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Tamara im grünen Bugatti

Ja, ich weiß, das Thema kaltes Spritz-Getränk ist durch – für dieses Jahr. Ja, es ist draußen kalt, und im Hunsrück war es dieser Tage auch kalt, üsselig und vor allem nebelig. Deshalb aber noch diese kleine Anekdote: Mein Göttergatte und ich waren mit unseren Rädchen auf dem Schinderhannes-Radweg im Hunsrück unterwegs. Es war so was von nebelig und so was von nasskalt, dass ich mir noch zwei Plastiktüten (du kennst diese durchsichtigen, kleinen Plastiktüten aus der Obstabteilung bei meinem Lieblingsdiscounter.) über die Socken gezogen habe. Kein Schwein unterwegs und natürlich, wie so oft neuerdings, nichts zum Einkehren. Apropos Einkehren. Das hast du ja in heutigen Zeiten immer öfters: Entweder hat ein Restaurant geschlossen, weil es von montags bis mittwochs immer geschlossen, sprich Ruhetag hat. Oder aber das Restaurant hat geschlossen, obwohl Freitag ist, weil es für immer geschlossen hat. Oder aber es stimmt eigentlich alles, wenn nicht gerade Betriebsferien wären. Oder aber es hat geöffnet und es ist so voll, dass du keinen Platz bekommst, weil du nicht reserviert hast. Oder du bekommst einen Platz und merkst erst bei der Bestellung, nachdem um dich herum jetzt wirklich jeder Platz besetzt ist, dass du den Kellner so was von anschreien musst, damit der dich versteht.
Oder Metzgereien in kleineren Ortschaften: Früher haben mein Göttergatte und ich uns auf unseren Fahrradtouren morgens aufgemacht in dem sicheren Wissen, dass wir vormittags auf jeden Fall an einer Metzgerei vorbeikommen und dort ein Leberkäsebrötchen kaufen würden (und ich bereits mittags schon einmal die Möglichkeit hätte, zwischen mehreren kalten Spritzgetränken zu wählen).

Apropos kaltes Spritzgetränk. Ich fahre ja eigentlich immer noch auf dem Schinderhannes-Radweg im Hunsrück, im üsseligen Herbstwetter, um mich herum nur Nebel. Aber auch ohne Nebel, na ja, Hunsrück eben, Natur pur! Da tut sich doch plötzlich rechter Hand ein kleines Häuschen, ein kleines Bistro auf. Und was geht mir da sofort durch mein Köpfchen? Genau: Bestimmt schon lange tot oder Betriebsferien oder einer von sechs Ruhetagen … Trotzdem, wir werden langsamer, sehen innen ein kleines Lichtlein, oder ist der Wunsch der Vater des Gedankens? Wir halten an, sehen keinen Gast, aber eine Menschenseele hinter der Theke. Haben den Türgriff in der Hand und, klar, es tut sich nichts, geschlossen! Wäre ja auch einfach mal schön gewesen! Und tatsächlich ist es auch einfach mal schön! Weil, bitteschön, nicht drücken, ziehen! So, aber was nun bestellen? Weil eigentlich fröstle ich ja, Grog steht aber nicht auf der Karte, dafür aber Limoncello-Spritz. Ich schwanke, meine Füße immer noch kalt, immer noch in Plastiktüte, da sagt doch die Bedienung ganz freundlich:“ Ich lasse die Eiswürfel einfach weg. Der Prosecco ist ja kalt genug.“ Hallo, was für eine geniale Idee! Der Prosecco war tatsächlich kalt genug. Und was das Tolle an der Sache war. Du kennst das doch auch, dass du dich manchmal fragst, ob zwischen dem Haufen an Eiswürfeln überhaupt noch Platz für die Promille ist. Nicht so bei diesem Limoncello-Spritz: Das Volumen, was da jetzt an Eiswürfeln fehlte, hat sie mit Limoncello aufgefüllt. Ich muss dir nicht sagen, wie warm es mir da während des Trinkens uns Herz wurde, und das nicht nur metaphorisch! Was glaubst du, wie schnell ich danach in die Pedalen getreten bin! Ich vergaß, ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie das Bistro heißt und wo genau es ist: „Gleis 3“ in Pfalzfeld.

Wo ich aber gerade beim Einkehren bin, bei Restaurants. In Kastellaun waren wir abends in einer netten Pizzeria. Na ja, da kannst du es kaum vermeiden, dass du die Bestellung vom Nachbarstisch mitbekommst. Und da war es wieder: das Thema Sonderwünsche. Habe ich da irgendetwas nicht mitbekommen? Gehört es mittlerweile zum guten Ton, kein Gericht, aber auch wirklich kein Gericht so zu bestellen, wie es auf der Speisekarte angegeben ist? Und ich spreche jetzt nicht davon, dass jemand keinen Knoblauch haben möchte. Nein, statt Kroketten sollen es Fritten sein, statt Rosenkohl ein Schüsselchen Rotkohl, statt … ich könnte die Liste endlos verlängern. Mit welchem Käse ist das Gratin überbacken? Stammt das Salz aus dem Himalaya und handelt es sich auch tatsächlich um Kristallsalz? Wurde es auf den tibetischen Hochebenen von Hand geerntet? Möglichst unter großen Mühen von armen tibetischen Waisenkindern? Den Fragen und Wünschen sind keine Grenzen gesetzt! Ich war sowieso schon dabei, mich fremdzuschämen, als die Gästin zum Schluss ihrer Bestellung noch ausdrücklich darauf hinwies, die Pizza solle bitteschön recht kross gebacken werden. Der junge Mann, der die Bestellung aufnahm, verzog keine Miene. Respekt! Hallo! Jetzt auch noch dem Koch sagen, wie er seine Pizzen backen soll! Geht’s noch? Da hast du auf der einen Seite den Gast, der das mit dem „Der-Kunde-ist-König“ aber dermaßen zu weit treibt. Was du aber auf der anderen Seite hast, sind Sterne-Restaurants, in denen der Koch der König ist. Wo es sogar soweit geht, dass ich mit meinem Göttergatten nicht die Teller tauschen darf. Wie wir das eigentlich immer machen: Im Café bestellen wir immer zwei verschiedene Tortenstücke und tauschen nach der Hälfte. Und so erzählte es eine Freundin: Anlässlich eines Geburtstages hatten ihr Mann und sie sich ein edles Restaurant gegönnt. Und hatten wie immer zwei unterschiedliche Gerichte bestellt, um die Vielfalt der teuren Küche genießen zu können. Nachdem sie bezahlt hatten, erwartete der Kellner sie am Ausgang mit den Worten:“ Wir bedanken uns für Ihren Besuch. Beehren Sie uns aber bitte nie wieder!“

Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, möglichst ohne allzu viele Sonderwünsche alt zu werden. Ich finde, je mehr Sonderbehandlung Menschen von ihren Mitmenschen erwarten, desto älter wirken sie, desto verschrobener wirken sie. Was ich aber irgendwann einmal in einem Restaurant bestellen werde: Zwiebelkuchen ohne Zwiebeln. Mal sehen, ob ich da dann doch ein feines Lächeln auf das Gesicht meines Gegenübers zaubern kann.
Falls du dich fragst, was das hier alles mit der Tamara zu tun hat. Die Socken, die du auf dem Foto siehst, die mitleiderregend in Plastiktüten stecken, sind so was von Designersocken: Von der Tamara de Lempicka. Titel:“ Tamara im grünen Bugatti“

LeserReporter/in:

Adelheid Bennemann aus Bonn

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