Revolte! im Haus der Geschichte
Eine Auswahl Ludwig Binders politischer Bilder
Bonn - Und plötzlich ist alles wieder da: Die Wasserwerfer, die Wut, das
Getöse, wenn die Autos umfallen. Oder die nächtelangen Diskussionen,
in denen man Adorno zitierte, ohne ihn je wirklich zu verstehen. Wer
einer der 68er ist, erlebt sein persönliches Waterloo nach, wenn er
in die Ausstellung im Pavillon des Hauses der Geschichte geht. Und die
Fotos von Ludwig Binder sieht.
Bis zum 11. März 2018 sind sie im Pavillon und der U-Bahn-Galerie zu
sehen. Ludwig Binder war ein begnadeter Bildjournalist aus Berlin.
Für die Tageszeitung „Abend“ fotografierte er. Das Besondere:
Durch sein sicheres Auge und seine innere Distanz zum jeweiligen
Geschehen gelangen ihm Aufnahmen, wie sie im Bereich der
Pressefotografie selten sind: Die Motive zeigen, wie die objektive
Kamera aufgrund seines subjektiven Berichterstatterauges die
Geschehnisse festhielt. Durch die so gewonnene Authentizität lassen
die Fotos jedem Betrachter die Freiheit, sich selbst ein Bild von der
jeweiligen Situation zu machen. Und so packt die Szenerie jeden.
Beinahe magisch.
Der völlige Verzicht auf Effekthascherei – die digitale
Nachbearbeitung war noch Jahrzehnte weit weg – lässt die
Straßenkämpfermentalität damaliger Studenten tagesaktuell
erscheinen. Warum sie so verzweifelt kämpften: Das zu beurteilen, ist
die Sache kluger Bücher, die es mittlerweile zu Hauf gibt. Die
Dokumente des Tageszeitungs-Fotografen aber halten das fest, was ist.
Und interpretieren nicht. Sie erklären nicht, sie zeigen nur. Gerade
das macht sie so beklemmend. Wenn etwa die Schuhe von Rudi Dutschke
nach einem Attentat auf ihn verloren auf der Straße stehen, dann
nimmt einen das auch heute noch gefangen. Oder das Foto von Benno
Ohnesorge, wie er schwer verletzt am Boden liegt.
Zeitgeschichte, so nennt man das wohl. Ludwig Binder, der Fotograf,
war dabei. Jim Rakete, selbst berühmt für seine schwarz-weiß
Portraits berühmter Persönlichkeiten und einst bei Ludwig Binder in
der Lehre, erinnert sich „Herr Binder war immer als erster da. Er
antizipierte Ereignisse. Wusste einfach immer, was als nächstes
passiert. Und war schon da, bevor es geschah. Deshalb konnte er so gut
fotografieren. Seine Bilder haben eine eigene Aussage, sie sind alles
andere als beliebig.
Die ganze Ernsthaftigkeit und Verbitterung, die dem damaligen Kampf
gegen Autorität und Autoritäten innewohnte, sie kommt unmittelbar
rüber. Gut, dass manche Besucher mittlerweile den Abstand haben vom
erbittert geführten Kampf gegen das Establishment und für
gesellschaftliche Veränderungen. Einer Dame, die Rudi Dutschke wild
eifernd mit rollenden Augen rennend auf der Straße fotografiert
sieht, sagt zu ihrer Begleitung: „Och, was war der klein.“
Ansichtssache.
Infos kompakt
REVOLTE! Fotografien von Ludwig Binder 1967/1968
Pavillon des
Haus der Geschichte
Willy-Brandt-Allee 14
53113 Bonn
- Harald Weller
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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