"Mehr als nur ein Job"
Frank Überall erinnert sich an seine Zeit beim Schaufenster
Frank Überall war vor mehr als 20 Jahren freier Mitarbeiter beim
Schaufenster. Jetzt kommt er als Chef von Europas größter
Journalistenorganisation DJV zurück nach Bonn. Im Gastbeitrag
erinnert er sich an seine Zeit als „rasender Reporter“ (nicht nur)
in der Bundesstadt.
34 PS hatte mein Kleinwagen, mit dem ich von Termin zu Termin raste.
Als freier Journalist hatte ich beim Anzeigenblatt in Köln
angefangen. Eines Tages übernahm ein Kollege die Chefredaktion beim
„Schaufenster“, und er nahm mich mit. Heute habe ich gar kein Auto
mehr. Dafür bin ich viel zu viel mit Bahn oder Flugzeug unterwegs.
Die Zeit beim Schaufenster hat letztlich das Fundament gelegt für
meine weitere journalistische Laufbahn.
Der lokale Journalismus in Bonn hat mich für`s Berufsleben geprägt.
Die ständige Suche nach spannenden Geschichten in einer pulsierenden
Stadt hat mich fasziniert. Die damalige Nähe zu „großer“ wie
„kleiner Politik“ war einzigartig. Vom Bundestag bis zum Rathaus
reichten die Termine, bei denen ich Fotos machen und über die ich
Texte verfassen durfte. Es war ein Erlebnis, Oberbürgermeisterin
Bärbel Dieckmann im Karneval abzulichten, es war aber auch ein
Abenteuer, sich am Bundestagswahlabend gegenüber hunderten auch
internationalen Journalisten im Kampf um die beste Position
durchzusetzen, um den seinerzeitigen Kanzler Helmut Kohl auf Film zu
bannen.
Tatsächlich waren es damals noch Negativfilme, die wir mit unseren
Spiegelreflexkameras belichteten. Digitale Fotoapparate waren –
sofern es sie überhaupt gab – noch unerschwinglich teuer. Am Montag
kam nach vielen Wochenend-Terminen dann das große Zittern im Labor:
Die Erfolgskontrolle eines guten Fotos funktionierte nicht in
Sekundenbruchteilen auf Knopfdruck. So manche Nacht zum Montag konnte
ich vor Aufregung kaum schlafen, weil womöglich meine Bilder nichts
geworden waren.
Gelernt habe ich damals vieles: Themen schnell einschätzen, flotte
Texte schreiben, gute Blickwinkel für Fotos wählen. Damals habe ich
kaum darüber nachgedacht, dass ich meine Erfahrungen einmal als
Professor an einer Medienhochschule weiter geben würde. Eines ist mir
aus der Schaufenster-Zeit nie aus dem Kopf gegangen: Im Gegensatz zum
Fernsehen, das ich später viele Jahre für den WDR machen durfte, ist
die Zeitung ein ruhiges Medium. Deshalb sind Fotos beispielsweise von
Straßenfesten, auf denen viele Menschen zu sehen sind, (nicht nur) im
Anzeigenblatt immer beliebt. Wenn das gedruckte Schaufenster dann im
Briefkasten landete, war bei den Lesern die Freude groß, wenn sie
sich dort wiedererkannten. Oft war ich auf Straßenfesten oder
Konferenzen im Rheinland mit einer Klappleiter unterwegs, um
möglichst eindrucksvolle Bilder mit vielen Menschen einzufangen.
Der Erscheinungstag des Schaufensters war dann immer etwas Besonderes.
Ich wurde nie müde, die frisch angelieferten Exemplare der
verschiedenen Ausgaben in die Hand zu nehmen, wobei die
Druckerschwärze deutlich sichtbare Spuren hinterließ. Noch heute bin
ich gespannt darauf, dass ich einen Zeitungsartikel oder ein Buch aus
meiner Feder endlich als Belegexemplar in der Hand halten darf. Wer
– wie auch mein früherer Kollege Rolf Thienen, der immer noch
vergnügt seiner Tätigkeit als Redakteur beim „Schaufenster“
nachgeht – für diesen Job Beruf brennt, wird dieses Gefühl niemals
los. Journalismus ist halt nicht bloß ein Job.
In den 1990er Jahren war es nicht nur journalistische Pflicht, sondern
stets auch ein Erlebnis, kleine und große Veranstaltungen zu besuchen
und darüber zu berichten. Den Blick auf das Alltägliche, aber auch
das Besondere gerichtet. Ich habe damals ganze Filmvorräte durch die
Kamera gejagt, um die besten Szenen von „Pützchens Markt“
einzufangen. Mein Archiv quillt über vor dokumentierten
Schützenfesten, Kaninchenzuchtschauen oder Kabarettveranstaltungen.
Zu den Veranstaltungen, die ich damals für die Leserinnen und Leser
des Schaufensters dokumentiert habe, zählten auch politische
Kongresse. Ich hätte damals wahrlich nicht geglaubt, selbst einmal im
Mittelpunkt eines nicht unwichtigen Kongresses stehen zu dürfen –
und das auch noch in Bonn. 200 Delegierte aus der ganzen Republik
werden die mehr als 34.000 hauptberuflichen Journalistinnen und
Journalisten vertreten, die Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband
(DJV) sind. Die Gewerkschaft, die sich zugleich auch als Berufsverband
versteht, wird ihre politischen Weichen für das nächste Jahr
stellen. Und ich werde ganz vorne sitzen, oben auf der Bühne. Als
gewählter Bundesvorsitzender vertrete ich Europas größte
Journalistenorganisation.
Und ich werde auf diesem Ehrenplatz eine Tradition aus meinen
Schaufenster-Zeiten wieder aufleben lassen und die Teilnehmer
fotografieren: 200 engagierte Journalistinnen und Journalisten aus
ganz Deutschland. Unter dem Hashtag #bühnenblick habe ich mit diesem
Format bei twitter bereits angefangen. Ein bisschen ist das so wie
damals, zu meiner Reporterzeit im „Schaufenster“. Denn auch
Journalisten sehen sich manchmal gerne auf Fotos.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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