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Was „Star Wars“ und die Legende von Sankt Martin gemeinsam haben

Alter Friedhof in Bonn: Impressionen im November | Foto: privat
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Der Hersteller eines bekannten Trinkjoghurts, der gut für das Immunsystem sein soll, preist derzeit zwei Sorten einer speziellen „Kids“-Edition an. – Klar, mit der Kundenbindung kann man aus Unternehmenssicht nicht früh genug beginnen, und Kinder haben bekanntermaßen großen Einfluss auf die Kaufkraft der Eltern.

Nicht nur der Erdbeer-Bananen- bzw. Erdbeer-Vanille-Geschmack soll junge (und ältere) Käufer reizen, sondern vor allem die Aufmachung im „Star Wars“-Look: Der niedliche Roboter R2-D2 und ein böser Stormtrooper der Ersten Ordnung, der Nachfolgeorganisation des Imperiums, bzw. Luke Skywalkers Jedi-Schülerin Rey und Kylo Ren (alias Ben Solo, der böse gewordene Sohn von Han Solo und Leia) stellen jeweils eine Paarung von Gut und Böse, von der hellen und der dunklen Seite dar. Die einzelnen Trinkfläschchen sind auch mit „Star Wars“-Charakteren wie z. B. Chewbacca verziert.

In großen Lettern und mit typischer „Star Wars“-Terminologie stellt die Pappumhüllung der XXL-Packungen die Konsumenten auf der Vorder- und Rückseite vor die Wahl: „AUF WELCHER SEITE DER MACHT STEHST DU?“ Unterhalb des Wahlangebotes zwischen Macht, die zu Gutem und Macht, die zu Schlechtem genutzt wird, ist auf der Packungsrückseite dann folgende Aufforderung zu lesen: „Entdecke die gute Seite in dir und starte den Tag mit... [Produktname].“

Archetypische Parallelen

Auch wenn „Star Wars“-Macher George Lucas bewusst verarbeitete religiöse Parallelen seiner Saga stets verneint hat, so enthält sie doch Archetypen, die man überall in der Menschheitsgeschichte und ihren Religionen entdecken kann. Gerade jetzt, im Monat November, kann man in unseren Breiten sowohl in der Natur („Sterben“ des Sommers, stärker werdende Dunkelheit) als auch in der christlichen Religion mit ihren Totengedenktagen oder den Fackelzügen rund um den Gedenktag des heiligen Martin (Gedenktag röm.-kath.: 11. November) die Wechselwirkung zwischen Hell und Dunkel hautnah erleben. Die Parallelen sind weitestgehend allgemeingültig: Das Gute entspricht dem Licht, der Liebe und dem Frieden sowie dem Leben. Das Schlechte, Böse entspricht der Dunkelheit; es entspricht Hass, Krieg und Tod. Die Begriffe sind innerhalb der beiden Kategorien „Leben“ bzw. „Tod“ austauschbar und durch weitere zu ergänzen. Mit diesen Entsprechungen und dem ständigen Kampf und Machtwechsel der beiden Pole, die zutiefst im Menschsein verankert sind, spielen die „Star Wars“-Geschichten. Aber auch eine Heiligenlegende wie die von Sankt Martin, dem historisch verbrieften jungen Soldaten und späteren Bischof von Tours, handelt letztlich vom Wechsel von einer dunklen auf eine helle Seite der Macht.

Entscheidung für die helle Seite der Macht: St. Martin

Die bekannteste Anekdote aus dem Leben des heiligen Martin ist die der Mantelteilung. Martin rettet durch das Teilen seines Mantels mit dem Schwert einem frierenden Bettler das Leben. Damit ist der Heilige zu einem Vorbild christlichen Handelns geworden, denn die Botschaft des Teilens ist für nahezu jeden leicht verständlich. Martins Bedeutung für die Kirche seiner Zeit überragte diesen karitativen Gestus jedoch bei Weitem. Dies tritt in den Hintergrund, wenn Kinder mit ihren bunten Laternen Martinslieder singend durch die Straßen ziehen, wenn Darsteller den heiligen Martin als Soldat auf einem Pferd reitend darstellen und die berühmte Szene mit dem Bettler nachgestellt wird. Mancherorts wird Martin auch als Bischof verkörpert. In Bonn, dessen Münsterbasilika unter dem Patronat des heiligen Martin steht, wurden am letzten Freitag (08.11.2019) beide Lebensphasen dargestellt. Was den Kindern aber wichtiger gewesen sein dürfte, das war der Bönnsche Brauch des „Schnörzens“ (Schnorrens), bei dem die Kinder nach dem Martinszug mit ihren Laternen an den Häusern klingeln, Martinslieder singen und Süßigkeiten als Gegenleistung erwarten. Für mich als Kind war dies nach dem eindrucksvollen Martinsfeuer immer der spannende Höhepunkt des Abends, an dem ich meine Freude hatte. – Außer an der Tür des Dorfpfarrers, die uns Kindern in aller Regel verschlossen blieb. Warum gerade ein Mann, der Nächstenliebe predigte, sich nicht am Teilen, wie der heilige Martin es doch vorgelebt hatte, beteiligte, stellte mich schon als Kind vor Fragen...

St. Martin in modern?

Der oben erwähnte Slogan „Entdecke die gute Seite in dir“ erinnert an das diesjährige Motto des Bonner Martinszuges: „Entdecke Dein Licht – Discover Your Light“, hieß es da. Seit Unternehmensberater der Kirche aus ihrer Misere helfen sollen, darf man sich über einen solchen Stil wohl nicht wundern, der den Fackelzug auch für diejenigen attraktiv macht, die zwar an einem Lichterfest, nicht aber am christlich geprägten Gedenktag des heiligen Martin teilnehmen würden.

In Anbetracht des modernen Martinsmottos kamen mir zwei Lieder aus den späten 1990er Jahren in den Sinn: Wie wäre es beispielsweise mit martinszugkompatiblen Bläserarrangements von „Love Shine a Light“ (Melodie und Text: Kimberley Rew für „Katrina and the Waves“) oder „Can You See the Light“ aus der Feder von Frank Nimsgern? Für ein beschwingtes Gemeinschaftsgefühl und einen internationalen Spirit könnten solche Songs sorgen. ;-) Im Ernst: Ohne die traditionellen Martinslieder mit ihrem Anteil „op Platt“ ist ein Martinszug für mich nicht vorstellbar, aber warum sollte man nicht auch neue musikalische Elemente darin aufnehmen?

Der heilige Martin – * um 316/317 (nach anderen Quellen um 336), † am 08.11.397 – soll als Bischof ein Vorbild an Bescheidenheit und ein Kämpfer gegen den Klerikalismus gewesen sein. Den Rang als Bischof brachte ihm – gegen seinen Wunsch – die Beliebtheit beim Volk ein, das in der damaligen Kirche Mitspracherecht genoss. Heute würde man das Prinzip, welches in der römisch-katholischen Kirche verlorengegangen ist, wohl „bischöflich-synodal“ nennen; in den alt-katholischen Kirchen existiert eine solche Struktur weiterhin. Was von damals im Brauchtum geblieben ist, das ist der Gänsebraten zum Martinstag. Da es der Überlieferung nach schnatternde Gänse waren, die das Versteck Martins, der „null Bock auf Bischof" hatte, verrieten, muss das Federvieh bis zum heutigen Tag auf dem Teller enden.

Glanz und Pomp

Martin von Tours nutzte seine Macht, die zu besitzen erst einmal neutral ist, seinem Biografen zufolge für Gutes. Einer in meinen Augen zweifelhaften Machtdemonstration der Kirche konnte man am Samstag, den 9. November per Live-Übertragung beiwohnen. Den Eindruck, dass „Kirche“ und „Bescheidenheit“ à la Martin von Tours sich gegenseitig auszuschließen scheinen, bekräftigte das römische (Macht-)Zentrum der Kirche beim Pontifikalamt am Gedenktag der Weihe der Lateranbasilika (Basilika San Giovanni in Laterano).

Die eigentliche Kathedrale (Bischofskirche) von Rom, die in deutscher Sprache vollständig „Erzbasilika des Allerheiligsten Erlösers, des heiligen Johannes des Täufers und des heiligen Johannes des Evangelisten im Lateran“ heißt, untermauert ihren Status bereits durch eine Inschrift am Hauptportal. Übersetzt lautet sie „Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises“ und deutet an, dass die Lateranbasilika als eigentlicher Bischofssitz – und der Bischof von Rom ist der Papst – wichtiger als der berühmte Petersdom ist!

Mit einem Aufwand, der in der heutigen Zeit unangemessen erscheint, wurde nun wie in jedem Jahr das Weihejubiläum gefeiert. In diesem Jahr wurde dafür ein neues Messformular (also neue Gebete etc.) mit neuen Liedern erstellt. Ein neuer Marmor-Ambo sowie ein neues, nachgebildetes goldenes Altarkreuz wurden von Papst Franziskus gesegnet. Alle Messgewänder der auf dem Bildschirm kaum überschaubaren Anzahl an Priestern waren eigens für diesen Festtag, an dem auch die Beauftragung neuer Seelsorgeteams für Rom stattfand, geschneidert worden. Beim Auszug reichte Papst Franziskus – laut Kommentatorin entgegen seiner Gewohnheit – der nicht unumstrittenen Bürgermeisterin von Rom die Hand. Vermutung der Kommentatorin war, dass er sich vielleicht für die kürzlich installierte neue Außenbeleuchtung der Lateranbasilika bedankt habe. Diese Beleuchtung sei ein Geschenk der Stadt Rom. Während Rom im Müll erstickt, steht Geld für neue Lampen zur Verfügung, das die von Franziskus geforderte „arme Kirche“ mit Dank annimmt – seltsame Prioritäten. Mit Pomp ging die feierliche Messe auch musikalisch zu Ende, nämlich mit einer italienisch-klerikalen Textversion zur Melodie von Edward Elgars unter dem Titel „Land of Hope and Glory“ bekannten Komposition aus „Pomp and Circumstance“ (March No. 1).

Wenn man heute (13.11.2019) eine Schlagzeile wie „Katholische Bischöfe in der Zwickmühle – Wer zahlt wieviel und woraus an Missbrauchsopfer?“ sowie den dazugehörigen Artikel liest (Quelle: domradio.de) oder erst gestern einen unfassbaren Bericht zum Thema Missbrauch in der Kirche in der „Kompakt“-Rubrik der Kölner „Lokalzeit“ (WDR) gesehen hat, dem kann jegliche Feierlaune vergehen. Die dunkle Seite der Macht wirft trotz guter Vorsätze, die verkündet werden, immer wieder ihre Schatten auf die Kirche.

In Bonn lässt man es sich trotzdem nicht nehmen, am kommenden Sonntag (17.11.2019) das Patrozinium der Münsterbasilika St. Martin im Ausweichquartier St. Remigius mit einem „Messmarathon” – inklusive Blechbläsern des Kardinal-Frings-Gymnasiums, Martinsdarsteller Martin Heide, Ordensverleihung (nein, kein karnevalistischer Orden, auch wenn am 11.11. die fünfte Jahreszeit eingeläutet worden ist), Vorstellung der kirchlichen Mitarbeiter und Weckmannverteilung (vermutlich solche mit Tonpfeife, die an den Bischofsstab erinnert) – zu feiern. – Atempause. – Und wer jetzt denkt, er könnte danach zur Ruhe kommen, dem sei gesagt, dass am darauffolgenden Sonntag „Christkönig“ auf dem liturgischen Plan steht. – Vielleicht kann ja ein Joghurtdrink die Kräfte stärken. Möge die Macht mit Euch sein! ;-)

(dcbp, 13.11.2019)

LeserReporter/in:

Damiana C. Bauer-Püschel aus Bonn

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