Gedenken entehrt: Brühler Stolperstein beschmiert
Brühl auf oberem Platz in Statistik zu antisemitisch motivierten Vorfällen

Foto: Copyright "Initiative gemeinsam für Brühl"
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„Ich war schockiert! Entsetzt. Ungläubig.“ So schildert Bernd W. seine Gefühle, als sein Blick am 21. Juni, also vor wenigen Tagen, gegen 13 Uhr vor dem Reisebüro gegenüber der Giesler-Galerie in Brühl eher zufällig einen dort in den Boden eingelassenen Stolperstein streift. Er erkennt sofort: die Messingplatte ist beschmiert. Mit einer Masse aus rohem Ei. Das Gedenken an den ehemaligen Brühler Kaufmann Albert Platz wurde geschändet. Platz war Jude und deshalb musste er sterben. 1942 ermordeten die Nationalsozialisten ihn und seine Frau Irma in Ausschwitz.

Nicht zum ersten Mal, dass in Brühl Stolpersteine beschmiert werden. Das Gedenken an ehemalige jüdische Mitbürger*innen wird hier in unregelmäßigen Abständen beschmutzt und entehrt. 22.07.23: ein Stolperstein in der Uhlstraße wird mit dem rechtsextremen Zahlencode 88 (zwei Mal im Alphabet der 8. Buchstabe. Ein Hinweis auf „Heil Hitler“) versehen. Wenige Wochen später besprühen Menschen mit offenbar zutiefst rassistischen Überzeugungen denselben und einen weiteren Stolperstein mit schwarzer Farbe. Anonym, natürlich. Am 7.10. 2023, dem Tag des terroristischen Überfalls der islamistischen Hamas auf Israel, entdeckt die Brühlerin Inge Freund auf einer Sitzbank auf dem Platz An der Bleiche eine beschmierte Bank. „Fick die Juden“ steht dort. Am 22. November 2023 beschmieren Unbekannte drei Stolpersteine in der Kölnstraße mit dunkelroter Farbe. Und es gibt deutlich mehr als diese Fälle.

All diese zutiefst beschämenden Taten tauchen im Jahresbericht 2023 der Recherche- und Informationsstelle RIAS auf. Die Recherche - und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) erfasste 2023 664 antisemitische Vorfälle in NRW. Eine Steigerung um 152 Prozent im Vergleich zu 2022 (264 Vorfälle). Im zitierten RIAS-Jahresbericht taucht von allen Städten und Kommunen im Rhein-Erft-Kreis nur Brühl mit den oben genannten Fällen auf. Bedeutet dies, dass in Brühl besonders viele antisemitische Straftäter leben? Dass sie besonders dreist vorgehen? Heißt dies weiter, dass die anderen Städte im Kreis genau dieses Problem nicht haben? „Definitiv nein,“ weiß Ralph-Werner Jeckel: „Dass Brühl einen oberen Platz in dieser Statistik einnimmt, hat ganz klar auch damit zu tun, dass wir von „Gemeinsam für Brühl“ als parteiübergreifende Initiative schon 2023 beschlossen haben, jeden einzelnen Fall dieser Schändungen bei Polizei und Verfassungsschutz anzuzeigen. Das ist enorm wichtig. Denn Polizei und Verfassungsschutz ermitteln natürlich nur in Fällen, die ihnen angezeigt werden. Was sie nicht wissen, findet für die Behörden nicht statt.“ „Vielleicht“, ergänzt Kirsten Stuhlsatz, „zeigen die Bürger*innen anderer Kommunen antisemitische Straftaten erst gar nicht an. Damit finden sie sich auch nicht in den Statistiken wieder.“ Und Sonja Tillmann, auch sie wie Kirsten Stuhlsatz Mitglied von „Gemeinsam für Brühl“, bringt es auf den Punkt: „Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit“, sagt sie, „gibt es in jeder Stadt, in jedem Kreis, Bundesland. Es ist ein großes bundesweites Problem.“

Es ist kurz vor 15 Uhr am 21. Juni. Nur wenige Stunden zuvor haben Unbekannte eine Masse aus rohen Eiern auf den Stolperstein des ehemaligen Brühler Kaufmanns Albert Platz vor dem Reisebüro gegenüber der Giesler-Galerie gekippt. Offenbar wollten sie so sein Andenken entehren. Jetzt ist Anke Bertram (Name redaktionell geändert) gekommen. Sie kniet vor dem Gedenken an den Mann, der sterben musste, weil er Jude war. Passanten gehen vorbei, Autos rauschen um den Platz vor der Giesler-Galerie. Gleich wird es regnen. Mit Bürste, Lappen und Küchenrolle in den Händen bearbeitet die junge Frau die Messingplatte im Bürgersteig. Erst vorsichtig, dann kräftiger beginnt sie die Eimasse weg zu schrubben. „Ich fühle Scham, dass so was wieder in Deutschland passiert,“ sagt sie während sie arbeitet. „Ich fühle Trauer und Mitleiden für die Juden, die hier leben und das aushalten müssen. Und ich habe Angst, dass dies gerade wieder der Anfang von etwas Schrecklichem ist.“ Manche Menschen zollen ihr Respekt für ihren Einsatz. Andere gehen so dicht an ihr vorbei, erzählt sie, dass sie dies als bewußte Missachtung empfindet. „Für den schnellen Einsatz“ will Bertram Schaber, Schrubber, Spachtel, Kratzschwämme und Nagellackentferner ab sofort in einer Tasche immer dabei haben. Damit antisemitische und rassistische Schmierereien in Brühl keine Chance haben.

LeserReporter/in:

Susanne Bourier aus Brühl

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