Vorfahrt Vernunft
Eine Frage der Vernunft

Initiatoren und Unterstützer - v.l.: Oliver Krämer, Dr. Hubertus Hille, Thomas Radermacher, Christian Faßbender, Stephanie Barfrede, Dirk Vianden, Mathias Johnen, Karina Kröber, Siwar Racho, Stefan Hagen und Jannis Vassiliou.  | Foto: Bonn.digital / Marc John
  • Initiatoren und Unterstützer - v.l.: Oliver Krämer, Dr. Hubertus Hille, Thomas Radermacher, Christian Faßbender, Stephanie Barfrede, Dirk Vianden, Mathias Johnen, Karina Kröber, Siwar Racho, Stefan Hagen und Jannis Vassiliou.
  • Foto: Bonn.digital / Marc John

Bonn (red). Die neue Kampagne „Vorfahrt Vernunft“ hat in der vergangenen Woche für große Resonanz unter Befürwortern und Gegnern der Bonner Verkehrspolitik geführt. Zu den Initiatoren zählen die Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg, Kreishandwerkerschaft Bonn‧Rhein-Sieg, Handwerkskammer zu Köln, Haus & Grund Bonn/Rhein-Sieg, Einzelhandelsverband Bonn Rhein-Sieg Euskirchen und City-Marketing Bonn.

Auslöser für die Gründung der Kampagne ist die aktuelle Situation auf Bonner Straßen, etwa die eingeschränkte Erreichbarkeit von Gewerbestandorten und fehlende Ladezonen.

„Vorfahrt Vernunft“ solle den Blick von Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit auf die schwierige Verkehrssituation lenken und Verbesserungen für die regionale Wirtschaft erzielen. „Die Kampagne richtet sich ausdrücklich nicht gegen eine Verkehrswende, sondern steht für eine Verkehrswende, aber durchdacht“, teilen die Initiatoren mit. Und weiter: „Wir wollen durch vernünftige und konstruktive Vorschläge erreichen, dass weniger Staus entstehen, Baustellen besser koordiniert und Liefer- und Ladezonen ausgeweitet werden.“

Im Frühjahr zeigte eine breit angelegte Umfrage der IHK und der Kreishandwerkerschaft bei ihren Mitgliedern, wie groß die Unzufriedenheit inzwischen ist. So hätten sich für 73 Prozent der Betriebe die Verkehrsbedingungen für PKW und LKW in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert. Über vier von fünf Betrieben seien jedoch auf PKW angewiesen und könnten nicht auf andere Verkehrsmittel ausweichen. 40 Prozent befürchten Einkommenseinbußen wegen der Verkehrslage, für sieben Prozent sei die Situation sogar existenzbedrohend.

„Für die Wirtschaft ist die Erreichbarkeit der Unternehmensstandorte und der Kunden ein wesentlicher Standortfaktor“, argumentiert IHK-Präsident Stefan Hagen bei der Vorstellung der Kampagne. „Für viele Betriebe, etwa Transport- und Logistikunternehmen, Speditionen, Lieferdienste oder Handwerksbetriebe, ist der Einsatz von KFZ schlicht alternativlos.“ Kreishandwerksmeister Thomas Radermacher sagt: „Die Unternehmen benötigen für ihre Fahrten zu Geschäften, Betrieben und Kunden immer mehr Zeit, finden häufig keinen Parkplatz oder müssen Strafzettel in Kauf nehmen.“ Folgen wie verzögerte Lieferungen, höhere Preise und abgelehnte Aufträge seien längst für Betriebe, Kunden und Geschäftspartner spürbar.

Die Kampagne rückt insbesondere vier Verkehrsprobleme in den Mittelpunkt, unter denen die Wirtschaft besonders leidet: Staus, Baustellen, Parkflächen und Ladezonen.

Beispiel Baustellen: Die Initiatoren der Verkehrskampagne sprechen sich für den Erhalt, den Ausbau und die Instandhaltung von Verkehrswegen aus. Dies gehe zwangsläufig mit Baustellen einher. Hier machte die Handwerkskammer gemeinsam mit den weiteren Initiatoren klar, dass viele Einschränkungen planbar sind und es künftig einer deutlich besseren Koordination bedarf. So müssen Bypässe offengehalten und eingerichtet werden, um das Verkehrsnetz zu entlasten.

Beispiel Staus: Um das durch ständige Staus belastete Bonner Verkehrsnetz zu entlasten, plant die Stadt unter anderem ein Radverkehrsnetz samt Vorrangrouten. Beispielsweise wird diskutiert, die Adenauerallee von zwei auf eine Fahrspur für Pkws pro Richtung zu verengen. Die jeweils freiwerdende Spur soll in sogenannte „Protected Bike Lanes“ verwandelt werden. Dieser Vorschlag ist aus Sicht der Initiative nicht ausgereift.

„Wir befürworten grundsätzlich ein Radwegenetz in Bonn. Dieses sollte jedoch von den PKW-Hauptverkehrsstraßen entkoppelt sein.“ Zudem sollte es nicht nur Vorrangrouten für Fahrräder geben, sondern auch Vorrangrouten für PKW und LKW“, so die Initiatoren.

Verkehrswende mit Potenzial und Chancen

Die Grünen-Ratsfraktion reagierte auf die Kampagne mit einer schriftlichen Stellungnahme: „Im Rahmen der Diskussion um die Bonner Verkehrswende ist eine zentrale Frage, wie sie sich auf Betriebe und Gewerbe in Bonn und der Region auswirkt. Wir sehen hier einige positive Aspekte: Aufwertung und gute Erreichbarkeit der Innenstadt, Verbesserung der Park- und Liefermöglichkeiten durch Anwohnerparkgebiete, Handwerkerparkausweise und häufigere Lieferzonen sowie mehr Platz auf den Straßen für alle, die auf das eigene Kraftfahrzeug angewiesen sind.“

Die Innenstadt und ihre Tiefgaragen seien nach wie vor aus allen Himmelsrichtungen sehr gut erreichbar und stark frequentiert, wie die Einfahrtszahlen zeigten. „Wir arbeiten beständig daran, die barrierefreie Erreichbarkeit und die Aufenthaltsqualität in der City zu verbessern und haben nach wie vor ein hohes Besucheraufkommen. Auch für andere Straßen wie die Kölnstraße und die Achse Rathausgasse / Am Hof / Wesselstraße sind bereits Beschlüsse zur Aufwertung getroffen und die Umgestaltung in der Planung. Es wird dort mehr Grün, breitere Gehwege und Platz für Außengastronomie geben. Das lädt zum Verweilen ein. Im gleichen Zuge schaffen wir vermehrte Lieferzonen. Der Lieferverkehr soll nicht mehr Fahrbahnen und Fußwege blockieren sondern sicher abgewickelt werden können. Wir erachten das als nennenswerte Verbesserung für die ansässigen Gewerbe und die Lieferanten“, sagt Stefan Freitag, Sprecher für Wirtschaftspolitik.

„Durch die Ausweitung von Anwohnerparkgebieten schaffen wir nicht nur Entlastung beim Parkdruck und bessere Bedingungen für die jeweiligen Anwohner_innen. Auch Handwerksbetriebe und ambulante soziale Dienste können mit einem ‚Handwerkerparkausweis‘ auf Bewohnerparkplätzen parken sowie gebührenfrei und ohne Beachtung der Höchstdauer an Parkuhren und im Bereich von Parkscheinautomaten. Dies stellt gegenüber der bisherigen Situation eine erhebliche Verbesserung für gewerblich bedingte Fahrten dar. Im Rahmen der Fahrradstraßen schaffen wir mehr Raum für geübte und ungeübte Radfahrer_innen. Dafür müssen leider einige Parkplätze entfallen. Gleichzeitig werden auch hier Lieferzonen geschaffen und es wird in den Straßen ein eingeschränktes Halteverbot eingeführt, was bedeutet, dass genug Platz und Gelegenheit dafür besteht, schwere Waren oder auch Werkzeuge ein- und auszuladen“, betont Rolf Beu, verkehrspolitischer Sprecher.

Friederike Dietsch, Sprecherin für Umweltpolitik, erklärt darüber hinaus: „Jeder, der aufs Fahrrad oder in den Bus steigt, jede die zu Fuß geht, bewirkt mehr Platz auf den Straßen und bessere Durchfahrt für all diejenigen, denen diese Alternativen nicht zur Verfügung stehen.“

Lebensqualität als Standortfaktor

Deutlich kritischere Töne folgten vom Radentscheid Bonn: „Jetzt hilft kein Weiter-so. Wir brauchen neue Konzepte, um Mobilität zu erhalten und damit unsere Stadt weiter lebenswert bleibt.“ Eine lebenswerte Stadt gehöre mit zu den wesentlichen Faktoren eines Wirtschaftsstandortes, der nicht nur Industrie und Handwerk fördere, sondern auch Forschung, Entwicklung und Dienstleistung. „Hier orientieren sich potenzielle Mitarbeitende oft eher an Standortfaktoren wie Kindergärten, sicheren Schulwegen, einer lebendigen Stadtkultur und der gefühlten Lebensqualität.“

Kritik von Bonner Klimaschutzgruppen

In einer gemeinsamen Stellungnahme verschiedener Bonner Klimaschutzgruppen, darunter unter anderem Parents 4 Future, BUND, ADFC und Extinction Rebellion, kritisierten die Gruppen die Kampange ebenfalls: „Was nach vier Jahren Klimanotstand in Bonn und merklich fortschreitender Klimakrise von vielen erwartet wird und geradezu überfällig ist, bietet die IHK nicht an: Es gibt von ihr keine schlüssigen Konzepte und praktikablen Forderungen, mit denen die Wirtschaft schneller und einfacher klimaneutral werden kann und womit sie sich gegenüber anderen Regionen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Stattdessen richtet sie sich im Blockade-Modus ein und erweist der Wirtschaft wie der gesamten Stadt Bonn damit einen Bärendienst.“

„Die Blockadehaltung diskreditiert auch sinnvolle Forderungen der IHK, wie die nach Erleichterungen beim Solar-Ausbau, oder wichtige Denkanstöße wie jenen, über eine City-Maut nachzudenken. Dr. Antje Herbst von Parents for Future Bonn stellt fest: „Die IHK hat leider immer noch nicht verstanden: Jeder rechtzeitig und klug in den Klimaschutz investierte Euro verspricht hohe Gewinne in der Zukunft.“

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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