Der erste Riese der Erde
Rasante Evolution der Fischsaurier

Nachbildung von Cymbospondylus youngorum auf seiner Pirsch durch die Ozeane der späten Trias vor 246 Millionen Jahren  | Foto: I
llustration: Stephanie Abramowicz / Natural History Museum of Los Angeles County (NHM)
  • Nachbildung von Cymbospondylus youngorum auf seiner Pirsch durch die Ozeane der späten Trias vor 246 Millionen Jahren
  • Foto: I
    llustration: Stephanie Abramowicz / Natural History Museum of Los Angeles County (NHM)

Bonn (red). Ein zwei Meter langer Schädel, eine Gesamtkörperlänge von 17 Metern, ein Gewicht von 45 Tonnen, Flossen, die das Meer durchkämmen – was nach einem Pottwal klingt, ist ein Reptil und lebte vor rund 250 Millionen Jahren in den Meeren. Über dieses erste Riesentier, das die Evolution hervorgebracht hat, berichtet jetzt ein internationales Forscherteam unter der Federführung der Universitäten Bonn und Mainz sowie der Claremont Colleges und des Natural History Museum of Los Angeles County. Die Forschenden beschreiben eine neue Art der Ichthyosaurier, auch „Fischsaurier“ genannt – ausgegraben wurde das Skelett mit dem imposanten Schädel im US-amerikanischen Bundesstaat Nevada. Die Studie belegt nun: Die Fischsaurier entwickelten sich innerhalb von nur drei Millionen Jahren zu ihrer stattlichen Größe, viel schneller als die Größenevolution der heutigen Wale vonstattenging. Mithilfe von Modellierungen fand das Team heraus, dass die Ichthyosaurier unter für sie hervorragenden Bedingungen lebten. Die Ergebnisse zeigen somit, wie sich marine Ökosysteme aufbauen und auf abiotische Veränderungen wie Klima, Atmosphäre oder Wassergegebenheiten reagieren können. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Science erschienen.

Während die Dinosaurier das Land beherrschten, dominierten Ichthyosaurier und andere Meeresreptilien die Wellen. Fast während des gesamten Zeitalters der Dinosaurier schwammen sie in den Ozeanen und hatten mit ihren Flossen und hydrodynamischen Körperformen bereits eine große Ähnlichkeit zu den heutigen Fischen und Walen.

Ichthyosaurier stammen von einer bisher unbekannten Gruppe landlebender Reptilien ab und waren selbst luftatmend. „Seit den ersten Skelettfunden in Deutschland und Südengland vor mehr als 250 Jahren gehörten diese ,Fischsaurier‘ zu den ersten großen fossilen Reptilien, die der Wissenschaft bekannt waren, und sie haben seither die Phantasie der Menschen beflügelt“, sagt der Erstautor Prof. Dr. Martin Sander vom Institut für Paläontologie der Universität Bonn und Gastwissenschaftler am Dinosaurier-Institut des Natural History Museum (NHM) of Los Angeles County.

Er und seine Kolleginnen und Kollegen arbeiten seit 30 Jahren regelmäßig in einer Gesteinseinheit namens Fossil Hill Member in den Augusta Mountains in Nevada (USA) – denn das Gebirge verbindet die Gegenwart mit den alten Ozeanen der Trias vor 247,2 bis 237 Millionen Jahren. Auch kamen dort 1998 die ersten Reste des nun beschriebenen neuen Riesentiers zutage, zunächst in Form eines Teils der Wirbelsäule.

„Die Bedeutung des Fundes war lange nicht ersichtlich, da nur einige wenige Wirbel am Rande der Schlucht freigelegt wurden“, erzählt Sander. „Die Anatomie der Wirbel ließ jedoch vermuten, dass das Vorderende des Tieres noch in den Felsen verborgen sein könnte.“ An einem Septembertag im Jahr 2011 überprüfte das Team diese Vermutung – und fand bei Ausgrabungen den gut erhaltenen Schädel, die Vorderflossen und den Brustbereich. Der zutage gekommene Riese erhielt den Namen Cymbospondylus youngorum, wobei sich der zweite Teil des Namens auf eine örtliche Brauerei bezieht.

Anatomische Beschreibung des Tiers

Was tun mit dem imposanten Fund aus lange vergangenen Zeiten? Zunächst galt es, das Skelett mit traditionellen paläontologischen Methoden anatomisch zu beschreiben und einzugrenzen, wann das Tier gelebt hatte. Um herauszufinden, wie sich die Fischsaurier zu einer solchen Größe entwickelten, stellten die Forschenden umfangreiche Daten aus der Literatur zusammen und nutzten diese als Grundlage für rechnerische Analysen. Das Ergebnis: Der neue Fischsaurier lebte in der mittleren Trias und war mit einer Länge von mehr als 17 Metern so groß wie ein Pottwal und damit das größte bisher entdeckte Tier aus dieser Zeit – ob an Land oder im Meer. „Soweit wir wissen, war es sogar das erste riesige Lebewesen, das jemals auf der Erde gelebt hat“, sagt Sander. Die genaueren Analysen ergaben, dass C. youngorum vor 246 Millionen Jahren lebte – also etwa drei Millionen Jahre, nachdem die ersten Ichthyosaurier von Land- zu Wasserreptilien geworden waren. Auch wenn es sich nach unserem Vorstellungsvermögen lang anhört: „Das ist eine erstaunlich kurze Zeit, um so groß zu werden“, betont Sander.

Computermodelle zur Rekonstruktion des Ökosystems

Die neuen Erkenntnisse warfen damit auch eine neue Frage auf: Wie konnte sich unter den Fischsauriern eine Art so schnell zu einem derartigen Riesen entwickeln? Um das herauszufinden, stellte das Team mithilfe von Modellierungen das damalige Ökosystem nach. „Ein ziemlich einzigartiger Aspekt dieses Projekts ist der integrative Charakter unseres Ansatzes“, sagt Letztautor Prof. Dr. Lars Schmitz von den Claremont Colleges und Gastwissenschaftler am Dinosaurier-Institut des NHM. „Nachdem wir die Anatomie des Riesenschädels im Detail beschrieben und so verstanden hatten, wie dieses Tier mit anderen Ichthyosauriern verwandt ist, wollten wir auch die evolutionären Muster der Körpergrößen von Ichthyosauriern und Walen besser verstehen. Dazu mussten wir herausfinden, wie das im Fossil Hill Member erhaltene fossile Ökosystem funktioniert haben könnte.“

Mithilfe ausgeklügelter Computermodelle untersuchten die Autorinnen und Autoren also die wahrscheinliche Energie, die durch das Nahrungsnetz der Fossil Hill-Lebensgemeinschaft floss, indem sie die Umwelt anhand von Daten nachstellten. Sie fanden heraus, dass die marinen Nahrungsnetze in der Lage waren, einige weitere kolossale fisch- und fleischfressende Ichthyosaurier zu ernähren.

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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