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Aus 2015 gelernt?
Zuhause auf Zeit

Flüchtlingsauto frisch aus der Ukraine nach russischem Beschuss | Foto: ASB Bergisch Land e.V.
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  • Flüchtlingsauto frisch aus der Ukraine nach russischem Beschuss
  • Foto: ASB Bergisch Land e.V.
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Seit Anfang März betreibt der ASB in Bergisch Gladbach eine Erstaufnahme-Einrichtung. Mit Improvisation und grenzenlosem Engagement ermöglichen Ehrenamtliche den erschöpften Menschen aus der Ukraine eine Verschnaufpause in Sicherheit.

„Ich kann nachts selbst nicht mehr schlafen, obwohl es für mich nur Erzählungen sind.“ Paul Kruk stockt die Stimme, wenn er den WDR-Journalisten vor laufender Kamera von seinen Eindrücken berichtet. Es sind Schilderungen aus zweiter Hand, die der ehrenamtliche Dolmetscher wiedergibt, für die Journalisten jedoch, die vom Alltag in der Unterkunft berichten sollen, sind sie Gold wert. Denn hineinsprechen in die Mikrophone und sagen, was ihnen widerfahren ist, will kaum jemand. Auch nicht die verzweifelte Krebspatientin, die Hals über Kopf ihre Chemotherapie abbrechen musste und jetzt im Bergischen gestrandet ist. „Paul, was wird nur aus mir?“ schaut sie den 64-jähigen Kruk an. Sie, die eigentlich dringend in ein Krankenhaus müsste, anstatt in einem Zwölfbettzimmer eines Wohncontainers am Otto-Hahn-Gymnasiums in Bensberg zu warten.

Der Pianist aus dem ukrainischen Cherson kam schon vor 26 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland. Kruk spricht Ukrainisch und Russisch und ist einer der Wenigen in der Einrichtung, bei dem sich mehrheitlich Frauen und Kinder aus Charkow, Kiew oder Odessa ausweinen oder um Rat bitten können. Doch auf diese Rolle ist er nicht vorbereitet. „Ich bin Musiklehrer, kein Psychotherapeut“, klagt der 64-jährige über den Mangel an professioneller Unterstützung, der auch ihn mitnimmt. Die Leute hätten nun regelmäßige Mahlzeiten und könnten in einem warmen Bett schlafen, was grundsätzlich gut sei, aber es fehle noch an professionellen Strukturen, um den schwer traumatisierten Menschen systematisch zu helfen.

Größer als 2015?
Sven Niederau pflichtet ihm bei. Der Leiter der ASB-Rettungsdienstes im Rheinisch-Bergischen Kreis ist mitzuständig für die Organisation der Unterkunft. Angesprochen auf die Situation trifft er eine klare Aussage. Der 34-jährige vermisst Unterstützung von höherer politischer Ebene und eine klare Botschaft, wie die Kommunen diese neue Flüchtlingswelle bewältigen sollen, die so viel größer zu werden droht, als 2015. „Vor Ort hängt noch fast alles von Ehrenamtlern wie Kruk ab, denen sehr viel aufgebürdet wird“, so Niederau. Auch die Freiwilligen der ASB-Katastrophenschutzeinheit Bergisch Gladbach seien vom ersten Tag an ununterbrochen im Einsatz und koordinierten die Betreuung der Menschen. „Registrierung, medizinische Versorgung, Kinderbetreuung, Besorgungen machen – diese ehrenamtlichen Strukturen tragen das Ganze –zumindest solange, bis wir genügend hauptamtliche Kräfte gefunden haben“, stellt Niederau fest. Auch die medizinische Betreuung im Haus ist freiwilliger Natur. „Wir sind froh, dass ein Medizinerehepaar ehrenamtlich für unsere Leute hier Sprechstunden abhält.“

Dringende Medikamente besorgen sie in Notfällen privat, denn chronisch-kranke Patienten mit akuten Beschwerden können nicht warten, bis sie einen niedergelassenen russisch- oder ukrainisch-sprechenden Arzt finden und ein Rezept ausgestellt bekommen. „Ohne die beiden müssten wir schwere Krankheitsfälle in die Notaufnahmen der umliegenden Krankenhäuser schicken und diese noch zusätzlich belasten“.
Der ASB betreibt die Einrichtung im Auftrag der Stadt Bergisch Gladbach. Bürgermeister Frank Stein (SPD) ist froh über die reibungslose Zusammenarbeit. „Wir freuen uns, dass wir mit dem Arbeiter-Samariter-Bund an der Saaler Mühle einen starken Partner gefunden haben“, zeigt sich Stein zufrieden. Neben den Akteuren vor Ort seien die Kolleginnen und Kollegen der städtischen Behörden nach wie vor mit der Krisensituation voll ausgelastet. „Die Stadtverwaltung zeigt in allen Abteilungen, Organisationen und Betrieben, dass sie sich mit viel Engagement für die Menschen aus der Ukraine einsetzt, dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Stein.

Auf den Rücken der Kommunen
Weniger gelte das für die Unterstützung von Land und Bund. Bergisch Gladbach fühle sich, wie so viele Kommunen in der momentanen Situation, alleine gelassen und fordere mehr Transparenz, wie viele Menschen wann in der Stadt eintreffen, um Planungssicherheit für die nächsten Wochen und Monate zu haben, so der Stadtchef. Fazit: Alles funktioniert momentan irgendwie auf den Rücken der Kommunen, aber nicht auf Dauer.

Von all dem unbeeindruckt zeigt sich der gut 20 Jahre alte Daewoo Lanos, der vor den Wohncontainern an der Saaler Mühle parkt. Das Fahrzeug wirkt mit seinen zerschossenen Scheiben und Einschusslöchern in der Frontscheibe und Karosserie wie ein rollendes Antikriegsdenkmal. Der bedauernswerte Zustand des Wagens steht im Kontrast zur unglaublichen Leistung, die er vollbracht hat. Trotz heftigen Beschusses durch die russische Armee konnte eine Mutter mit zwei Kindern mit diesem Auto aus dem umkämpften Charkow flüchten und über 2.000 Kilometer durch Europa fahren – hinein in eine ungewisse Zukunft.

Spenden für die Ukraine-Hilfe des Arbeiter-Samariter-Bundes? Infos unter Spenden für die Ukraine!

LeserReporter/in:

Marco Wehr aus Bergisch Gladbach

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