Ausstellung im Haus der Geschichte
Auf der Suche nach Heimat
Bonn (rth). Ein Paar Turnschuhe hier, ein paar Patronen und Glasmurmeln dort, die Baseballcap eines Jugendlichen jüdischen Glaubens, unter der die Kippa versteckt wird, ein abgebaggertes Dorf in einem der Braunkohlereviere in Ost oder West, ein abgeflämmter Fensterrahmen, hinter dem bei einem Brandanschlag Menschen verbrannten - Menschen, die zu uns gekommen sind, um hier ein anerkanntes Leben zu führen.
Ein anderes Objekt der Ausstellung, ein Wunsch-Autokennzeichen eines sich bereits etablieren Immigranten, auf dem er aus seiner Liebe zur „neuen Heimat“ die letzten drei Ziffern der Postleitzahl eben dieser neuen Heimat, eingestanzt waren: das half nichts, er wurde ebenfalls in der Gesinnung eines Heimatbegriffs umgebracht, eines Heimatbegriffs, der rassistisch ausgelegt war, ist und, so ist zu befürchten, bleiben wird in einem großen Teil der Bevölkerung.
Die Ausstellung „Heimat“ im Haus der Geschichte greift ein Thema auf, das jetzt vor dem Hintergrund der Okkupation der Ukraine durch russische Truppen aktueller denn seit langer Zeit ist. Auch hier sehen wir Menschen, vorwiegend Frauen und Kinder, die nichts haben außer dem, was sie tragen. Bleibt da Zeit zu suchen, was einen an die Heimat erinnert? An ein friedvolles Leben? In der Heimat?
Ja, die Heimat wird einem an sich erst bewusst im Moment des Verlustes ebendieser. Und selbst wenn diese Menschen hoffentlich eines Tages zurückkehren können, was ist dann von der Heimat geblieben? Zerschossene Häuser, zerstörte Landschaften, tote Familienangehörige, Nachbarn, Freunde, Kollegen? Und doch wird es für die meisten ihre Heimat sein. Für die andere ausgeharrt und vor allem gekämpft haben. Auch gestorben sind, viele von ihnen, von denen es im deutschen Sprachgebrauch immer noch heißt, sie seien „gefallen“. Gefallen! Was für ein Hohn.
Und andere Menschen können nicht mehr zurück in ihre Heimat weil sie abgebaggert wurde. Im Osten - im Westen zur Braunkohlegewinnung. Und wer auf ein Ende dieser Expansion, dieser Tätigkeit gehofft hat wird zur Zeit eines besseren belehrt. Da wird noch viel Heimat zerstört.
Im Film würde man sagen: Schnitt. In einer New Yorker Bar: „Wo kommst du her?“ „Aus Bad Honnef bei Bonn, der Hauptstadt von Deutschland“ (das Gespräch ist schon einige Zeit her). Kannte er nicht. Nächster Versuch: „Aus der Nähe von Köln - Dom“, kannte er auch nicht „Heidelberg!“, ja das kannte er. Erfreut über den Erfolg stellte ich mir jedoch sogleich die Frage: Ist das deine Heimat? Heidelberg!Für den Moment reichte es, doch die Frage blieb und bleibt: wie vermittelt man einem anderen den Heimatbegriff, der auf der einen Seite von vielen Fakten bestimmt, auf der anderen Seit jedoch absolut individuell geprägt ist. So individuell wie kaum ein anderer Begriff. Und, was erschwerend hinzukommt, auch variabel ist. Je nach Umstand oder Gelegenheit.
Und wie sieht es andersherum aus. „Woher kommst du denn?“ „Aus Baltimore.“ „Ja, ist das deine Heimatstadt (Hometown)?“. „Nein, geboren wurde ich woanders. Aber Baltimore, „there´s my home“! Das erinnerte mich an „Where ever I lay my head, there´s my home?“ Ist das Heimat, my home? Und wie ist das mit dem „mobilhome“? „Heute hier, morgen dort“ sang schon Hanes Wader vor 50. Und bedeutet das, dass „Heimat variabel ist?“ Gebunden an Lebensalter und Lebensumstände? Für manche auch Campingplätze?
Die meisten Antworten auf die Frage, was ist Heimat, lauteten: da, wo ich geboren wurde. Aber stimmt das? Die Beispiele oben zeigen doch, dass nicht der Ort, an dem man geboren wurde, Heimat ist, sondern dass auch andere Faktoren ein wichtige, vielleicht sogar wichtigere Funktion in der Findung des Heimatbegriffs mitspielen. Dass, je weiter man sich von dem Geburtsort entfernt auch die Heimat einen immer größeren Radius einnimmt. Siehe Bad Honnef, Bonn, Köln - Heidelberg.
Die Turnschuhe, Teil der Schuluniform des Mädchens, erinnern sie vielleicht nur zum Teil an den Ort, an dem sie geboren wurde. Es scheint doch vielmehr so, dass sie ein Symbol für die Zeit sind, in der sie an der Schule das gefunden hat, was Freundschaft, Freude, vielleicht auch Trauer, Geborgenheit, Zukunftsperspektive und vieles andere mehr empfunden hat, alles das, was jetzt auf einmal verloren war. All das, was sie bisher geprägt hat. Und jetzt Flucht, schnell alles das wenige zusammenpacken, was einem wichtig ist. Wichtig? Und hier zeigt sich dann, was Heimat ausmacht. Heimat, das lässt sich nur bedingt an Gegenständen ausmachen. Heimat ist das, was sich im Gedächtnis manifestiert, das, was einen in Träumen, Lachen, Weinen, sich zu sich selbst finden lässt. Heimat ist unmittelbar mit Erinnerung verbunden. Heimat hat einen Hang zum Melancholischen. Und auch deswegen ist Heimat etwas, was nicht definiert werden kann. Es ist etwas, das einen im ureigenen Sinne ausmacht. Und die wenigen Gegenstände, die man mitnehmen konnte, dienen in erster Linie dazu, die Erinnerung zu stärken.
Aber Heimat ist auch Abgrenzung. Gerade im rheinisch geprägten Karneval wird der Begriff Heimat als solches benutzt. Alaaf gegen Helau, Düsseldorf, Köln und Mainz im nicht immer so ganz so edlen Wettstreit der Narretei, dem unendlichen Gefühl dessen, was einem persönlich und, leider immer mehr, gesellschaftlich Heimat ist. Bis hin zur Heimatbesoffenheit. „Und in der Heimat ist es doch am schönsten!“ (Wer will das bezweifeln?)
Und eine Zeitlang stand an der Nord-Süd-Fahrt eine Aufforderung: Liebe deine Stadt! Stadt - nicht Heimat? Na ja, Kölner waren schon immer kosmopolitisch. Zumindest in der Selbsteinschätzung. Und pragmatisch waren, sind und werden sie es auch immer sein. Hoffentlich, und mit ihnen das ganze Rheinland. Denn dieses Rheinland ist vielen, die nach teilweisen langen Wegen hier gelandet sind, ist diese unsere Heimat auch zu ihrer Heimat geworden und beteiligen wir uns daran, dass dies so bleibt und sogar noch verstärkt wird. Gerade in der ausgerufenen „Zeitenwende“.
Diese Ausstellung regt zum Nachdenken auf, nicht zum Vergleichen, und sie gleicht einem Maulwurf, der unterirdisch nicht in der Erde sondern im Gehirn, im Gedächtnis seine Bahn zieht und plötzlich an die Oberfläche kommt; zum Beispiel in den Nachrichten, die wieder voll sind von Flüchtlingen aus aller Welt in alle Welt. Sie alle nehmen ein Stück ihrer Heimat mit und bringen sie mit zu uns. Bis hinein in unsere kleinsten Handlungen in der Alltäglichkeit. Darauf einen Espresso, und nebenbei: Wohin gehen wir heute essen? Chinesisch, italienisch, Sushi, zum Libanesen, doch wieder zum Burgerladen oder vielleicht mal zum Suppen-Start-Up?
Eines wurde mir jedenfalls beim Besuch der Ausstellung klar: Heimat ist eine sich ändernde Konstante! Ein Widerspruch? Ja, zum Glück!
Die Ausstellung „Heimat – Eine Suche“ ist noch bis zum 25. September im Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, Bonn, zu sehen. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags 9 bis 19 Uhr, samstags und sonntags 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt zum Haus der Geschichte und zu allen Ausstellungen ist frei.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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