Unsere Serie "Archiv-Schätze"
Ein Kilometer Brühler Geschichte
Brühl. Reden wir doch mal über Tiere. Oder genauer gesagt, über Insekten. Nein, eigentlich nur über eines: Das „Papierfischchen“.
Denn dieses flügellose, dunkelgraue, bis zu zwei Zentimeter große Wesen mit seinen langen Antennen ist der natürliche Feind jedes Archives, da bilden die des Rhein-Erft-Kreises, die wir unseren Leserinnen und Lesern in den vergangenen Wochen vorgestellt haben, überhaupt keine Ausnahme.
Natürlich ist der Papierfischchen nicht das Glanzstück, welches wir beim Brühler Stadtarchiv in den Mittelpunkt stellen möchten, aber dieses Insekt stellt die Archive vor Herausforderungen, und unter anderem hilft ein doppelter Klebestreifen auf der Schwelle zu den Magazinen dabei, Papierfischchen zu finden und zu eliminieren. Denn auf diesem bleiben sie hängen.
Doch Stadtarchivar Alexander Entius kann beruhigen: Im Brühler Archiv gibt es keine Papierfischchen.Und das, obwohl doch jedes Archiv ein Paradies für dieses unansehnliche Insekt ist: alleine im Brühler Archiv, welches nach dem Abriss der alten Feuerwache in der Barbaraschule in Kierberg angesiedelt wurde, befinden sich Archivalien auf einer Länge von rund einen Regalkilometer. [/p]
Geburtsregister von Max Ernst
Dazu gehören früheste Schätze aus dem 16. Jahrhundert, wie Pachtverträge und Grundstücksangelegenheiten, aber auch das Geburtsregister des berühmtesten Sohnes der Stadt, des Künstlers Max Ernst. Dieses ist allerdings aktuell zur Restauration außer Haus.
Aber auch wenn knifflige Aufträge zum Erhalt des Archivgutes außer Haus gegeben werden, ein großer Teil der Schriftstücke kann in Kierberg erhalten werden - denn Vivien Jansen, Fachangestellte für Medien und Informationsdienste (FaMI) der Fachrichtung Archiv, hat gelernt, Archivalien fachgerecht auszubessern. Mit Japanpapier, einem Latexschwamm, einer Art Mini-Bügeleisen und weiterem Spezialwerkzeug rückt sie mithilfe einer Lupenlampe den Rissen, Flecken und Knicken zu Leibe und lässt sie danach wieder gut aussehen.
Einzige Exemplareder „Brühler Zeitung“
Früher nannte man die Archive Registraturen, und sie waren nicht öffentlich. Urkunden und Verträge auf Pergament wurden in großen schweren Holztruhen abgelegt, und manchmal hat man diese auch wieder verkauft: im Brühler Archiv gibt es eine Quittung über den Erhalt von 47 Reichsmark für „Altpapier“, welches in den Anfängen des vorigen Jahrhunderts verscherbelt wurde: „Wir wissen nicht, welche Schätze wir da verloren haben“, so Entius. Zu all dem Schriftgut kommen über 270 000 historische Fotos, und das sei für eine Stadt dieser Größe sehr ungewöhnlich, sagt Entius.
Ebenso befindet sich eine Sammlung des Malers und Grafikers Will Küpper in städtischem Besitz.
Ganz besonders stolz sind Entius und sein Team mit Kim Gröner, Eva Terhaag, die jetzt in Elternzeit geht und von Vivien Jansen vertreten wird, sowie den beiden Auszubildenden Jolina Unger und Sina Wagner auf einen Schatz, der tatsächlich nur im Brühler Archiv besteht: Die Ausgaben der 1898 gegründeten „Brühler Zeitung“. Zwar sind nicht alle erhalten, aber die Zeitungen von 1916 bis 1940 findet man im Magazin unten in der Barbaraschule.
„Wildwest im Schlosspark“
Die Zeitung, herausgegeben vom Kaufmann Peter Becher, erschien täglich und lieferte Nachrichten aus der ganzen Welt - und natürlich aus Brühl. So kann man in einer Ausgabe aus dem Oktober 1924 unter der Überschrift „Wildwest im Schlosspark“ lesen, dass ein „junger Kaufmann von einem Arbeitslosen aus Köln angerempelt“ wurde, „der Lösegeld verlangte“. Dazu kamen „zwei Spießgesellen“, die für „reine Luft“ gesorgt hatten. „Der Angefallene erbot sich, einen Scheck auszustellen, womit der Angreifer sich zufrieden erklärte“. Als aber der „Angreifer“ gegen 3 Uhr am Nachmittag versuchte, den Scheck in einem Geschäft in der Kölnstraße „umzusetzen“ gelang es „unserer Polizei“ den „Arbeitslosen festzunehmen und abzuführen“.
Lesen kann man auch von einem Gärtnereibesitzer, der nach einem „arbeitsreichen Leben, dem der Erfolg nicht versagt blieb, infolge eines Herzinfarktes im Alter von 60 Jahren in die Ewigkeit abberufen wurde“.
Dem Mann wurde weiter bescheinigt, dass er „unermüdlich tätig gewesen sei, von früh bis spät“: „Ihm galt die Arbeit als Gebet, möge er in Frieden ruhen“. Ein solcher Text wäre 100 Jahre später eher nicht in einer Zeitung zu finden.
„Feinstes Schweineschmalz für 90 Pfennig“
Und schon vor über 100 Jahren gab es Anzeigen in Zeitungen, zum Beispiel wurde ein „durchaus zuverlässiger Mann“ vom „Martinskomitee“ gesucht, der bei der Martinsfeier in Brühl die Gabenliste vorzeigen soll. Ein Pfund „feinstes Schweineschmalz“ kostete 90 Pfennig, für 500 Gramm gebrannten Kaffee „in feinster Güte“ bezahlte man zwischen 2,40 und 3 Mark.
Zwischen 16 und 18 Grad
Um die Archivalien im Untergeschoss der Barbaraschule zu erhalten gibt es ein ausgeklügeltes „Klima-Monitoring“, denn die Altertümchen brauchen konstante Temperaturen: Im Fotoarchiv sind das 16, den anderen Magazinen 18 Grad. Elektronische Datenlogger messen die Temperatur und die relative Luftfeuchte. Liegen die Klimawerte außerhalb eines bestimmten Bereiches wird ein Alarm ausgelöst.
Und wenn etwas Neues ins Archiv kommt, muss es erst mal für einen Monat in Quarantäne, sprich in eine Kunststoffbox, die in einem, auf dem Boden mit doppelseitigem Klebeband, abgeklebten Bereich, steht. Denn so wird getestet, ob es mit dem eingangs erwähnten „Papierfischchen“ befallen ist.
In der Box ist eine sogenannte „Monitoring-Falle“ mit einem speziellen Lockstoff. Und sollte ein Papierfischchen in die Falle gehen, wird die komplette Abgabe für mehrere Tage bei -18 Grad tiefgefroren. Deshalb verfügt das Brühler Stadtarchiv ungewöhnlicher Weise über einen Tiefkühlschrank.
Dazu kommen die Klebefallen an allen Ein- und Ausgängen der Magazinräume. Zudem sind alle Magazine auch mit Lebendfallen mit Lockstoffen versehen, um einen möglichen Befall dort direkt zu bemerken.
Jeder kann ins Archiv
Das Archiv der Stadt Brühl ist öffentlich und für jedermann zugänglich. Einen Termin kann man unter 0 22 32/79 71 33 oder per Mail an stadtarchiv@bruehl.de vereinbaren.
Redakteur/in:Montserrat Manke |
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