Automotive Performance 2017/18
Center of Automotive Management (CAM)
Die Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller im Jahr
2017
BERGISCH GLADBACH
Rückruf-Trends der Automobilhersteller im Vergleich
Die Rückrufe der Hersteller bleiben auf sehr hohem Niveau. Nach
Berechnungen des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch
Gladbach wurden 2017 auf dem Referenzmarkt USA über 25,5 Mio. Pkw
(inkl. LCV) wegen Sicherheitsproblemen zurückgerufen. Aufgrund der
Negativrekordwerte der Vorjahre haben sich damit die Rückrufmengen
deutlich reduziert (2016: 51,1 Mio.). Die letzten fünf Jahre stellen
mit über 205 Mio.(!) zurückgerufenen Fahrzeugen allein in den USA
mit weiten Abstand die Periode dar mit den höchsten Rückrufmengen
der Autoindustrie überhaupt.
Die Rückrufquote, die die Zahl der zurückgerufenen Fahrzeuge an den
Neuzulassungen des Jahres ausdrückt, erreicht 147 Prozent in 2017
(2016: 291%). Damit wurden im vergangenen Jahr nahezu eineinhalb mehr
Fahrzeuge in die Werkstätten beordert als im gleichen Zeitraum im
US-Markt verkauft wurden. Ein Anteil von 31 Prozent der Rückrufe (7,9
Mio.) entfallen dabei weiterhin auf fehlerhafte Airbags.
Der Skandal des japanischen Airbagherstellers Takata hatte 2014
maßgeblich zu den höchsten Rückrufzahlen seit Beginn der
Aufzeichnung geführt. Die Rückrufquote lag bereits in acht der
letzten 10 Jahre über 100 Prozent, was den Negativtrend beleuchtet.
Ein Großteil der betroffenen zurückgerufenen Modelle bezieht sich
entsprechend auf weiter zurückliegende Baujahre (vgl. Abb. 1).
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Nach Herstellern weisen die höchsten sicherheitstechnischen
Rückrufquoten BMW (588%), Mazda (407%), Mitsubishi (405%) sowie
Hyundai/Kia (324%) auf (vgl. Abb. 2). Bei der Rückrufmenge belegen
FCA (Fiat Chrysler Automobiles), Hyundai und Honda die
Negativ-Spitzenplätze, die zwischen 4,87 und 3,02 Mio. Pkw. in die
Werkstäten beordern müssen.
Die Rückrufquote von BMW steigt von
320 auf 588 Prozent an. Der größte Rückruf bei BMW
(740.561 Fahrzeuge) bezieht sich auf einen Defekt in der
Kurbelgehäuseentlüftung, gefolgt von einer defekten Verkabelung im
Heiz- und Klimasystem (702.965 Fahrzeuge).
Bei Mazda kann Feuchtigkeit in das Airbagmodul eindringen und dessen
Funktion beeinträchtigen. Aus diesem Grund müssen knapp 309.000
Fahrzeuge zurückgerufen werden. Die Rückrufquote liegt bei 407
Prozent.
Bei Mitsubishi liegt die Rückrufquote mit 405 Prozent auf einem
ähnlichen Niveau wie bei Mazda. Bei Mitsubishi sorgt ein defektes
Relais für Motoraussetzer, reduzierte Leistung und Überhitzung des
Motors, wodurch 132.552 Fahrzeuge betroffen sind.
Hyundai/Kia weist einen enormen Anstieg der Rückrufquote von 71
Prozent in 2016 auf nun 324 Prozent auf. Grund dafür ist unter
anderem der Rückruf von knapp einer Millionen Fahrzeugen aufgrund
einer mangelhaften Verankerung für den Sicherheitsgurt. Aktuell
müssen Hyundai/Kia wegen Airbagversagens wiederum mehrere
Hundertausende Fahrzeuge im US-Markt zurückrufen.
Die deutschen Hersteller VW und Daimler liegen mit Rückrufquoten von
294 bzw. 287 Prozent im oberen Mittelfeld. Bei VW beziehen sich die
größten Rückrufe auf Probleme bei der Motorkühlung (324.867
Fahrzeuge) und der Benzinpumpe (521.402). Bei Daimler entfällt knapp
die Hälfte der Rückrufe auf einen fehlerhaften Frontairbag.
FCA weist eine im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunkene Rückrufquote
von 235 Prozent auf. Dennoch
mussten 4,8 Mio. Fahrzeuge zurückgerufen
werden, da sich u.a. bei Fahrzeugen mit Automatikgetriebe der
Wahlhebel aus der Park-Position bewegen ließ, obwohl die Bremse nicht
getreten war.
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Bei Hondas liegt die Rückrufquote bei 184 Prozent und damit knapp
über dem Durchschnitt. Undichtigkeiten im Batteriegehäuse, die zu
einem Kurzschluss führen könnten und Airbagprobleme sind jeweils zu
einem Drittel für die Rückrufe verantwortlich.
Der amerikanische Hersteller Ford muss 2,96 Mio. Fahrzeuge zurück in
die Werkstatt rufen und hat so eine Rückrufquote von 115 Prozent. Bei
GM sind es lediglich 0,95 Mio. Fahrzeuge. Somit liegt die
Rückrufquote nur 32 Prozent. Auf eine geringere Quote kommt im
Ranking nur der schwedische Hersteller Volvo mit 15 Prozent.
Die anderen japanischen Hersteller Nissan (73%), Toyota (53%) und
Subaru (40%) können eine sinkende Rückrufquote vorweisen. Sie waren
zuvor besonders von Airbagproblemen des Zulieferers Takata massiv
betroffen. Bei Subaru entfallen 72 Prozent der Rückrufe (185.773
Fahrzeuge) weiterhin auf defekte Airbags.
Tesla hat eine Rückrufquote von 71 Prozent und muss insgesamt 39.051
Fahrzeuge nachbessern. Über 31.000 Model S und X verfügen über
fehlerhafte elektronische Parkbremsen.
Mängel nach Baugruppen
Mehr als 44 Prozent der sicherheitsrelevanten Produktmängel am
Fahrzeug betrafen 2017 wiederum den Insassenschutz (Abb. 3). Dafür
verantwortlich waren jedoch nicht nur defekte Airbags des japanischen
Zulieferers Takata. Vielmehr löste dieser Skandal eine Art
Dominoeffekt aus, der zu einer grundsätzlichen Überprüfung der
Insassenschutzeinrichtungen führte, die weitere Mängel zum Vorschein
brachte. Teilweise waren auch die Austauschairbags fehlerhaft und
mussten erneut zurückgerufen werden. Mit 23,3 Prozent konnten die
Mängel dem Antriebsstrang/Motor zugeordnet werden. Auf
Qualitätsmängel der Elektrik/Elektronik entfielen 14,1 Prozent der
Rückrufe, während 6,5 Prozent der Bremsanlage, 4,6 Prozent der
Lenkanlage, 0,6 Prozent der Karosserie, 0,2 Prozent dem Fahrwerk sowie
6,5 Prozent sonstigen Baugruppen zugeordnet werden konnten.
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Gründe für Qualitätsprobleme und Folgerungen
Das Jahr 2017 belegt, trotz geringerer Rückrufquoten als in den
vergangenen drei Jahren, dass das Thema Produktqualität ein zentrales
Thema in der Automobilindustrie bleibt. Hierzu Studienleiter Stefan
Bratzel: "Wenn 9 von 16 untersuchten Herstellern in 2017 wegen
sicherheitstechnischer Mängel mehr Fahrzeuge zurückrufen müssen als
diese im gleichen Zeitraum verkauft haben, ist das insgesamt ein
bedenkliches Qualitätsniveau der Branche." Außerdem stellen
sicherheitsrelevante Mängel meist nur die "Spitze des Eisbergs" dar.
Hinzu kommt eine große Anzahl stiller Rückrufe oder auch
Serviceaktionen, die in den offiziellen Zahlen nicht enthalten sind.
Wachsende Rückrufrisiken und steigende globale Sensibilität für
Qualitätsmängel erfordern einen Paradigmenwechsel im
Qualitätsmanagement der Automobilhersteller. Das Risiko großer
Rückrufaktionen ist durch marken- und modellübergreifende Plattform-
und Gleichteilestrategien sowie globale Produktionsnetzwerke erheblich
gestiegen. Gleichzeitig werden sicherheitsrelevante Mängel an
Fahrzeugen in den wichtigen Automobilmärkten immer weniger
akzeptiert, gerade auch weil Kunden über länderübergreifende
Internet-Blogs und Newsgroups sehr gut informiert sind.
Sicherheitsrelevante Mängel können zu Todesfällen und Verletzungen
der Autofahrer führen und darüber hinaus den Herstellern
Imageverluste und hohe Kosten verursachen. Aktuell klagt die
US-Verkehrsicherheitsbehörde NHTSA Hyundai/Kia wegen möglicher
Todesfälle eines Airbagversagens an. Allein die Kosten für diesen
Rückruf von 425.000 Fahrzeugen beziffert das Unternehmen auf 575 Mio.
US-Dollar.
Das Qualitätsmanagement vieler Automobilhersteller trägt vielfach
noch nicht den neuen globalen Produktsicherheitsanforderungen
Rechnung. Manche Hersteller und Zulieferer betreiben zur kurzfristigen
Gewinnmaximierung eher reaktive Qualitätsmanagementsysteme mit
nachsorgender Mängelbeseitigung, teilweise unter billigender
Inkaufnahme von Unfällen wie im Fall von Takata. Vor dem Hintergrund
veränderter Entwicklungs- und Produktionsbedingungen und neuen
Technologien und Funktionen im Fahrzeug sind jedoch proaktive und
vorsorgende Produktqualitätsstrategien notwendig, bei denen
umfassende und langfristige Kosten-/ Nutzenbetrachtungen im
Mittelpunkt stehen müssen.
Studienleiter Stefan Bratzel: „Das Qualitätsmanagement
der Hersteller muss vor dem Hintergrund neuer technischer
Anforderungen sowie einer wachsenden Sensibilität der Öffentlichkeit
eine deutlich höhere Relevanz in Automobilunternehmen erlangen. So
entsteht etwa künftig neuer Kundennutzen durch Elektromobilität,
Vernetzung und (teil-)autonome Fahrfunktionen. Aber es steigen dadurch
auch in erheblichem Maße die Risiken. Die Cyber-Security von
Fahrzeugen wird zum großen Sicherheits- und Qualitätsthema der
Branche aufsteigen, das wesentlich über die Akzeptanz von neuen
Wachstumsfeldern der Automobilindustrie entscheidet.“
Vor diesem Hintergrund müssen künftig auch Behörden wie das
Kraftfahrtbundesamt in Deutschland komplexere Kontrollaufgaben
übernehmen und Verbraucher und Öffentlichkeit transparent
informieren. Hier besteht noch Handlungsbedarf.
Zur Studie: Die Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller im
Jahr 2017 (AutomotivePeformance 2018)
Das Center of Automotive Management (CAM) analysiert seit dem Jahr
2005 jährlich die Rückrufe der globalen Automobilhersteller. Als
Referenzmarkt wird dabei die USA gewählt. Der US-Markt ist aufgrund
seiner Absatzgröße, der relativ scharfen Sicherheitsrichtlinien und
vor allem des hohen Klagerisikos ein aussagekräftiger Indikator für
die Produktqualität der Automobilkonzerne. Ein Rückruf wird von der
National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) in den USA
registriert, wenn ein sicherheitsrelevanter Defekt an einem Fahrzeug
auftritt oder das Fahrzeug bzw. dessen Teile nicht den
Sicherheitsstandards entsprechen. Auslöser von Rückrufen sind
häufig Beschwerden und Informationen zu Fahrzeugmängeln, z.B. von
Autofahrern, die der NHTSA angezeigt werden.
Kommt ein Hersteller seiner Anzeigepflicht nicht nach oder verzögert
er einen Rückruf drohen hohe Strafen sowie Klagen in Millionenhöhe.
Die Rückruf-Trends geben Hinweise darauf, dass die Produktqualität
– gerade auch im Hinblick auf sicherheitsrelevante Merkmale im
Fahrzeug – ein kritisches Thema der Branche bleibt, das nicht nur zu
einer enormen direkten Kostenbelastung führen, sondern auch das Image
von Fahrzeugherstellern enorm belasten kann.
Strukturelle Ursachen für wachsende Qualitätsprobleme
1. Steigende technische Komplexität des Fahrzeugs
Die technische Komplexität der Fahrzeuge ist in den letzten 10-15
Jahren enorm gestiegen, wodurch die Fahrzeuge zwar grundsätzlich
sicherer geworden sind. Allerdings führte die technische Komplexität
auch zu einem Anstieg der Fehlerhäufigkeit und Fehleranfälligkeit.
Hierzu tragen u.a. passive und aktive Sicherheitssysteme (wie ABS,
ESP, Airbags; Fahrassistenzsysteme) bei, die gleichzeitig die
Fahrzeugsicherheit deutlich erhöht haben. Darüber hinaus sind
motortechnische Optimierungen (Start/Stopp-Systeme, Aufladung etc.)
sowie zahlreiche Komfortmerkmale wie etwa Navigations-, Telefon und
Internetdienste im Fahrzeuge zu nennen. Es ist zu erwarten, dass im
Zuge der Entwicklung weiterer Komfort- und Sicherheitsfeatures sowie
von Vernetzung und Softwarefunktionen auch künftig der
Komplexitätsgrad der Fahrzeuge deutlich zunimmt.
2. Zunahme der Entwicklungsgeschwindigkeit aufgrund gestiegener
Wettbewerbsintensität
Die Produktentwicklungszyklen wurden in den vergangenen 10 Jahren
deutlich verkürzt. Aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität der
Branche bringen die globalen Hersteller in immer kürzerer Zeit neue
Modelle bzw. Derivate in Umlauf und verbreitern damit ihr
Produktportfolio kontinuierlich. Wer es schafft, mit neuen Modellen
bzw. -varianten schnell am Markt zu
sein, hat im globalen Wettbewerb Vorteile. Der hohe Zeitdruck in der
Produktentwicklung wirkt sich negativ auf die Qualitätssicherung aus.
3. Wertschöpfungsverlagerung und Globalisierung der Entwicklung
und Produktion
Um Kosten-, Zeit- und Innovationsvorteile zu realisieren, wurden
erhebliche Teile der Wertschöpfung auf die Automobilzulieferer
übertragen. Ihr Wertschöpfungsanteil ist mittlerweile auf rund 75
Prozent gestiegen. Gleichzeitig steigen mit dieser Verlagerung die
Anforderungen an unternehmensübergreifendes Qualitätsmanagement,
das darüber hinaus auf globaler Ebene sichergestellt werden muss. Es
muss einerseits nicht nur die eigene Produktqualität, sondern auch
durch geeignete Prozesse die Teilequalität der globalen Lieferanten
gesichert werden. Andererseits steigt die Komplexität eines
Qualitätsmanagement auch dadurch, dass die Automobilhersteller nicht
nur die zugelieferten Teile, sondern meist auch die Qualität der
international verteilten Produktionsanlagen ihrer Zulieferer
einschätzen und durch Prozesse absichern müssen.
4. Erhöhter Kostendruck als Gefahr für Produktqualität
Die Automobilhersteller stehen aufgrund der hohen
Wettbewerbsintensität auch unter enormen Kostendruck. Gleichzeitig
geben die Hersteller den Kostendruck an die Automobilzulieferer
weiter, die dazu angehalten sind, ihre eigene Kosten bzw. die ihrer
Teile- bzw. Rohstofflieferanten zu drücken. Hier besteht die Gefahr,
dass der Kostendruck auf zu Ungunsten der
Teile- bzw. Produktqualität geht.
5. Baukasten- und Gleichteilestrategie
Um Kosten zu sparen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen,
müssen die Hersteller zunehmend auf Gleichteile- bzw.
Baukastenstrategien setzen. Hierbei nutzen die OEM die gleichen
Komponenten und Module in möglichst vielen Modellen, um von den
hiermit verbundenen Mengeneffekten zu profitieren. So plant BMW etwa
die Zahl der hergestellten Fahrzeuge je Plattform bis zum Jahr 2019
etwa zu verdoppeln, Volkswagen (durch die Einführung des MQB) diese
sogar fast zu verdreifachen. Diese Strategie entwickelt sich zu einem
wichtigen Erfolgs- und Überlebensfaktor der Hersteller, da sich aus
ihr erhebliche Kostenvorteile ergeben können.
- Prof. Dr. Stefan Bratzel
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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