Jugend trifft auf Politik
Emotionaler Schlagabtausch in der Rheinhalle
Bornheim-Hersel - (fes) „Wir haben Schulen von gestern und Lehrer von vorgestern
und unsere Biologiebücher sind von 2010 und damit längst
überholt.“ Das war kein gutes Zeugnis, das ein 16-jähriger
Bornheimer dem Schulsystem da ausstellte.
Mit seiner Kritik erreichte er gleich fünf prominente
Parteienvertreter, die sich auf der Bühne der Herseler Rheinhalle
nicht nur den Fragen der 21-jährigen Moderatorin Lena Behnke, sondern
auch den Meinungen von mehr als hundert Schülerinnen und Schülern
aus weiterführenden Schulen in Bornheim und Königswinter stellten.
Der Stadtjugendring Bornheim und das Gustav-Stresemann-Institut Bonn
hatten zu einer neuen Auflage der Reihe „Jugend trifft auf
Politik“ eingeladen. Das Motto diesmal: „Das erste Mal“ –
gerichtet primär an die Erstwählerinnen und Erstwähler für die
bevorstehende Bundestagswahl.
Gewohnt prominent besetzt diskutierten zwei Stunden lang der
Bundesvorsitzende der SPD, Dr. Norbert Walter-Borjans, der Vorsitzende
des Auswärtigen Ausschusses und MdB der CDU, Dr. Norbert Röttgen,
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MdB und Mitglied des
FDP-Bundesvorstandes), sowie die NRW-Landesvorsitzende von Bündnis
90/Die Grünen, Mona Neubaur, live vor Ort. Der ehemalige
Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, war digital
zugeschaltet.
Zwei Themen dominierten den Vormittag und den größtenteils recht
emotionalen Schlagabtausch: Klimawandel und Digitalisierung.
Grundtenor: Jede Partei nahm für sich in Anspruch, sich das Thema
Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben und die besten Lösungen parat
zu haben. Neubaur sah sich als politisches Sprachrohr der jungen
Generation: „Wir nehmen ernst, wem die Zukunft gehört.“ Den
Regierungsparteien der vergangenen 16 Jahre unter Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) warf sie vor, zu sehr vor Lobbyinteressen der
Industrie eingeknickt zu sein: „Es wurden Geschäftsideen von
gestern verteidigt. Wir müssen widerstrebende Interessen
zusammenbringen. Je länger wir uns Zeit lassen, desto radikaler
müssen wir umbauen und desto teurer wird der Umbau.“
Es wäre besser aus der Kohleverstromung bereits 2030 auszusteigen als
2038. Norbert Röttgen wollte dies nicht so stehen lassen. Es dürfe
nicht der Eindruck erweckt werden, die Politik habe in den vergangenen
Jahren nichts getan. Man sei in Sachen CO2-Reduzierung weiter als
viele andere Industrieländer. Er räumte aber auch ein, Politik und
Gesellschaft hätten eine „gigantische Transformation der gesamten
Wirtschaft ohne Blaupause vor sich.“ Dies gehe nicht ohne Konflikte:
„Diese müssen wir benennen und auch lösen.“ Der Klimaschutz sei
auch für die FDP „ein ernstes Thema“, sagte Strack-Zimmermann.
Die große Kunst werde es sein, den Arbeitsmarkt darauf vorzubereiten:
„Die, die Arbeitsplätze schaffen, dürfen nicht in die Knie
gehen.“ Sie forderte innovative Ideen und kreative Start-Ups.
Für Bernd Riexinger war vor allem die soziale Gerechtigkeit
entscheidend. Auch Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen
müssten sich die Folgen der Klimakrise leisten können. So forderte
der Linken-Politiker beispielsweise einen kostenlosen ÖPNV für
Schüler und Studenten oder zumindest ein 365-Tage-Ticket.
Energetische Gebäudesanierungsmaßnahmen sollten nicht mehr auf
Mieter umgelegt werden dürfen. In eine ähnliche Richtung ging
Norbert Walter-Borjans: „Wir müssen die Zukunftsängste
zusammenbringen, die Angst vor dem Jobverlust mit der Angst vor dem
Klimawandel.“ Leute mit geringeren Einkommen müssten daher
entlastet werden: „Wir müssen das als Gemeinschaft gemeinsam
stemmen.“ Der Sozialdemokrat räumte auch ein, man hätte die
Weichen deutlich früher stellen müssen. Nun gehe es allerdings auch
nicht von heute auf morgen.
Einig waren sich alle Politiker darin, dass die Klimakrise nicht von
Deutschland alleine gelöst werden könne, sondern europäisch und
global angegangen werden müsse.
Konsens herrschte auch darüber, dass die Digitalisierung in
Deutschland nur sehr schleppend fortgeschritten sei. Marie-Agnes
Strack-Zimmermann forderte: „Wir müssen für den Breitbandausbau
bis zur letzten Milchkanne sorgen. Es sollte völlig normal sein, dass
man in allen Schulen mit Tablets arbeitet.“
Die Corona-Pandemie hätte die Lücken wie unter einem Brennglas
aufgedeckt, konstatierte Norbert Röttgen: „Mit der Digitalisierung
an den Schulen und in der Verwaltung liegen wir 20 Jahre im
Rückstand.“ Vor allem der Breitbandausbau im ländlichen Raum
stelle eine „gigantische Aufgabe“ dar. Dies sah auch
Walter-Borjans so. Wäre der ländliche Raum besser digitalisiert,
würden weniger Menschen von dort in die Städte ziehen. Dies sei auch
ein Grund für die steigenden Mieten in den Ballungsräumen. Bernd
Riexinger forderte für alle Schüler in Deutschland kostenlose
Tablets.
Die Talkrunde kann über den YouTube-Kanal des Stadtjugendrings
jederzeit noch angesehen werden:
https://www.youtube.com/watch?v=8qIrQKOtSlA
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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