Mission im Mittelmeer
Kurt Schiwy aus Bornheim rettete Menschen auf der Sea Watch 3

Kurt Schiwy aus Bornheim im Einsatz auf der Sea Watch. | Foto: Foto: Sea Watch
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  • Kurt Schiwy aus Bornheim im Einsatz auf der Sea Watch.
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Bornheim - (fes). Das kleine Boot – einer Nussschale gleich – war
überfüllt. Dicht gedrängt harrten die Menschen aus. Auch ein
Neugeborenes und 30 schwangere Frauen waren mit an Bord. Die Crew der
Sea Watch 3 fuhr mit Schlauchbooten hinaus und rettete die Schutz
suchenden Afrikaner. Mit dabei: Kurt Schiwy aus Bornheim.

Der stark katholisch geprägte Inselstaat Malta wird auch in diesem
Sommer wieder Tausende Touristen anziehen. Valletta ist 2018 neben dem
niederländischen Leeuwarden Kulturhauptstadt Europas. Der Zwergstaat
im Mittelmeer sorgt aber auch für weniger schöne Schlagzeilen. Die
maltesische Regierung setzte vor kurzem das
Flüchtlings-Seenotrettungsschiff „Sea Watch 3“ im Hafen von
Valletta fest. Plötzlich ist das 2.400 Kilometer entferte Archipel
ganz nah.

Denn der Bornheimer Kurt Schiwy war im vergangenen Herbst drei Wochen
auf der „Sea Watch 3“ im Einsatz. Darüber berichtete er kürzlich
in der Evangelischen Markuskirche in Hemmerich. 

Ein schonungsloser Augenzeugenbericht. Auch mit der
Flüchtlingspolitik der EU und Deutschlands geht er hart ins Gericht.
„Drei Wochen Menschen fischen – reden statt retten“ hatte er
seinen Vortrag genannt. Viele kennen Kurt Schiwy, der in Roisdorf und
Wesseling zwei Fahrradfachgeschäfte betreibt, durch seine aktive
Arbeit bei der Bornheimer Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen
Fahrradclubs (ADFC) in Bornheim. Sich für Menschen einzusetzen, die
vor Folter, Vergewaltigung, Hunger und Armut fliehen, ist in seiner
Biographie begründet, schilderte Schiwy. 

Seine Eltern mussten aus Ostpreußen fliehen. Während des
Jugoslawienkrieges Anfang der 90er Jahre nahm er eine bosnische
Flüchtlingsfamilie auf. Und mit Koch Silvio Jander, der sich in
Bornheim für die Flüchtlingshilfe engagiert, betrieb er bis vor
wenigen Monaten im Breniger Wasserturm einen Fahrradladen mit
Restaurant. Aus wirtschaftlichen Gründen schloss der Betrieb. Schiwy,
der zuvor viele Jahre als Beamter bei der Telekom arbeitete und dort
unter anderem für den Bereich Umweltmanagement und IT tätig war,
wollte sich umorientieren. Er bewarb sich bei der nichtstaatlichen
Hilfsorganisation „Sea Watch“ für die Bereiche Elektronik und IT
und wurde angeheuert. 

Nach einer kurzen Einweisungszeit ging es los. Mit an Bord waren unter
anderem Ärzte, Journalisten und eine Köchin, damit im Ernstfall
Flüchtlinge aufgenommen und professionell versorgt werden können.
Ganz klassisch per Fernglas oder per Radar hielt die Crew Ausschau
nach Flüchtlingsbooten. Bei einem der dramatischsten Einsätze
rettete die Besatzung 283 Flüchtlinge, die in einem Holzboot über
das Mittelmeer nach Europa flohen, die meisten aus Nigeria:
„Christen übrigens“, betonte der 55-jährige Bornheimer in
Anspielung auf die von Rechtspopulisten gerne verbreitete Meinung,
dass Europa eine Islamisierung durch Flüchtlinge drohe. Das kleine
Boot – einer Nussschale gleich – war überfüllt. Dicht gedrängt
harrten die Menschen aus. Die Crew der Sea Watch fuhr mit eigenen
Schlauchbooten hinaus und rettete nach und nach die Schutz suchenden
Afrikaner. Auch ein Neugeborenes und 30 schwangere Frauen waren mit an
Bord. Über ihr Schicksal lässt sich nur mutmaßen. Wenn man aber
weiß, dass in libyschen Lagern, die Schiwy mit
„Konzentrationslagern“ vergleicht, Frauen und Mädchen
vergewaltigt werden, dann kann man sich denken, was den meist
traumatisierten Menschen vermutlich widerfahren ist. Einige der
Geretteten sind abgemagert, viele haben Krätze und riechen nach Urin.
Frauen und Männer werden an Bord getrennt. Man wisse ja nicht, ob
vielleicht auch der Vergewaltiger mit geflohen sei. Die Verständigung
läuft meist auf Englisch, Französisch oder Arabisch. Dann werden die
Flüchtlinge nach Sizilien gebracht. Wie sieht Kurt Schiwy die
aktuelle politische Diskussion um Schlepper und die Abschottung der
EU? Wird der Flüchtlingsstrom von Afrika nach Europa abreißen?
Schiwy glaubt nicht daran. „Es wird keinen Einbruch geben. Etwa
500.000 Menschen leben in libyschen Lagern unter brutalsten
Umständen. Je länger sie dort sind, desto größer wird der
Leidensdruck. Keiner möchte dableiben oder wieder zurückkehren. Sie
nehmen lieber das Risiko in Kauf im Mittelmeer zu ertrinken.“ Und
wenn sie es bis nach Europa in die Auffanglager schaffen, sind sie
wenigstens sicher. Ein Lager auf Sizilien oder sonstwo in Europa sei
immer noch besser als in Libyen. Nicht zu vergessen, dass die Menschen
bereits wochenlang unterwegs waren und auch bereits die Sahara
durchquert haben, so Schiwy. Welche Perspektiven haben sie aus seiner
Sicht in Europa? „Zunächst einmal zu Überleben. Sie sind ihren
Vergewaltigern oder Folterern entkommen und werden versorgt.“ Und
die Menschenschleuser? Natürlich seien Schlepper kriminell und es sei
bekannt, dass sie pro Mensch 2.000 Dollar verlangten. Kurt Schiwy
heißt dies auch nicht gut. „Dies können sehr unangenehme Menschen
sein. Sie können aber auch Lebensretter sein.“ Wie geht man als
Helfer mit den erschütternden Schicksalen um? „Man braucht Distanz.
Wir können uns nicht mit jedem Schicksal beschäftigen, das ist auch
nicht professionell“, beschreibt Schiwy.

Schwere Vorwürfe erhebt er gegen die Anrainerstaaten. Schlauch- oder
Holzboote mit Flüchtlingen könnten dank modernster Techniken – wie
etwa durch mit Thermoscannern ausgestattete Flugzeuge – schnell
aufgespürt und gerettet werden. „Wo sind die
Frontex-Hubschrauber?“, fragt Schiwy und bringt einen nachdenklichen
Vergleich: Wenn eine Person durch Unachtsamkeit in der Nordsee in
Schwierigkeiten gerate, werde alles Mögliche unternommen, um sie zu
retten. Dies sei natürlich auch in Ordnung. Da würden die
Prioritäten anders gesetzt. Die Flüchtlingsströme werden sich aus
Kurt Schwiys Sicht auch mit den derzeitigen Maßnahmen nicht
eindämmen lassen. Im Gegenteil. Die Regierungen der EU müssten alles
daran setzen, dass in Ländern wie Nigeria, woher die meisten
Afrikaner fliehen, korrupte politische Systeme nicht mehr unterstützt
werden. Unternehmen aus Europa dürften die Länder nicht mehr
„gnadenlos ausbeuten“. Hier müssten die politischen
Entscheidungen ansetzen: „Eine große konzertierte Aktion gibt es
aber nicht.Afrika bräuchte einen Marshallplan und keine
Blendraketen.“ 

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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