Musical-Klassiker in gelungener Neuinszenierung: „West Side Story“ an der Bonner Oper

Theater Bonn (Opernhaus) am Rhein | Foto: privat
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Wer kennt nicht Leonard Bernsteins grandiose Melodien aus der „West Side Story“? Songs wie „Maria“, „Tonight“, „America“, „One Hand, One Heart“, „I Feel Pretty“ oder „Somewhere“ sind unsterblich.

Was am 26. September 1957 erstmals im Winter Garden Theatre (New York City) seine Aufführung fand, feierte in einer Neuinszenierung auch fast 62 Jahre später – am 15. September 2019 – am Theater Bonn wieder eine Premiere. Die vorliegende Rezension bezieht sich auf die Samstagabendvorstellung vom 5. Oktober 2019.

„West Side Story“, ein Klassiker des US-amerikanischen Musicals, entstammt einer Idee des Choreografen Jerome Robbins, das Buch von Arthur Laurents, die Musik von Leonard Bernstein und die kongenialen Gesangstexte von Stephen Sondheim.

Die Hintergründe

Die Vorlage zur „West Side Story“ lieferte William Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“, die ins Manhattan der 1950er Jahre versetzt wurde. Sollte die Geschichte ursprünglich in einem jüdisch-christliches Spannungsfeld spielen, entschieden sich die Urheber des Werkes letztlich für das Setting zweier rivalisierender Jugendgangs: „Jets“ und „Sharks“. Zwischen Tony, einem Mitglied der einheimischen „Jets“, und Maria, die zum Umfeld der aus Puerto Rico zugewanderten „Sharks“ gehört, entbrennt eine Liebe auf den ersten Blick – mit tragischen Folgen.

Zur Geschichte der Puerto-Ricaner ist auf Wikipedia folgende aufschlussreiche Passage zu lesen: „Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von Kämpfen um mehr demokratische Rechte von den Vereinigten Staaten. Der Foraker Act von 1900, der eine zivile Regierung etablierte, und der Jones-Shafroth Act von 1917, der den Puerto-Ricanern die Bürgerrechte der Vereinigten Staaten gewährte, ebneten den Weg zur Verfassung Puerto Ricos und den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 1952. Der politische Status Puerto Ricos bleibt jedoch auch mehr als 500 Jahre nach der ersten Besiedlung durch die Europäer umstritten.“

Politisch war der Hintergrund der „West Side Story“ zu ihrer Entstehungszeit also topaktuell. Auch heute, wo ein US-Präsident erst durch eine Naturkatastrophe erfahren musste, dass Puerto Rico ein Außengebiet der Vereinigten Staaten ist, ist die Thematik noch relevant. Puerto Rico strebt bis heute an, als US-amerikanischer Bundesstaat anerkannt zu werden.

Die Musik

Mancher Bonner wird sich noch an Leonard Bernstein zurückerinnern können, der Ende der 80er Jahre in der Beethovenhalle anlässlich des Beethovenfestes im 2000. Geburtstagsjahr von Bonn als Gastdirigent auftrat. Die Autorin dieses Artikels ist jedenfalls heute noch tief beeindruckt von einem Probenbesuch mit dem Maestro.

Zweifelsohne verlangt die Partitur der „West Side Story“ mit ihren verschiedenen Musikstilen und charakteristischen Rhythmen vom Orchester wie vom Dirigenten ein hohes Maß an Vielseitigkeit und Präzision. Das Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Hermes Helfricht (Musikalischer Leiter der Premiere: Daniel Johannes Mayr) stellte hier sein Können unter Beweis und schuf somit Kunst, die beim Publikum ankam.

Für die rechte Tonmischung während der Vorstellung und ein natürlich wirkendes Sounddesign sorgte Stephan Mauel.

Die Inszenierung

In Bonn ist die „West Side Story“ in deutscher Sprachfassung (Frank Thannhäuser und Nico Rabenald) (Die Übertitel von Wolfram Kastorp, Julia Kluxen-Ayissi und Andreas Schütte kamen aus technischen Gründen nicht zum Einsatz; vermisst habe ich persönlich sie nicht.

Die Neuinszenierung von Erik Petersen versetzt die Handlung in weiten Teilen in den Untergrund, denn sie spielt in einer Station der New Yorker U-Bahn. Daneben gibt es Szenen vor der Kulisse des Hauses, in dem Marias Familie lebt. Erik Petersens Regie hat bis in die allermeisten Details Hand und Fuß. Sprunghafte Handlungen der Charaktere, die oftmals plakativ agieren, sind dem Originalskript zuzuschreiben. So wirkt der verliebte Tony (hier: Jan Rekeszus) jeder Inszenierung reichlich naiv und blauäugig, bis er im Affekt eine tödliche Kurzschlusshandlung begeht. In der „West Side Story“ begegnen dem Publikum eher feststehende Charaktertypen als großartige Charakterentwicklungen. Dem Gesamtensemble kommt eine tragende Rolle zu, und dieses hat Erik Petersens Regie in starke Bilder gesetzt. Im zweiten Akt erschließt sich dem Zuschauer nicht alles automatisch. Dass sich die zwei toten Charaktere des ersten Aktes zu Beginn des zweiten Teils quicklebendig wieder auf ihre Totenposition begeben, das kann man so machen; warum erscheinen die Beiden später aber noch einmal auf der Bühne? Insgesamt gefällt die Inszenierung aber auch nach der Pause und lässt die (inklusive Pause) dreistündige Aufführung wie im Flug vergehen. Die Rolle des Sozialarbeiters Glad Hand, verkörpert von Stefan Viering, der auch den Polizisten Krupke mimt, fällt in Petersens Inszenierung stärker als in den meisten anderen ins Auge. Glad Handy Outfit eines – am Ende abgehalfterten – Showstars unterstreicht die Rolle in besonderer Weise.

Für Regieassistenz und Abendspielleitung zeichnete Rico Salathe verantwortlich, der zudem die Rolle des A-Rab verkörperte. – Dies kann man nur als bemerkenswert flexibel bezeichnen! Der mehrfache Einsatz mag jedoch auch ein Zeichen von Sparmaßnahmen sein, die kritisch zu bewerten sind, falls Sie überhand nehmen.

Das Element Tanz

Vor allem im ersten Akt der „West Side Story“ dominiert Tanz als Ausdrucksmittel. Die packende Choreografie von Sabine Arthold weist gerade zu Beginn des Stücks Elemente auf, die an die Originalchoreografie von Jerome Robbins erinnern. Sie entwickelt dann eine eigene Stilistik, die effektvolle Bilder auf die Bühne bringt. Hier denke ich zum Beispiel an den lateinamerikanischen Tanzcharakter der Puerto-Ricanerinnen oder die lasziven Bewegungen der Nachtclub-Tänzerinnnen, die Anitas „Somewhere“-Reprise umrahmen. Besonders beeindruckend sind die choreografierten Kämpfe der verfeindeten jungen Männer, denen sich auch eine Aussage entnehmen lässt: In ihrer Verblendung nehmen sich beide Parteien nichts; hier ist auch das Bewegungsrepertoire der Gangs gleich. Vor allem die Gangchefs und Kontrahenten Riff (Lucas Baier) und Bernardo (Andreas Wolfram) stechen hervor. Seit seiner Hamburger „Cats“-Zeit als Rum Tum Tugger hat Andreas Wolfram tänzerisch nichts verlernt!

Als Dance Captain und Darstellerin der Clarice – sowie in der besuchten Vorstellung zusätzlich der Graziella (Erstbesetzung: Beatrice Reece) hat Marina Petkov ganze Arbeit geleistet.

Das Element Schauspiel

Im zweiten Akt ist die „West Side Story” stärker als der erste Akt vom Schauspiel geprägt, das in der eindringlichen Schlussszene gipfelt. Hier hatte Maria-Darstellerin Sybille Lambrich ihren schauspielerisch stärksten Auftritt. Gesanglich stand sie Premierenbesetzung Marie Heeschen, die laut Theater-Homepage auch am 05.10. auf dem Spielplan gestanden hatte, garantiert in nichts nach.

Die Liste der Darsteller

Die „Jets“
Riff: Lucas Baier
Tony: Jan Rekeszus
Action: Roy Goldman
A-Rab: Rico Salathe
Baby John: Paul Csitkovics
Snowboy: Arvid Assarsson
Big Deal: Denis Edelmann
Diesel: Robert Lankester
Gee-Tar/Nibbles: Roberto Junior
Graziella/Clarice: Marina Petkov (Erstbestzung Clarice: Marina Petkov, Graziella: Beatrice Reece)
Velma: Karina Kettenis
Minnie: Martina Vinazza
Anybodys: Beatrice Reece (Erstbesetzung: Sybille Lambrich)

Die „Sharks“
Bernardo: Andreas Wolfram
Maria: Sybille Lambrich (Erstbesetzung: Marie Heeschen)
Anita: Amani Robinson (Erstbesetzung: Dorina Garuci)
Chino: Reginald Holden Jennings
Pepe: Domenico Poziello
Indio: Javier Ojeda Hernandez
Luis: Romeo Salazar
Anxious: Diego Federico
Rosalia: Kara Kemeny
Consuelo: Samantha Marie Senn
Teresita: Michelle Saget
Francisca: Marta Calandrino
Estella: Sharon Isabell Rupa

Die Erwachsenen
Doc: Josef Michael Linnek
Schrank: Daniel Berger
Krupke/Glad Hand: Stefan Viering

(Anmerkung: Alle Produktionsfotos des Theaterfotografen Thilo Beu zeigen die Premierenbesetzung.)

Die Ausstattung

Von elementarer Bedeutung ist in der Bonner „West Side Story“-Produktion die Ausstattung von Dirk Hofacker. Die über drei Ebenen konstruierte Subway-Station ist ein funktional vielseitiger Hingucker (Bühnenbildassistenz: Luisa Pahlke). Besonders die immer wieder einfahrende U-Bahn ist ein raffiniertes Bühnenelement, das bespielt wird. Hier kommt auch die Statisterie des Theater Bonn besonders gut zur Geltung.

Der Bühnenprospekt mit der dargestellten Hausfassade bildet einen visuell ruhigen Kontrapunkt zum lebendigen Bild des Bahnhofs mit all seinen Details wie zum Beispiel Docs Kiosk.

Thomas Roscher versetzte die Bühne in fließende Lichtstimmungen.

Bereits anhand der Kostüme (Kostümassistenz: Dieter Hauber) waren „Sharks“ gut von den „Jets“ zu unterscheiden: Bei den Puerto-Ricanern – die Mädels oft in schwingenden Röcken – herrschte Rot-Schwarz vor, während die gebürtigen Amerikaner blaue Jeans, bedruckte weiße T-Shirts und khakifarbene Bekleidungsakzente trugen. Die Rolle des Paares Maria/Tony wurde durch helle Kleidung hervorgehoben; Marias Wechsel vom Rock zur Hose ging mit ihrer selbstbewussten Entscheidung für einen der „Jets“ einher.

Nicht unerwähnt bleiben sollen stellvertretend für den gesamten Apparat folgende Theatermitarbeiter, die im Hintergrund wirken: Pauli Jämsä (Studienleitung), Miho Mach (Korrepetition), Tilla Foljanty (Inspizienz), Karsten Sandleben (Inspizient der besuchten Vorstellung) sowie Paula Kern (Regiehospitanz).

Das Fazit

Die ein oder andere Rolle stelle ich mir optisch (Maske?) einfach anders vor; das Äußere widersprach auch an einer Stelle der Personenbeschreibung im Text, aber hier handelt es sich um eine Kleinigkeit. Die Vorstellung verlief durchweg rund; die auffälligste kleine Panne, war ein herunterfallendes Microport – ausgerechnet in einem stillen Moment der letzten Szene. Aber das ist eben live.

Typisch für einen Samstagabend standen spontan nur wenige Zuschauer zum Schlussapplaus auf; am Ende gab es dann aber doch Standing Ovations vom ganzen voll besetzten Saal.

Dass die Bonner „West Side Story“ sehr gut aufgenommen wird, bewiesen exemplarisch diese zwei Besucher: ein Herr, der das Theater eine Melodie des Musicals summend verließ sowie eine Dame, die zu ihrer Begleitung beeindruckt sagte, sie habe soeben „das Beste seit langer Zeit“ gesehen.

(dcbp, 09.10.2019)

LeserReporter/in:

Damiana C. Bauer-Püschel aus Bonn

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