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Der Richter und sein Angeklagter

Ich hatte doch tatsächlich vergessen, dir zu zeigen, wie ich da für den älteren Herrn die Parklücke freigehalten habe. Du erinnerst dich, ich hatte dir erzählt, dass mein Göttergatte bald in Ruhestand geht, wie es so schön heißt. Deshalb ist demnächst einerseits Sparen angesagt. Andererseits gilt es aber auch, neue Einnahmequellen zu erschließen.

Was die neuen Einnahmequellen anbelangt, hatte ich mich auf meiner Verkehrsinsel schon ordentlich ins Zeug gelegt. Was mir ja so was von entgegen kam, justamente als ich in der Planungsphase war, als ich mir überlegte, was ich denn gegen Entgelt anbieten könnte, hatte ich gleich zwei Frauen, von denen ich mich inspirieren lassen konnte. Gut, was das Alter anbelangt, liegen da schon ein paar Jährchen dazwischen. Aber zwischen den beiden Frauen auch! Die eine könnte glatt die Mutter der anderen sein. Egal. Beide haben Rhythmus im Blut, eine gute Figur und sind diszipliniert. Das trifft so auch auf mich zu. Okay, altersgemäß habe ich selbstredend ein wenig mehr Bauch. Ich habe dann auch sofort mit dem Training angefangen, weil Übung macht ja bekanntlich die Meisterin. Und da, das muss ich schon eingestehen, sind die beiden mir ein Stück weit voraus. Ich bin ehrlich, neuerdings bin ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob ich mir da nicht zu viel zugemutet hatte. Ich hatte mir das so schön vorgestellt: Während die Autos an der roten Ampel stehen, stehe ich auf einer fünfstufigen Haushaltsstehleiter und singe ein Lied. Du liest richtig! Diese Leitern gibt es ja auch mit vier oder drei Stufen. Aber nein, ich bin sofort aufs Ganze gegangen! Ich hatte oben auch noch genügend Platz, meinen alten Kassettenrekorder neben meine Füße zu stellen. Und, welch Glück, die Kassetten aus meiner Jugend, alle noch vorhanden. Weißt du noch, samstags die ZDF-Hitparade und wir haben mit den „Record und Play“-Tasten aufgenommen. Cindy und Bert mit „Spiel noch einmal für mich Habanero“ oder „Wenn die Rosen erblühen in Malaga“. Was selbstredend auch nicht fehlen durfte: „Am Tag, als Conny Cramer starb“ von Juliane Werding. Und, ein absolutes Muss: mein persönlicher Favorit „Er gehört zu mir“ von Marianne Rosenberg. Ich hab das schon damals so als Karaoke mit Mikrophon mitgesungen. Lange Rede, kurzer Sinn, ich weiß nicht, woran es gelegen hat. Ob am Verkehrslärm, dass man mich nicht hören konnte. Oder konnte man mich zu gut hören? Weil das ein oder andere Mal meine ich auch, einen gewissen laut vorgetragenen Unmut gehört zu haben.

Ich habe mich aber nicht unterkriegen lassen und habe es dann mit. Weil, immerhin hatte ich in der Schulzeit ja auch mal Gymnastik. Erinnerst du dich noch? Diese Bänder, die es zu schwingen galt? Und gleichzeitig sich dabei grazil bewegen? Was soll ich sagen. Du kannst dir das Gehupe gar nicht vorstellen, jedes Mal, wenn ich aus Versehen auf die Fahrbahn geriet. Meine Verkehrsinsel ist für solche Aktionen einfach zu klein. Ich hab mich dann doch noch mal auf meine spektakuläre fünfstufige Haushaltsleiter besonnen und versucht, oben stehend mit einem Hulahupreifen zu kreisen: Ich hab heute noch blaue Flecken, nachdem ich heruntergefallen bin. Was allerdings recht gut klappte, war die Performance mit dem Ball: Ich oben auf der Leiter und einfach den Ball in die Luft geworfen und wieder aufgefangen - fast immer. Da gab’s natürlich dann auch Ärger, wenn der Ball auf die Straße rollte.

Alles in allem, Fazit: Ich hätte doch einige Jahre früher anfangen sollen, um damit Geld verdienen zu können. Ach, da fällt mir ein, ich habe ja noch gar nicht erwähnt, von welchen beiden Frauen ich denn spreche. Einmal, klar, du kannst es dir schon denken, von der Helene Fischer. Die hatte ich nämlich kurz vorher in der Lanxess Arena gesehen. Und dann habe ich mich von der Darja Varfolomeev inspirieren lassen. Vor kurzem hat ja in Valencia die WM der Rhythmischen Sportgymnastik stattgefunden. Und da hat sie für Deutschland fünf Goldmedaillen geholt. Das musst du dir unbedingt mal anschauen, das kurze Video. Hier der Link. So was von hin und weg bin ich von der Sportlerin.

Ich sprach ja anfangs auch vom Sparen. Da hat in Berlin ein junger Mann aber so was von Geld gespart. So liest es sich im Internet: Zübeyir C. (21) kommt mit 800 Euro Strafe, zwei Monaten Fahrverbot und einem Verkehrserziehungskurs davon. Ohne Rücksicht auf Verluste: Er bretterte mit 119 Stundenkilometern durch eine Tempo-30-Zone. Doch aus dem Verkehr gezogen wurde der Raser erst 15 Monate später. Die Fahrt wurde angeklagt als Teilnahme an einem illegalen Autorennen. 490 dieser Rennen registrierte die Polizei im letzten Jahr – ein dramatisch hohes Niveau. Einer der PS-Protzer: Zübeyir C. (21). Die Residenzstraße machte der BMW-Fahrer zur Rennpiste. C. kleinlaut vor Gericht: „Ich habe mich hinreißen lassen. Das andere Fahrzeug war auch hoch motorisiert, ich wollte Gas geben.“ Am 27. April 2022 in Reinickendorf. Gegen 21.35 Uhr stand C. an einer Ampel. Ein ihm unbekannter Fahrer daneben. Motoren heulten auf – wortlos die Absprache. Beide rasten los. Die Anklage: „In der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und sich gegenseitig zu überholen.“ Ein Wettrennen. Der Richter: „Auf dem Abschnitt waren 30 km/h erlaubt!“ Der Raser: „Ich weiß, ich habe nur nach vorn gesehen, wollte dranbleiben.“ Das Auto habe er kurz zuvor gekauft – „ich wollte es mal ausprobieren, fand es interessant“. Der Richter kopfschüttelnd: „Eine sinnlose Raserei! Sie hatten Glück, dass niemand auf die Straße gelaufen ist.“ C. mit gesenktem Kopf: „Es tut mir sehr leid. Meine Eltern haben mich auch schon zur Rechenschaft gezogen.“ Es gab an jenem Abend Geschwindigkeitskontrollen, weil es in der Residenzstraße immer wieder zu Rasereien kommt. Ein Polizist: „Die beiden Wagen waren so schnell, dass ich sie nicht anhalten konnte.“ Das Gerät aber hielt die Daten fest. Doch der Führerschein wurde nicht einkassiert. C.: „Ich nahm weiter am Straßenverkehr teil, es ist nie was gewesen.“ Der Richter: „Normalerweise müsste sofort der Führerschein beschlagnahmt werden.“

Welchen Stoff in welcher Menge musst du dir einwerfen, um zu solch einem Urteil zu kommen? Anders kann ich mir das Urteil nicht erklären, als dass der Richter nicht an Stoff gespart hat.

LeserReporter/in:

Adelheid Bennemann aus Bonn

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