverordneten, weil das für uns perspektivisch betrachtet Chancen
und Möglichkeiten eröffnen würde, die wir sonst niemals bekommen
würden. Wenn wir dieses Projekt am Barbarahof nicht verwirklichen,
dann garantiere ich Ihnen, werden einzig und allein die Städte in der
Region davon profitieren, und wir werden, was die
Wirtschaftsförderung und die Ansiedlung von neuen Unternehmen
anbetrifft, für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre abgehängt.
Es versteht auch draußen niemand, in der Bürgermeisterkonferenz
ebenfalls kein Mensch, was da für eine Entscheidung getroffen,
beziehungsweise nicht getroffen wurde. Aber als Bürgermeister muss
man den langen Atem haben, ich gebe da nicht auf und bin zwar nicht
zuversichtlich, aber auch nicht pessimistisch.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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