Mit Messer und Skalpell
Hier treffen Schattenriss und Cut-out aufeinander
Bonn - Ausgehend von Moritz Engert zeigt das Museum August Macke Haus in Bonn
an exemplarischen Beispielen die fulminante Vielfalt des
traditionsreichen Schattenrisses und seiner Weiterentwicklung hin zu
Cut-outs (rausgeschnitten). Anhand der Arbeiten der 16 Künstler und
Künstlerinnen, die in dieser Ausstellung vorgestellt werden, lässt
sich die Entwicklung des auf das Format bezogenen kleinen
Scherenschnitts hin zu wand- und raumfüllenden Werken, von strengen
schwarz-weiß Arbeiten bis hin zu bunten, filigranen, traditionelle
Motive aufnehmenden oder abstrakten Arbeiten verfolgen.
Mit dem Anbau, den das Museum August Macke-Haus Ende letzten Jahres
einweihen konnte, haben sich nicht nur die Rahmenbedingungen sowohl
der Dauerausstellung sowie der Wechselausstellungen erheblich
erweitert: Jetzt ist es auch möglich, mit neuen Ausstellungskonzepten
die inhaltlichen Entwicklungen des künstlerischen Umfeldes von August
Macke bis hin zur Gegenwart zu präsentieren.
So ist jetzt ein erster Ansatz dieser neuen Konzeption zu sehen, und
dieser gilt der alles andere als biederen Entwicklung vom
Scherenschnitt im herkömmlichen Sinn hin zu sogenannten Cut-outs.
Ausgangspunkt der Ausstellung „SCHNITTSTELLE. Cut-out trifft
Schattenriss“ bilden Werke von Moritz Engert, der dem
expressionistischen Freundeskreis von August Macke angehörte und
meisterhaft mit Schere und Papier umzugehen wusste, Personen
beschwingt portraitierte und Landschaften, Architekturen bildnerisch
auf ihre Grundstrukturen zu reduzieren wusste oder Gedanken eine
kontrastreiche Form gab.
Während Engert überwiegend mit der Schere arbeitete, nahmen Messer
und Skalpell schon bald deren Funktion ein und erlaubten damit eine
feinere, filigranere Textur der Schattenrisse einerseits, andererseits
aber auch eine großflächigere Gestaltung der Objekte. Und die
Bandbreite des Umgangs mit dem Werkstoff Papier nahm zu. Felix Droeses
überlebensgroße Darstellung von Personen in seiner Arbeit
„Antiterroreinheit unterwegs zu einem Begräbnis der Kunst“
präsentiert sich in kraftvollen, mit dem ‚ganzen Arm und
Körpereinsatz‘ geschnittenen Silhouetten in traditionell schwarzen
Karton, wohingegen Katharina Hinsbergs weiße Papierschnitte auf
weißen Hintergrund in fragiler Präzision winzigste ‚Cut-outs‘,
also Ausschnitte zeigen, die nur durch den minimalen Schatten, den sie
auf dem Hintergrund hinterlassen, zu erkennen sind.
Auch im Bereich der Farbigkeit zeigt sich die gesamte Vielfalt. Marion
Eichmanns ‚Laundromat‘ zeigt in knalliger Buntheit einen
Ausschnitt eines Waschsalons in originaler Größe und ihr gegenüber
setzt sich Andreas Kocks in ebenfalls wandfüllender, eigens für die
Bonner Ausstellung erstellter Installation mit dem Naturbezug in
Mackes Werk auseinander, wobei seine erstaunlich räumlich wirkenden,
an florale Motive erinnernden Schnitte einheitlich graphitgrau sind.
Den meisten in der Ausstellung vertretenen Künstler ist gemeinsam,
dass sie eine starke Affinität zum Zeichnen haben. So auch Hans
Lankes. Was ihn jedoch besonders an den Schattenrissen fasziniert, ist
ihre Doppeldeutigkeit. Auf der einen Seite ist es das nicht umkehrbare
Ergebnis eines Schnitts. Was weggeschnitten ist, ist weg und
hinterlässt eine scharfe Kante. Sie kann nicht mehr verändert
werden, retuschiert oder verwischt werden. Und so vereinen seine
‚Clouds‘, seine Wolken, ihre amorphe Struktur in manifester, nicht
mehr veränderbarer Form und zeigen ihre Vielfalt jeweils in
individueller Zusammensetzung in ihrer Präsentation im
Ausstellungsraum.
Doch wie der Schattenriss im Grunde genommen ja den Schatten von etwas
darstellt, werfen sie selbst, je nachdem sie angebracht werden, selber
Schatten, was in dem Phänomen des Schattens vom Schatten - der dann,
zumindest bei Hans Landes, auch noch farbig ist - resultiert. Peter
Schlemihl, der in Adalbert von Chamissos gleichnamiger
Märchenzählung seinen Schatten verkaufte, käme aus dem Staunen
nicht mehr raus.
Und auch Felix Droeses Position zum Schattenriss ist resolut: „Es
geht um das, was weggefallen ist oder das, was vorher da war und
hinterher nicht mehr da ist. Darum Schattenriss. Linie und Fläche.
Schwarz und weiß.“
Aber jeder, der die Ausstellung besucht, wird bemerken: Es gibt
darüber hinaus noch viel mehr zu ersehen. So z.B. meisterhafte,
verwirrende Falttechnik (wer hat, mit Verlaub bemerkt, in seiner
Kindheit nicht ein Blatt Papier zusammengefaltet und Muster darin
hineingeschnitten) oder Schablonen, wie sie z.B. Cornelia Genschow
für ein Graffiti verwendete. Sie begab sich auf Spurensuche nach dem
Standort für August Mackes Bild ‚Am Rhein bei Hersel‘, schnitt
nach Vorgabe von Gräsern eben jenes Ortes eine Schablone und sprayte
damit ein Graffiti, dass nun im Garten des Museums August Macke Haus
zu sehen und mit ihm dauerhaft verbunden ist.
Zum Schluss noch ein Zitat von Hans Lankes, zitiert nach dem Katalog:
„Es gibt immer ein Davor, Dazwischen und Dahinter:“ Also los,
machen Sie sich auf den Weg und erkunden Sie ein Universum, das die
meisten so noch nicht gesehen haben!
- Rolf Thienen
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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