Singen ist hier die beste Medizin
Pneumissimo, ein Chor für Atemwegserkrankte

Für die Mitglieder von Pneumissimo ist das Singen Medizin ohne Rezept.  | Foto: Stahl
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Er ist einzigartig, der Chor, der jeden Mittwoch im Forum der Universitätsklinik Köln an der Joseph-Stelzmann-Straße 20 probt. Die Besonderheit des Chors liegt darin, dass alle Mitglieder eine eingeschränkte Atmung oder Lungenfunktion haben. „Pneumissimo“ nennen sich die zehn Frauen und drei Männer. Für sie ist das Singen Medizin.

von Angelika Stahl


Lindenthal.
Der Chorname ist für seine Mitglieder Programm. „Pneuma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Hauch“, „Luft“. Die Endung „issimo“ ist in der Musik als Steigerungsform „fortissimo“ bekannt und bedeutet „sehr stark/laut“. Das Ziel des Singens ist es: so viel Luft wie möglich zu schöpfen.
„Einige Mitglieder leiden an Asthma, andere an der Lungenkrankheit COPD (chronisch obstruktive Bronchitis) oder aber an chronischer Bronchitis. Zwei mussten sich sogar einer Lungentransplantation unterziehen“, erklärt Dr. Annette Einzmann. Sie ist diplomierte Atemtherapeutin und Gesangspädagogin. 2015 gründete sie den Chor zuerst nur in Köln. 2017 schlossen sich auch Patienten aus Troisdorf dem Chor an.
Dass Singen die Atmung bei Lungenerkrankungen positiv beeinflusst, belegt eine Studie. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit konnte die Kölner Medizinstudentin Katrin Enste bei den Chormitgliedern eine Verbesserung der Lungenkapazität nachweisen. Ihre Untersuchungen ergaben, dass sich die nach dem Ausatmen in der Lunge verbleibende Luft um acht Prozent reduzierte. Gleichzeitig stellte sie eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens fest.
„Mein Ziel ist es, über das Singen das Atemmuster der Lungen-Erkrankten zu optimieren. Die Luftnot führt häufig in einen Teufelskreis verzweifelter Hochatmung, die den Mangel eher verschlimmert als verbessert. Das Singen hilft, den Ausatem zu verlängern und so vermehrt Kohlendioxid abzuatmen. Dabei vertieft sich der Einatem, erweitert sich, und die Sauerstoffsättigung wird besser. So viel Luft wie möglich, eben Pneumissimo“, erläutert die Gesangstherapeutin.
Das Warm-up mit dem anschließenden Einsingen und auch die Literatur schneidet Einzmann speziell auf die Chormitglieder zu. „Da das Luftvolumen reduzierter ist, suche ich Stücke aus, die nicht allzu lange Phrasen haben.“ Laut der Chorleiterin sind die Stimmlippen dieser Patienten durch das viele Husten und die Verschleimung stärker belastet als die gesunder Menschen, was ein schwerfälligeres Einschwingen zur Folge hat. Daher ist es Einzmann wichtig, für jede Stimme den passenden Tonumfang zu finden, in der sie schön klingt und auch gut schwingt. „So singt etwa der Alt bei Pneumissimo in einer etwas abgesenkteren Lage als üblich. Mehrstimmiges Singen ist von daher sozusagen ,medizinisch indiziert`“, so die Gesangstherapeutin.
Jede Chorprobe beginnt mit Lockerungsübungen. Insbesondere das Einsingen nach den Übungen hat einen hohen therapeutischen Wert. Fußgelenke werden gekreist, Waden und Oberschenkel geklopft, beim Beckenkreisen in einer Acht, beginnen die Stimmübungen. Mit einem langgezogenen „Sssss“ auf den Lippen wird unisono in einer Acht das Becken bewegt. Nach einer Runde „Sch, sch“ wie beim Enten-Verscheuchen und einem ausgedehnten „Mummm“, sind die Bauchdecke, die Rippengegend und der Kiefer der Sängerinnen und Sänger gelockert und es kann eingesungen werden.
„Mir dunn jet singe, mir sin Pneumissimo...“, klingt es vielstimmig zum Start der Probe. Die musikalische Begleitung mit der Gitarre übernimmt Ian Alexander Griffith. Dass die Stimmen „alle einen kleineren Tonumfang haben“, wie Griffith sagt, fällt dem Laien nicht auf.
Das Singen im Chor ist für die Chormitglieder Atemtherapie, gepaart mit Freude an der Musik und auch geselligem Beisammensein. Einheitlich zum Gute-Laune-Effekt sehen die Chormitglieder das Lernen der Texte als ein gutes Gedächtnistraining. Waltraud Hollitzki singt seit Gründung des Chors mit. „Ich leide an Asthma. Das Singen verbessert meinen Atemrhythmus. Ich kann länger ausatmen und es gibt mir das Gefühl von Weite in der Brust. Ich fühle mich befreiter. “
„Wenn ich singe, merke ich, wie ich kontrollierter und langsamer atme und sich in mir alles entspannt. Das Singen hebt meine Stimmung. Nach der Probe gehe ist dann gut gelaunt nach Hause“, sagt Chorkollegin Vera Rehker.
„Herzlichen Glückwunsch. Das ist das Beste, was Du machen kannst. Singen ist gut für die Lunge, das Herz und fürs Gemüt“, hat mein Arzt zu mir gesagt“, erzählt Wilhelm Mareski aus Immekeppel. Er leidet unter dem Asthma-COPD-Overlap-Syndrom. Für ihn ist es die zweite Chorprobe. „Manche Melodien kenne ich noch nicht, aber ich merke schon jetzt deutlich, wie ich nach den Lockerungsübungen und der Chorprobe entspannter atme.“
Dass Repertoire der Pneumissimo-Sängerinnen und -Sänger reicht vom Volkslied über Gospel und Schlager aber auch mal Brahms. „Bei uns kann jeder mitsingen. Es gibt keine Voraussetzungen wie etwa Notenlesen. Selbst falsche Tonhöhen dürfen gesungen werden, solange sie halbwegs physiologisch hergestellt werden“, wirbt Annette Einzmann. Gesangszuwachs ist also herzlich willkommen. Weitere Infos gibt es online unter
pneumissimo.de

Für die Mitglieder von Pneumissimo ist das Singen Medizin ohne Rezept.  | Foto: Stahl
Jede Chorprobe beginnt mit gut 20 minütigen Lockerungsübungen. | Foto: Stahl
Redakteur/in:

EXPRESS - Die Woche - Redaktion aus Köln

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