Fantasie trifft Analytik
Erste Students‘ Conference zum Thema Harry Potter
Bonn - (we). Es war schon toll. Ohne Unterlass haben sie gefachsimpelt,
gemutmaßt, wissenschaftliche Untersuchungen angestellt,
Charakterstudien betrieben, gar eine Psychoanalyse betrieben. 150
Studentinnen und Studenten der Anglistik mit ihren Gästen waren
voller Inbrunst beim Thema. Nur: Die Hauptperson ihres Interesses, die
gibt es gar nicht.
Wer wissen wollte, was die Fantasie im Menschen für analytische
Kräfte freisetzt, für den war sie ein absolutes Muss: Die erste
Students‘ Conference zum Thema Harry Potter im Festsaal der Uni.
Da wurde der wissenschaftliche Beweis erbracht, dass Harry eine
posttraumatische Störung hat: „Weil er eine schwere Kindheit als
Waise hatte und bei seiner Pflegefamilie viel Schlimmes erlebt hat.
Dazu seine traumatischen Erlebnisse mit Voldemort." Anne Mehler ist
Lehrbeauftragte an der Uni Leipzig. „Ich habe die medizinischen
Erklärungen mit den Auffälligkeiten bei Harry gegenübergestellt",
sagt sie. Und dabei hat sie eben belegt, dass Harry unter
posttraumatischen Störungen leidet. Festzumachen vor allem am achten
Band von Joanne K. Rowling.
Aber auch sonst gibt es viel zu erforschen. Zum Beispiel, was denn der
11. September mit Harry gemacht hat. „Insgesamt ist die Figur von
Harry vielschichtig", meint Denise Burkhard. Sie analysiert Harrys
Verhalten. Entsprechende Vorträge vertieften im ehrwürdigen Uni-Saal
das Wissen über die Figur. Humbug? „Das ist genauso ein Stück
Literatur wie die Klassiker", sagt Anglistik-Professorin Marion
Gymnich. „Vor allem kann man belegen, dass die sogenannte Fantasy
die Lebenswirklichkeit der Jugend und jungen Erwachsenen
widerspiegelt."
Das meinen auch Jule Lenzen und Franziska Göbel: „Die vielen
Veränderungen in Harrys Leben und wie er damit umgeht. Das kann man
aufgrund eigener Erfahrungen nachempfinden und wissenschaftlich
untersuchen." Harry Potter also als Parabel fürs Leben.
Für manche ein Fantasy-Roman, für andere ein Kriminalroman, für
weitere ein Jugendbuch, für wieder andere ein Spiegel der
Gesellschaft. Für die Autorin selbstredend auch ein fulminanter
literarischer und pekuniärer Erfolg. Für die 150 Potter-Adepten im
Festsaal der Uni auf jeden Fall Grund genug, ernsthaft zwei Tage lang
über Harry zu forschen.
Atmosphärisch dicht der Festsaal, der in geheimnisvolles Dunkel
getaucht war. Dazu die wissenschaftlichen Vorträge über Harry in
englischer Sprache. Fast hätte man meinen können, man befinde sich
im Hogwarts.
„Sicher, ein Vergleich etwa mit Goethe verbietet sich", sagt die
Literaturprofessorin. „Das ist eben ein ganz anderes Thema. Aber
eins, das spannend für die Studierenden ist", wie Prof. Marion
Gymnich sagt. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sich mit den
Helden zu identifizieren. Man muss ja schließlich nicht alles für
bare Münze nehmen, was einem so vorgezaubert wird.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.