Rent a Jew
„Sprechen Sie mit uns, nicht über uns“
Bornheim-Sechtem - (fes) Schon mal einen Juden kennengelernt? Nein? Dann mieten Sie
sich doch mal einen! Die Sechtemer Pfarrgemeinde St. Gervasius und
Protasius hat genau das getan und über die Berliner Initiative
„Rent a Jew“ einen Juden nach Sechtem eingeladen...
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Barei Efraim Sarwar weiß wie das ist, in Deutschland ein Jude zu
sein. Er kennt die klassischen Vorurteile, mit denen er und seine
Freunde der jüdischen Gemeinden in Deutschland konfrontiert werden,
ganz genau. Deswegen ist es dem 39-jährigen Medizinstudenten auch
wichtig, diese Stereotype auszuräumen und den Dialog zu suchen. Daher
ist er ehrenamtlicher Referent bei „Rent a Jew“, auf Deutsch:
„Miete einen Juden“. Barei Efraim Sarwar gehört der
drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands in Düsseldorf an. Auf
Einladung des Forums Lebendige Gemeinde von St. Gervasius und
Protasius war er nun in Sechtem zu Gast, wo er sich den Fragen von
rund 20 interessierten Gästen stellte.
„Rent a Jew“ – das klingt erst einmal ziemlich provokant. Ebenso
wie der Slogan „Deinen Ersten vergisst du nie“, mit dem die
Initiative auf ihrer Internetseite wirbt. „Sprechen Sie mit uns,
nicht über uns“, ist das Ziel von „Rent a Jew“, einem Projekt
der Europäischen Janusz Korczak Akademie. Denn einen Juden im Alltag
kennenzulernen ist nicht ganz einfach.Nur zwischen 100.000 und 200.000
Juden soll es in Deutschland geben. Anders ausgedrückt: Der jüdische
Anteil an der Gesamtbevölkerung macht gerade einmal ein halbes
Prozent aus.
„Rent a Jew“ möchte eine Brücke schlagen zwischen Nichtjuden und
Juden. Online kann man sich ganz einfach einen Juden „buchen“.
Gebrauch von dem Angebot machen meistens Schulen, Volkshochschulen
oder Kirchengemeinden. Tabus gibt es keine. Diskutiert wird über den
jüdischen Alltag in Deutschland, den Glauben, aber auch Themen wie
Antisemistismus oder die Lage Israels werden nicht ausgespart.
„Reden Sie doch einmal mit lebendigen Juden“, treibt es Sarwar auf
die Spitze. „Wir reden in Deutschland an den Gedenktagen etwa zum 9.
November nur über tote Juden, die durch den Holocaust umgekommen
sind.“
Zu Beginn der rund zweistündigen Diskussion in Sechtem räumte
Sarwar, der seit zehn Jahren in Düsseldorf lebt, mit einer Jüdin
verheiratet ist und zwei kleine Kinder hat, erst einmal mit einem
klassischen Vorurteil auf: „Ich bin orthodoxer Jude und wie Sie
sehen, trage ich keinen Hut und auch keinen langen Bart.“ Er isst
koscher und auch seine Kinder werden entsprechend erzogen. Wer Jude
bleiben möchte, der muss auch jüdisch heiraten, erklärt er.
Hierzulande nicht ganz so einfach: „Viel Auswahl eine jüdische
Partnerin zu finden hat man in Deutschland nicht“, meinte Sarwar mit
einem Augenzwinkern. Seinen Kindern gibt er die jüdischen Traditionen
bewusst mit: „Sie sollen wissen, woher sie kommen.“ Gläubig sein,
das heißt für ihn auch praktizierend sein: Er betet jeden Tag. Und
am Sabbat, dem siebten Wochentag, ist für ihn Ruhetag, an dem keine
Arbeitet verrichtet, keine Musik gehört und gefastet wird. Nicht
immer ist das so einfach in den Alltag zu übertragen. Was ist, wenn
seine Kinder älter sind und beispielsweise gerne Fußball spielen
möchten und samstags trainiert oder gekickt wird, wollte ein
Teilnehmer wissen.
Dies möchte er seinen Kindern dann selber überlassen: „Ich erziehe
sie nach dem jüdischen Glauben, aber auch zu Entscheidern und übe
keinen Zwang aus. Sie sollen später selber entscheiden, ob sie sich
an den Sabbat halten oder nicht.“ Und wenn er als angehender
Mediziner am Sabbat arbeiten muss? „In den medizinischen Berufen
gibt es Ausnahmen. Wir sind verpflichtet Leben zu retten.“ Besorgt
äußerst sich der Referent auch zu dem zunehmenden Antisemitismus in
Deutschland. Jährlich werden bundesweit rund 1.500 antisemitische
Straftaten verzeichnet. Seine Kippa trägt Sarwar trotzdem oft
öffentlich. Auch, wenn er die Aggressionen spürt. Meistens im
Internet anhand von Hasskommentaren, meist anonym verfasst. Auch er
weiß von jüdischen Kindern und Jugendlichen, die an Schulen bedroht
werden und sieht sich ebenfalls mit Sprüchen wie „Alle Juden ins
Gas“ konfrontiert. Sarwar bedauert es, dass vor allen Synagogen
mindestens ein Polizeiauto steht. Und dass Kinder, wenn sie jüdische
Schulen besuchen, erst Sicherheitsschleusen passieren müssen. „Wir
haben uns daran gewöhnt“, schildert der 39-Jährige. „Ich hätte
diese Sicherheitsmaßnahmen gerne weg, aber das wird nicht
passieren.“ Im Gegenteil: Verschärfen sich die Konflikte zwischen
Israel und Palästinensern, kommt es zu Angriffen auf Gaza, werden
hierzulande die Sicherheitsvorkehrungen noch verschärft. Und noch
etwas wird nicht passieren: „Das Judentum und Israel werden nie
auseinandergesehen. Israelkritik geht meistens einher mit Kritik am
Judentum.“
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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