"Unheimlich": Ausstellung des Bonner Kunstmuseums
Das Innerste nach außen gekehrt
Bonn - (we). Wer noch nie melancholisch war, vielleicht gar nicht weiß,
was „Melancholie" ist, der muss unbedingt ins Bonner Kunstmuseum und
sich bei der Ausstellung „Unheimlich" das Bild gleichen Titels von
Edvard Munch ansehen. Dann weiß er es...
Bis zum 29. Januar 2017 ist die Ausstellung zu sehen. 110 Werke von 25
Künstlern sind präsent. Das sind nicht nur Bilder. Das sind die
vielmehr Arbeits-Ergebnisse von Menschen, die denen da draußen
mitteilen wollen, wie es bei ihnen da drinnen aussieht. Irre,
verstörend, kafkaesk. Gefangen in sich selbst, dem eigenen Körper,
der eigenen Wahrnehmung, den eigenen Ängsten, den eigenen Geistern
und Dämonen. In sich selbst und den von ihnen gemalten Innenräumen
Zuhause. Oder sich selbst fremd, entfremdet?
Was daran unheimlich ist? Da ist die Auseinandersetzung mit dem Raum,
dem eigenen Zuhause, der eigenen Existenz. Denn einen Raum braucht es
ja, will der Mensch existieren. Dieser Raum kann alles andere sein
außer ein heimeliges Heim. Er kann eben das Gegenteil bedeuten,
buchstäblich un-heimlich für die Seele. Und das ist reichlich
beschrieben und mitzuerleben. Die Bilder von Edvard Munch, der von
sich selbst sagte, dass Krankheit, Wahnsinn und Tod ihn ein Leben lang
begleitet haben, geben beredet Auskunft vom verzweifelten Kampf des
Einzelnen gegen die eigenen inneren Ängste. Und dass er seine
Schwester, die in einer Nervenheilanstalt untergebracht war, um die
eigene Depression zu bekämpfen, malte, wie sie von Kämpfen im
eigenen Hirn gepeinigt ihre „Melancholie" lebte, geht
unaussprechlich nahe.
Otto Dix: Lustmörder mit fanatisch präzisen Realitätssinn
gemalt
Auch Otto Dix lässt den Betrachter sein Seelenleben nachvollziehen.
Er, der den Lustmörder mit einem nachgerade fanatisch präzisen
Realitätssinn malte, und der sagte: „Wenn ich den Lustmörder nicht
gemalt hätte, wäre ich selbst zu einem geworden."
Das scheint ein Lösungsansatz für den Ausweg der Künstler aus ihrem
wie auch immer gearteten inneren Alptraum zu sein: Der Ausdruck der
Verzweiflung in Form und Farbe. Nun darf man sich die Künstler nicht
als unrettbar in Depression und Selbstzweifel gefangene Menschen
vorstellen. Die meisten von ihnen standen voll im Leben. Aber man
merkt schon, dass die Welt eines sensiblen Künstlers eine andere ist
als die einer robusteren Natur.
Das Museum setzt mit der Ausstellung auf Kontinuität, beschäftigt es
sich doch schon eine Reihe von Jahren mit existenzialistischen Fragen.
Und Phänomenen wie der Zeit und dem Raum.
Konfrontation mit eigenen Besorgnissen
Die unheimliche Ausstellung ist deshalb unheimlich, weil man sich mit
den eigenen Besorgnissen konfrontiert sieht. Sie ist zutiefst
menschlich, weil sie ohne Probleme die Gefühle der Künstler
transportiert. Die Qualität der Ausstellung liegt also in der
Qualität der Emotionen, die sie nicht nur weckt, sondern ohne jede
Anstrengung transportiert. Direkt und ohne Filter. Wie beim
Artistenwagten von Max Beckmann. Wo jeder Pinselstrich die
Verzweiflung und die Dynamik des Versuchs dokumentiert, der Einsamkeit
des gegenwärtigen Lebens zu entrinnen. Keine Frage, wer so malen
kann, ist ein Genie. Und wer so am Leben leiden kann, ein armes
Schwein.
„Ich lebe mit den Toten", so hat das Edvard Munch einst formuliert.
Er gibt seinen Toten, seinen Dämonen, Farbe und Form. So wie Max
Beckmann, Pierre Bonnard, Auguste Chabaud und viele viele andere.
Eines der Lieblingswerke des Kurators Volker Adolphs ist übrigens das
Selbstportrait von Léon Spilliaert. „Schauen Sie nur, wie das Bild
uns immer mehr in seinen Bann zieht", sagt er. „Hinein ins
Geschehen. Und das, obwohl alles dunkel ist. Und dann die Augen. Mit
ihrem irritierenden Glanz", beschreibt er das Werk. Rund 30 Adressen
umfasst das Verzeichnis der Leihgeber für die Ausstellung.
Herausgekommen ist ein Faszinosum: Ein Blick in die menschlichen
Abgründe. In das Intimste, das Menschen denken und fühlen.
Authentisch, teils morbid, unverstellt, zuweilen brutal. Grandios.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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