„Teestube mit Herz“
Wo Träume Flügel haben
Tannenbusch - Seit mehr als 10 Jahren gibt es die „Teestube mit Herz" im
Gustav-Heinemann-Haus in der bisherigen Form. Wir fragen uns, wie das
gastliche Haus in der nüchternen Umgebung so lange überleben
konnte.
„Ich bin hier über den Blindenverein reingekommen", erzählt Lisa.
„Die haben sich immer mittwochs hier getroffen. Um anschließend
nebenan schwimmen zu gehen. Und hinterher waren sie wieder hier."
Hier, das ist die Teestube im Tiefparterre des
Gustav-Heinemann-Hauses. Nichts Aufwändiges: Ein langer Tisch, ein
Tresen, Platz für rund 30 Leute. Heute gibt‘s Käse-Sahne. Weil
jemand 90 geworden ist. „Der Kuchen schmeckt ... nach mehr", lacht
Lisa. Warum sie hier ist? „Hier hilft man sich gegenseitig, den
Alltag zu bewältigen", erzählt sie. „Wenn einer nicht mehr laufen
kann, wird er eben abgeholt. Und wenn einer nicht nach Hause kommt,
wird er eben weg gebracht."
Es sind eben nicht der Tee oder Kaffee oder das Gebäck, das die Leute
herbringt. Es sind die Lebensgeschichten, die hier ausgetauscht
werden: „Ich habe ein bewegtes Leben hinter mir", erzählt Hans
Föhmer. Er ist 91, und „noch fit im Kopf. Auch sonst geht es noch."
„Ich habe alle Länder der Welt gesehen", berichtet er von seinen
Reisen. Und da hat er ‚ne Menge erlebt. „Wenn einer eine Reise
tut, dann kann er was erzählen". Da kann man wohl sagen. Afrika,
Südamerika, all das läuft vor dem geistigen Auge der Zuhörer ab.
Wie es da aussieht, was es da gibt. Und dann der Beruf: Hans Föhmer
war zig Jahre lang im Verlags- und Zeitungswesen. Und wenn er
erzählt, leuchten seine Augen. Er hat nicht nur ein bewegtes, sondern
auch ein erfülltes Leben hinter sich. Wie die anderen, die sich hier
treffen. „Wir sind im Laufe der Zeit zur verschworenen Gemeinschaft
geworden, wünschen uns aber frisches Blut für unseren Kreis",
berichtet Teestuben-Betreiber Karl-Josef Ströher. Der wundert sich,
dass sein Angebot nicht häufiger angenommen wird: „Wir treffen uns
jeden Mittwoch ab 16 Uhr. Zum Gedanken-Austausch."
So bewältigen sie ihre Einsamkeit, ihren Alltag. „Ich freue mich
immer wieder auf den Austausch mit Menschen", sagt die - junge -Mandy
Lindner, die hier als ehrenamtliche Bedienung arbeitet. Bedienung ist
gut: Sie ist die junge Mutter der Kompanie. Hört sich Alltagssorgen
an. Bietet Lösungen. Hört zu. Gibt Tipps. „Hier hat jeder für den
anderen ein offenes Ohr, das ist ein Geben und Nehmen", meint sie.
Jeder ist willkommen. Ob mit oder ohne Behinderung. Ob Flüchtling
oder Deutscher. „Und das Programm machen die Leute sich selbst", so
Karl-Josef Ströher.
Wie das denn bezahlt wird? „Auf dem Tisch steht ein Sparschwein. Das
wird nach Lust und Laune gefüttert. Davon werden die Aufwände
bezahlt." Schon mal über einen Namenswechsel nachgedacht? „Ja, wir
wollten schon mal einen englischen Namen haben, sind aber dann doch
bei der Teestube geblieben." „Der Umgang mit den Menschen, etwas
zurückgeben zu können". Das ist auch der Antrieb für Heiner
Seebass, der privat im Sicherheitsgewerbe arbeitet. Heute ist er aber
ehrenamtliche Kraft hinter dem Tresen. Und hört, was die Leute zu
erzählen haben. Und das ist eine ganze Menge Interessantes. Da zieht
die ganze Welt an einem vorbei, hört man zu, was die Menschen so
erlebt haben. „Ich komme regelmäßig am Anfang des Jahres, um Lisa
und Jakob zu besuchen", sagt Natalia. Hier findet jeder ein offenes
Ohr. Auch wenn es um Probleme geht. Jeder hört jedem zu.
„Ich bin alt. Und fühle mich hier immer noch als Mensch", sagt
einer. Nachwuchs gibt‘s auch. Dorian ist da. Der Sohn von Mandy.
Gebannt lauscht sie den Geschichten einer Tee-Schwester. Eine
fröhliche Stimmung. Ein Schatz, den man sich bewahren sollte. Vor
wenigen Tagen waren wir in einer professionell geführten Einrichtung
vergleichbaren Kalibers. Da gab‘s nur Stress und Geschimpfe. Hier
nicht. Hier gibt es nur die pure Harmonie. Und echte Freundschaft. Zum
Nulltarif. Eine Insel der Glückseligen? Nein, aber eine Teestube mit
Herz. Da wo jeder an den anderen denkt. Und sich um ihn kümmert. Aber
bitte mit Sahne ...
- Harald Weller
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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