Der schwierige Weg zurück
Warum es Menschen mit psychischer Erkrankung schwerer haben
Bergisch Gladbach - Die langfristigen Auswirkungen der
Corona-Pandemie auf die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen sind
noch nicht abzusehen. Wissenschaftler und Experten aus dem Bereich der
Versorgungsforschung prognostizieren aber einen Anstieg von
psychischen Anpassungsstörungen, Angsterkrankungen, Depressionen oder
Traumafolgestörungen.
Im Interview erläutern Chefärztin Veronika Friedel und Chefarzt PD
Dr. med. Fritz-Georg Lehnhardt von der Klinik für Psychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik am Evangelischen Krankenhaus Bergisch
Gladbach die Situation.
Welche Auswirkungen der Corona-Krise stellten aus Ihrer Sicht zu
Beginn der Pandemie eine besondere psychische Belastung dar?
Friedel: Die erste Phase der Pandemie war durch den konsequenten
„Lockdown“ mit bisher nicht für möglich gehaltenen staatlichen
Eingriffen in unseren normalen Lebenskontext gekennzeichnet. Innerhalb
kürzester Zeit kam es durch die „soziale Distanzierung“ zu
erheblichen Abbrüchen in unseren gewohnten sozialen Beziehungen. Bei
vielen Menschen führte der drohende oder bereits realisierte Verlust
des Arbeitsplatzes erstmals auch zu ganz konkreten, finanziellen
Ängsten. Im beruflichen Alltag zeigte sich für viele Eltern die
Verbindung von „Home-Office“ und „Home-Schooling“ als
besonders belastend. Diese Aufzählung könnte sicher um viele weitere
Punkte fortgeführt werden.Lehnhardt: Um die Akzeptanz dieser
politischen Entscheidungen zu sichern, erfolgte eine umfassende,
wissenschaftlich begleitete und häufig auch sehr prägnant
formulierte Informationskampagne. Lange Zeit war es einem kaum
möglich, sich dieser massiven und teilweise beängstigenden
Informationsflut zu entziehen. Die Beschreibungen der medizinischen
Folgen einer Covid-19 Infektion und der Blick auf zusammenbrechende
medizinische Versorgungssysteme in unseren Nachbarländern haben
sicherlich dazu beigetragen, sich über den absoluten Ernst der Lage
klar zu werden. Dazu kamen natürlich die Ängste um die eigene
Gesundheit und die Gesundheit unserer Angehörigen, Kinder und
Großeltern. Das alles hat plötzlich unser Denken und Fühlen in
unserem Lebensalltag dominiert. Insbesondere, wenn man sich selbst
oder die nächsten Angehörigen wegen gesundheitlicher Vorerkrankungen
plötzlich in einer sogenannten „Risikogruppe“ wiederfand.
Warum sind Menschen mit psychischer Vorerkrankung besonders von der
Corona-Krise betroffen?
Lehnhardt: Menschen mit psychischen Vorerkrankungen waren schon in
dieser ersten Phase der Pandemie stark benachteiligt. Zum einen ist
ihre gesundheitliche, soziale und finanzielle Situation häufig
bereits beeinträchtigt. Durch die Neigung zur Entwicklung von
Ängsten und Depressionen können sich psychische Belastungen in der
Corona-Krise ungleich stärker auswirken. Konflikte in der
Partnerschaft oder innerhalb der Familie können schlechter
ausgeglichen werden, Suchterkrankungen können sich verstärken. Nicht
selten fehlen aber auch schlichtweg vertraute Personen, um über die
Ängste und Sorgen zu sprechen. Besonders schlimm war, dass
Unterstützungen durch professionelle Bezugspersonen des ambulanten
Hilfesystems durch die Kontaktsperren über lange Zeit weggefallen
sind und teilweise auch weiterhin sind.Friedel: Interessanterweise
blieben in den ersten drei Monaten der Corona-Krise die Kontaktrate
und die Belegung in unserer Klinik, aber auch in den meisten anderen
psychiatrischen Kliniken zunächst deutlich unter dem
Jahresdurchschnitt. Neben der Angst vor Ansteckung in einer Klinik
könnte hier auch ein „Umschalten in den Krisen-Modus“
psychologisch wirksam gewesen sein. Vielleicht haben sich aber auch
der gesellschaftliche Konsens über die Gefährlichkeit des Virus, die
weitgehende Akzeptanz der für alle geltenden Schutzmaßnahmen und ein
Gefühl der Verbundenheit über alle Bevölkerungsgruppen hinweg
zunächst mal stärkend auf die Psyche ausgewirkt.Wie haben Sie den
weiteren Verlauf der Corona-Krise bisher erlebt? Friedel: Die zweite
Phase der Corona-Pandemie ist durch die schrittweisen Lockerungen der
Schutzmaßnahmen gekennzeichnet. Ganz individuell muss hier nun jeder
die Balance zwischen einer Aufrechterhaltung der Wachsamkeit und dem
Rückweg in etwas Normalität finden. Und auf diesem Weg müssen
fortlaufend Anpassungen vorgenommen werden, je nachdem, wie sich das
Infektionsgeschehen in unserer Region weiterentwickelt.
Wie schätzen Sie die psychischen Auswirkungen der bisher erfolgten
Lockerungen ein?
Lehnhardt: Aus psychologischer Sicht ist zu erwarten, dass mit einer
vermeintlich nun abklingenden Pandemie auch die innere Anspannung von
den einzelnen Menschen abfällt. Das ist sicher erstmal gut. Das
Abschalten des bisher schützenden „Krisen-Modus“ kann aber bei
einzelnen Menschen auch dazu führen, dass bisher unterdrückte
Gefühle von Sorgen, Angst und Erschöpfung mehr Raum gewinnen und
sich zu einer Belastung im Lebensalltag entwickeln. Menschen mit
psychischen Vorerkrankungen sind hier wiederum deutlich stärker
gefährdet.
Worauf sollten die Menschen mit, aber auch ohne psychische
Vorerkrankungen jetzt besonders achten?
Friedel: Das Auftreten psychischer Warnsymptome sollte frühzeitig
erkannt und ernst genommen werden: die beständige Sorge um das eigene
oder fremde korrekte Verhalten im Alltag, fortbestehende Ängste vor
Menschenansammlungen, das Auftreten von Schlafstörungen, eine
ungewöhnliche Gereiztheit, wiederkehrende negative Gedanken über die
eigene Person, quälende Zukunftsängste oder ungewohnte
Schwierigkeiten in der Konzentration und Leistungsfähigkeit können
Symptome einer psychischen Überlastung darstellen.
Was ist dann zu tun, wenn diese Symptome von den Menschen erkannt
werden?
Lehnhardt: Werden diese Symptome von den Betroffenen wahrgenommen und
als psychische Reaktionen erkannt, können schon einfache Maßnahmen
häufig sehr hilfreich sein: gegenüber vertrauten Personen diese
Gefühle offen ansprechen, soziale Kontakte wieder aufnehmen, für
eine ausreichende Tagesstrukturierung, regelmäßige körperliche
Bewegung und eine gesunde Ernährung sorgen. All diese eigentlich
einfachen Maßnahmen können unsere psychische Widerstandskraft
schrittweise stärken.Und wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen?
Friedel: Führen solche einfachen Maßnahmen nicht zu einer deutlichen
Verminderung der psychischen Belastung, sollte professionelle Hilfe
aufgesucht werden. Dazu gehören zunächst der Hausarzt oder die
zahlreichen Internet-Angebote, oder aber auch das Krisentelefon
unserer Psychiatrischen Institutsambulanz hier am EVK. Hier kann
sowohl eine telefonische Beratung als auch eine persönliche
Vorstellung zur Einschätzung, Beratung und Informationsvermittlung
erfolgen.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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