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„Stadt und Religion in der Moderne“ – Vortrag im „Forum Rheinviertel“

Flyer zur Frühjahrsreihe des „Forum Rheinviertel“ | Foto: privat
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Hört und liest man von der Krise der Kirchen, dann scheint es manchmal so, als ob Städte Orte besonders stark fortschreitender Säkularisierung seien. – Oder sollten sie doch Nährböden für Religion sein, vielleicht für alternative Formen von Religion?

Die Stadt: Ort der Säkularisierung oder religiöse Keimzelle?

Diese Frage wird bereits im Flyer zur Veranstaltungsreihe „Zwischen himmlischem Jerusalem und Babylon – Die Stadt in der Moderne“, in deren Rahmen Prof. Dr. Hans-Joachim Höhn, Fundamentaltheologe am Institut für Katholische Theologie der Universität zu Köln, seinem Vortrag zum Thema „Stadt und Religion in der Moderne“ am 18.06.2019 hielt.

Dort ist unter anderem zu lesen: „Moderne Urbanität und Religiosität schließen einander nicht gegenseitig aus. Vielmehr lässt die Moderne auch Konstellationen von Religion und Kultur entstehen, die trotz anhaltender Säkularisierungsprozesse die Antreffbarkeit religiöser Sinnofferten begünstigen.“ Diese Konstellationen schlüsselte Prof. Dr. Höhn strukturiert und einprägsam auf. Da die zweite Einblendung nach dem Vortragstitel die Silhouette der Stadt Bonn war, konnte man das Nachfolgende auch immer wieder vor diesem heimatlichen Hintergrund reflektieren: Wie erlebe ich selbst als Bonner Bürgerin meine Stadt und die dort gelebte Religion?

Das Christentum: ursprünglich urban

Erläuterungen zum Christentum als ursprünglich städtische Religion waren bedenkenswert. Da sich der christliche Glaube unter Paulus über die damaligen Zentren (Athen, Korinth, Ephesus, Rom) verbreitet hat, klassifizierte Höhn diese Religion als originär urban in ihrer Etablierung. Somit wohnt dem Christentum nach Höhn bereits seit den ersten beiden Jahrhunderten das Urbane inne: eine Pluralität und Attraktivität für Menschen, die anderswo Außenseiter wären.

Professor Höhn nahm den vom Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas – dem er nebenbei aus der Ferne zum 90. Geburtstag gratulierte – geprägten Begriff der „Postsäkularität“ auf und widerlegte diesem zustimmend schrittweise die These, dass Städte keinen Raum für Religiosität böten. Inmitten fortschreitender Säkularisierungsprozesse erfährt Religion nach Habermas immer wieder ein Aufblühen.

In seiner Einleitung merkte der Fundamentaltheologe Höhn an, dass Städte in der Bibel (Ninive, Sodom und Gomorra, Babylon) überwiegend als schlechte, ausbeuterische Orte angesehen werden; bereits die erste Stadt sei vom Brudermörder Kain gegründet worden und damit negativ konnotiert. Jerusalem komme eine ambivalente Stellung als „Hure Jerusalem“ und zugleich als Davidsstadt zu. Es stellt sich dann die Frage, ob Religion nicht gerade in der Stadt gebraucht wird – damals wie heute, denn Brennpunkte findet man wohl in jeder Stadt.

Professor Höhn definierte das charakteristisch Urbane und formulierte anschließend die Frage, ob gerade dort Fragestellungen existieren, die durch Religion beantwortet werden können. Die Antwort sollte am Ende positiv ausfallen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Sinnfrage, die man sich Höhns Meinung nach nicht abschließend und befriedigend auf rein säkularer Basis beantworten kann, da es in der Welt zu vieles gibt, das man so nicht akzeptieren kann. Hier greife die Religion.

Chancen, Risiken und die Sinnfrage in der Stadt

Moderne Städte bieten Chancen, bergen jedoch auch Risiken – wie ein prägnanter Verweis des Referenten auf eine Zeile aus Frank Sinatras „New York, New York“ unterstrich: „If I can make it there, I‘m gonna make it anywhere.“ Mannigfaltige Wahlmöglichkeiten an Sinnangeboten fürs eigene Leben setzen den Städter auch unter Druck, richtige Entscheidungen für ein gutes Leben zu treffen, was nicht jedem gelingt. Solche Sinnangebote können auch kirchlicher Art sein. Nach Professor Höhn bindet sich der typische Stadtmensch nicht gerne dauerhaft, sucht aber dennoch Gemeinschaft. Diese könne sich beispielsweise in zeitlich begrenzten Projektchören verwirklichen. Durch die besondere Problematik in Städten, in denen der familiäre und nachbarschaftliche Zusammenhalt weniger als auf dem Land gegeben ist, werden Menschen in urbanem Umfeld laut Höhn oftmals sogar stärker mit der Frage nach Transzendenz konfrontiert. Was man in der Stadt eher selten findet, das ist der Bezug zur Natur beim Erleben von etwas Höherem; dennoch gibt es die Suche nach dem Transzendenten in der Stadt. Diese richtet sich laut Professor Höhn oftmals nach innen. Sinnlich erfahrbare, außergewöhnliche Events, die eine säkulare Stadt bietet (z. B. „Rhein in Flammen“, „Kölner Lichter“) spiegeln auf Ihre Art die Suche der Stadtmenschen nach dem Staunen vor etwas Großem wider. Entsprechend verlangen religiöse Fragestellungen in der Stadt eventuell auch andere Antworten und Formate als dort, „wo man zu Menschen gesprochen hat, die die Kirche gern im Dorf lassen möchten“, so Höhn.

Aufschlussreiche Studie zu „Lux Eucharistica“

Prof. Dr. Höhn berichtete von einer interessanten Studie seiner Studenten anlässlich der Illumination im Innenraum des Kölner Doms im Juni 2013, die im Rahmen des Eucharistischen Kongresses mehrfach unter dem Titel „Lux Eucharistica“ gezeigt wurde. Ausgeführt wurde die Lichtinstallation von den Künstlern „CasaMagica“. Während der Vorführung des Kunstprojekts waren Studenten an verschiedenen Stellen im Dom verteilt im Raum und registrierten nach Beginn der Lichtshow überall eine Form von Ergriffenheit. Die Blicke wurden nach oben gerichtet, das Handy weggesteckt, und die Besucher waren ganz bei der Sache. Dann wurde die spektakuläre Lightshow für sieben Minuten unterbrochen, und es gab Erläuterungen zum gerade Gesehenen. Die Faszination der Leute wich zurückkehrendem alltäglichen Verhalten. Als die Illumination fortgesetzt wurde, stellte sich die anfängliche spirituelle Stimmung im Dom nicht wieder in dieser Intensität ein. Für Professor Höhn war dies ein Beispiel für einen Fehler, der in der Kirche immer wieder gemacht wird: Man belehrt Menschen von oben herab, anstatt ihrer eigenen Kompetenz zu vertrauen.

„Was willst du, dass ich dir tue?“ – Das Problem einer belehrenden Seelsorge

Nach einem sehr komplexen Vortrag und einer kurzen Pause gab es noch einen Gesprächsteil zum Thema, der – speziell was die derzeitige kirchliche Entwicklung betrifft – noch konkreter wurde. So erwähnte Professor Höhn zur oben angeschnittenen Problematik auch die Geschichte der Heilung des blinden Bettlers Bartimäus. Obwohl dieser offensichtlich blind ist, fragt Jesus nach seinem Wunsch und handelt nicht einfach ungefragt. In Mk 10,51 heißt es: „Und Jesus fragte ihn: Was willst du, dass ich dir tue? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte sehen können.“ Der Wunsch wird dem zunächst Blinden erfüllt. Ein ähnliches Verhalten Jesu findet sich mehrfach im Neuen Testament; er wartet eine Bitte ab, und handelt nicht ungefragt, obwohl er als Sohn Gottes ja wissen muss, was gut für die betreffenden Personen sein muss. Leider warten Seelsorger immer wieder nicht auf entsprechende Äußerungen ihres Gegenübers, sondern agieren eigenmächtig. (Es heißt nicht umsonst im Volksmund „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“.) Mit dieser Thematik traf Theologe Höhn nicht nur bei der Autorin dieses Artikels, die ein Buch über Machtmissbrauch, Klerikalismus, falsch verstandene „Seelsorge“ und deren fatale Auswirkungen schreiben könnte, ins Schwarze. Hier muss sich im Selbstverständnis so mancher Seelsorger oder gar bei deren Ausbildung etwas grundlegend ändern!

Die Geschichte des Blinden, der um Heilung bittet, ist mir auch in einer nuancierten Interpretation begegnet. Demnach sind es die Vorleistungen der Ehrerbietung und Glaubensbezeugung durch den Blinden, die Jesus zum heilenden Handeln bewegen. Hat ein Geistlicher eine solche Haltung, betrachtet er denjenigen, der Seelsorge bei ihm sucht, als unterlegen, und das hat negative Konsequenzen.

Kirche auf Zeit und städtische Szenen

Bietet man modernen Leuten eine religiöse Erfahrung an, und wird diese angenommen, so darf man laut Höhn kein daraus resultierendes Bindungsverhalten erwarten. Man müsse vielmehr damit zufrieden sein und es positiv bewerten, auch wenn man jemanden nur kurze Zeit begleiten dürfe und ihn dann wieder entlasse.

Die etablierten Kirchen treffen in der Stadt auf eine religiöse Neugier und Offenheit, die moderne Formate fordert; Prof. Dr. Höhn stellte die Frage nach der „Resonanzfähigkeit“ der Großkirchen auf diese Phänomene.

Zur Frage, wie die Kirche auf die (säkulare) Welt, insbesondere auf Städte mit ihren speziellen Merkmalen wie der Einsamkeit, zugehen könne, nannte Hochschullehrer Höhn, dass sie beispielsweise Szenen (z. B. diverse Musikstile, Kunst, Sport) freie Räume zur Verfügung stellen und so Anknüpfungspunkte schaffen könne. Verschiedene Szenen nannte Höhn als – sein Tipp – Anlaufstellen für Neuzugezogene in einer Stadt. Eine für diverse Szenen offene Kirche, hat nach Höhns Konzept die Chance, dass Zugehörige zu einer Szene sich auch für diejenigen (und deren Glauben) interessieren, die ihnen Räumlichkeiten zur Umsetzung ihrer Ideen bieten. Der soziale Kontakt im kirchlichen Rahmen gebe den Künstlern usw. eine Möglichkeit der Selbstentfaltung und erspare ihnen zudem die Einsamkeit der anonymen Stadt.

Religiöse Inszenierungen bieten laut Höhn die Möglichkeit zum Akteur zu werden und nicht nur Zuschauer zu bleiben. Dies sei von der Mehrheit der (städtischen) Menschen gefragt. Als typisches Beispiel nennt Höhn das Taizé-Gebet, das geeignet ist, um ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen.

Der moderne Städter finde alle seine spezifischen Bedürfnisse auch oft im Pilgern angesprochen. Dabei mache er sich selbstständig auf den Weg, finde unverbindliche Kontakte und nutze die Institution Kirche, um einen vollständigen Pilgerpass zu erhalten.

Gefragt: Lösungen aus der Stadt selbst

Im Kontext einer „noch immer auf kommunitäre, vereinsförmige Zugehörigkeiten“ setzenden Kirche kritisierte Höhn auch den Begriff „Sendungsraum“ und bezeichnete ihn als „verräterisch falsch“, da er das spezifisch Urbane außer Acht lasse und vielmehr alten Wein in neuen Schläuchen anpreist. Man setze der Stadt einen Lösungsweg vor, anstatt sie ihre eigenen städtespezifischen Lösungen austarieren und finden zu lassen. „Und da ist eigentlich das Scheitern vorprogrammiert“, so Höhn.

Höhn zeigte auch Grenzen der in seinem Vortrag dargestellten Form von Stadt-Religiosität auf; besonders wichtig war ihm jedoch das Aufbrechen verkrusteter Strukturen.

In Bonn experimentiert Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken mit Event-Konzepten, die vor allem kirchenferne Leute anlocken sowie die Gemeinschaft der vorhandenen Gemeinde stärken sollen. Ob man durch solche verordneten klerikalen Aktionen eher angesprochen wird oder sie eher als Bevormundung empfindet, liegt wohl auch im Auge und in der individuellen Persönlichkeit des Betrachters. (Mehr Aktuelles zur Bonner Stadtkirche gibt es hier zu lesen.)

Mit vergleichbarem Grundtenor wie im Vortrag „Stadt und Religion in der Moderne“ hat sich Prof. Dr. Hans-Joachim Höhn u. a. bereits in seinem Buch „Fremde Heimat Kirche – Glauben in der Welt von heute“ (Verlag Herder, 2012) geäußert. Mit dem Fazit, dass die Kirche durchaus eine Zukunft hat, kann Prof. Dr. Höhn Mut machen und den katholischen Blick weiten.

(dcbp, 21.06.2019)

Hinweis: Der ursprünglich für Dienstag, 19.03.2019 geplante Vortrag von Dipl. Ing. Michael Isselmann (Bonn) „Stadtentwicklung und Gesellschaft im Wandel“ wird am Mittwoch, 26. Juni 2019 (Beginn: 19.30) im Pfarrzentrum St. Evergislus, Hardtstraße 14, nachgeholt.

LeserReporter/in:

Damiana C. Bauer-Püschel aus Bonn

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