Warum eigentlich nicht?
Ein besonderer Mensch, ein besonderes Projekt

Dieses Trio fällt auf der Pressetribüne auf: Anja Schimanke, Sascha Nowak und Volker Düster (v.l.). | Foto: Anja Schimanke
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  • Dieses Trio fällt auf der Pressetribüne auf: Anja Schimanke, Sascha Nowak und Volker Düster (v.l.).
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Frechen/Köln - #infobox

„Warum soll nicht jemand wie ich dabei sein?“ Ja, warum
eigentlich nicht! Sascha Nowak beantwortet die Frage nach dem Ursprung
unseres neuen Projektes ungestellt, als ich ihn das erste Mal treffe.
Wir sind in den Räumlichkeiten der Schreibwerkstatt Blatt-Gold der
Gold-Kraemer-Stiftung in Frechen. Hier kommen Hobby-Journalisten mit
sogenannten Lernschwierigkeiten beziehungsweise geistigen
Beeinträchtigungen zusammen.

Die Rheinischen Anzeigenblätter haben vor rund einem Jahr eine
Kooperation mit Blatt-Gold gestartet. Jetzt beginnt ein völlig neues
Projekt: das Redaktions-Tandem! Zum Auftakt werde ich mit Sascha, der
seit fast einem Jahr zum Blatt-Gold-Team gehört, ein Heimspiel des 1.
FC Köln besuchen. Damit er sich sicherer fühlt, ist auch die
Leiterin der Schreibwerkstatt, die freie Journalistin Anja Schimanke,
dabei. Ich weiß (noch) nicht viel über Sascha und was mich erwartet,
aber eines weiß ich: Das wird spannend!

So haben die beiden Seiten des Redaktionstandems den Auftakt erlebt:

Sascha Nowak: Blatt-Gold ist beim 1. FC Köln

Text: Sascha Nowak (diktiert und bearbeitet mit Hilfe von Anja
Schimanke)

Ich war Samstag im Stadion vom 1. FC Köln gegen Arminia Bielefeld,
hab die Nacht davor unruhig geschlafen. Weil ich aufgeregt war. Ich
war beim FC gewesen als Reporter von Blatt-Gold. Ein Tandem-Projekt zu
gründen mit den Rheinischen Anzeigenblättern. Der Volker Düster war
mit, das ist ein Sportjournalist. Wir zusammen wollen uns das Spiel
angucken.
Das 4. Mal bin ich heute schon im Stadion. Aber jetzt bin ich
Pressemitarbeiter und bei Blatt-Gold, das ist eine ganz andere Nummer.
Heute will ich das Beste rausholen. Ich muss darüber berichten über
das was ich erlebe. Ich bin angespannt.

Wir haben noch Zeit bis das Spiel beginnt. Mit Volker Düster und Anja
Schimanke, das ist die Schreibwerkstatt-Leiterin, gehe ich runter zum
Rasen. Ein Heiligtum. Eigentlich darf man so nah gar nicht dran. Wir
durften nur 10 Minuten zum Rasen. Weil wir die Presseausweise haben.
Das hat Volker Düster klar gemacht. Wir dürfen den aber nicht
betreten. Da dürfen nur die Spieler drauf.

Ich sehe gerade Armin Veh den Sportchef wie er aus der Kabine
rauskommt, und er sagt Hallo zu mir. Das ich den live sehe … das ist
der Hammer. Den Trainer sehe ich auch. Er steht am Rasen. Anthony
Modest sehe ich wie er sich gerade warm macht.

Danach treffe ich Jannes Horn. Er schreibt Autogramme für Fans. Soll
ich auch zu ihm gehen? Ich frage mich, ob er was gegen behinderte
Menschen hat? Ich bin aufgeregt. Ich gehe trotzdem hin. Ich geb‘ mir
einen Ruck. Ich schüttle ihm die Hand. Guter Händedruck. Fest. Ich
bin so einem Spieler zum ersten Mal gegenübergestanden. Bei mir hat
das Herz doll geschlagen. Ich hätte nicht gedacht, dass er so mit
offenen Armen mit behinderten Menschen umgeht. Manchmal haben die
keinen Respekt. Der schon. Das habe ich gespürt. Einmal eine
Autogrammkarte für mich und ein Autogramm für Blatt-Gold.

Wir gehen jetzt auf die Pressetribüne. Das ist für mich das erste
Mal. Hier zu sitzen ist etwas Besonderes! Die Plätze für Presse auf
der Tribüne sind schon okay, bisschen eng, vorne, der Abstand. Ich
bin groß und meine Kniee stoßen vorne gegen. Der Blick ist super.
Von da aus, kann man gut sehen. Drumherum alles Sportreporter und ich
als Blatt-Gold dazwischen. Ich gehöre dazu. Gänsehaut. Es ist schon
aufregend hier, das Ganze zu erleben. Die Leute, das Umfeld, wie das
hier alles passiert. 50.000 Leute sind heute hier. Ich hoffe, keiner
hat Bengalos dabei. Bengalos gehören nicht ins Stadion. Das sagen die
vor jedem Spiel auch extra nochmal durch. Ich tippe 3:0 für den FC.
Cordoba, Terodde und Modeste machen die Tore, glaube ich.
13 Uhr. Das Spiel ist gerade begonnen. Sie singen die FC-Hymne „Wir
stonn zu dir FC Köln“. Ich sehe, dass 50.000 Leute die Hymne
mitsingen. Das ist aufregend. Die Stimmung ist super. 

Jetzt geht das Trömmelchen los. Das Lied vom FC, wenn ein Tor fällt.
14. Minute: Dominick Drexler hat’s geschossen. Köln spielt gut.
Bielefeld spielt schlecht. Keine einzige Chance, im Moment. Das kann
sich noch ändern. Jetzt fällt das 2:0 für Köln. Die flippen alle
aus. Die Fahnen werden geschwungen. Die Schals – rot und weiß –
werden auch geschwungen. Simon Terodde hat in der 21. Minute das 2.
Tor geschossen. Der ist ein Top-Spieler, den muss man halten, wenn man
schlau ist. Die Stimmung ist super. Die Bielefelder sind traurig,
schätze ich, davon sind die nicht begeistert. So früh 2:0 hinten
liegen ist schon scheiße.

Halbzeit.

Die 2. Halbzeit geht los. In der 48 Minute schießt Jhon Cordoba das
3:0. Die Menschen im Stadion sind alle fröhlich. Außer die Fans von
Bielefeld. Die sind bestimmt traurig. Im Moment ist
Mittelfeld-Geplänkel … Bielefeld spielt den Ball, hat aber noch
nichts gezeigt. Die sind 10. auf der Tabelle. Danach dreht der FC
wieder auf, schalten einen Gang höher. Dadurch sind die Tore alle
passiert. In der 69. Minute fällt das 4:0, das hat Simon Terodde
geschossen. Und in der 71. Minute schießt Armenia Bielefeld endlich
auch mal ein Tor. Das 4:1. Und in der 90. Minute schießt Simon
Terodde sein 3. Tor. Der FC gewinnt 5:1. Die Mädels auf den Stühlen
ein paar Reihen runter auf der VIP-Tribüne hüpfen herum. Weil sie
sich freuen. Köln ist jetzt für mich Favorit für die 1. Liga.

Gänsehaut garantiert – das steht da im Stadion auf den Bannern. Bei
mir war das wie das 1:0 gefallen war vom FC. Und dass ich Jannes Horn
getroffen habe, das war der Hammer!
Das Spiel war wundervoll! Und allgemein das war drum und dran war auch
sehr super. Das müssen wir wieder machen, das mit dem Tandem. Weil
ich’s gut fand. Dass man miteinander arbeiten kann. Dass man
voneinander lernen kann. Dass ich mit Volker zusammengearbeitet habe.
Dass er sich die Zeit und die Mühe genommen hat. Ich möchte gerne,
dass Erlebnis weitermachen, als Journalist. Fußball war wichtig und
dass der FC gewonnen hat. Und dass ich gelernt habe, wie man mit
Medien umgeht, wie wir uns noch verbessern können als Blatt-Gold. Das
ist ein sehr sehr tolles Erlebnis!

Mein Tag mit Sascha, dem Sportreporter mit Handicap

von Volker Düster

Unser kurzes Treffen im Vorfeld des gemeinsamen Besuchs des
FC-Heimspiels in den Räumlichkeiten der Schreibwerkstatt Blatt-Gold
der Gold-Kraemer-Stiftung dient dazu, sich ein wenig kennenzulernen.
Sascha ist 36 und kann weder lesen, noch schreiben. Wer ihn nur
flüchtig betrachtet, sieht ihm seine Behinderung nicht an, sondern
nur einen Berg von einem Mann. Wer sich mit Sascha unterhält, merkt,
dass er manchmal Silben „verschluckt“, sich aber insgesamt gut
unterhalten kann. Wenn er sich bei einigen Themen umständlich
ausdrückt und etwas mehr Erklärungsbedarf hat, überrascht er mich
bei anderen mit punktgenauen Beobachtungen und Einschätzungen.
Schnell wird klar, Fußball ist sein großes Hobby. Er weiß Bescheid.
Wir „fachsimpeln“ ein wenig über den FC und seinen
Lieblingsverein, den SC Paderborn. Von dort kommt Sascha, er lebt aber
schon seit Jahren in Frechen im Haus der Gold-Kraemer-Stiftung. Wir
vereinbaren, dass ich ihn dort um 11 Uhr abhole.

Es ist Samstagvormittag, der 1.FC Köln erwartet Arminia Bielefeld zum
Zweitliga-Heimspiel. Ich bin schon um kurz vor 11 Uhr in Frechen, weil
ich glaube, dass Sascha bereits nervös wartet – und so ist es auch.
Kaum hat er neben mir im Auto Platz genommen, setzen wir unser
Gespräch von unter der Woche fort. „Der FC ist heute Favorit“,
weiß Sascha, aber die Geschichte mit dem zurückgetretenen
FC-Präsidenten Werner Spinner kann er nicht verstehen. Nachdem die
ersten sportlichen Punkte geklärt sind, möchte ich mehr über den
sanften Hünen wissen und frage mich vorsichtig in sein Leben hinein.
Sascha arbeitet in einer Behindertenwerkstatt in Köln: „Wir
arbeiten für Ford. Wenn Du ein Ersatzteil kriegst, haben wir das
eingepackt!“ Während Sascha mir noch ein bisschen aus seinem Alltag
berichtet, sind wir schon am Rhein-Energie-Stadion angekommen. Mit
unserer Akkreditierung können wir bis auf den Medien-Parkplatz
vorfahren. „Boah“, Sascha ist baff!

Am Stadion wollen wir uns mit Anja treffen. Sie wird Saschas
Eindrücke von seinem Einsatz als Sportreporter im Stadion für ihn
aufschreiben. Als sie nicht gleich zu entdecken ist, wird Sascha
unruhig. Doch vor dem Medien-Eingang sehen wir uns: Erleichterung auf
seinem Gesicht. Jetzt wird es ernst. „Ich war schon im Stadion, aber
heute, das ist anders! Heute bin ich als Journalist hier!“ Wir
erhalten unsere Ausweise. „Nimm du den, ich verliere den“, bittet
Sascha nervös. Wir machen die ersten Fotos, am FC-Logo, auf der
Presse-Tribüne und sogar am Rasen. Auf dem Weg dorthin begegnen uns
die beiden FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle und Armin Veh. Den
erkennt Sascha sofort und ist ganz aus dem Häuschen, als er uns mit
einem freundlichen „Hallo“ im Vorbeigehen begrüßt. „Hast Du
das gesehen?“ fragt er aufgeregt. Als dann noch FC-Trainer Markus
Anfang am Ende des Spielertunnels nur eine Armlänge von uns entfernt
am Rasen steht, kann es Sascha kaum glauben. Die ersten Eindrücke
übermannen den gutmütigen Riesen. Sascha wird ruhig, ist in sich
gekehrt. Wenn ich Bilder von ihm aufnehme, sage ich schmunzelnd:
„Hey, Du darfst auch gerne mal ein bisschen Lachen!“ Das hält
dann für ein paar Sekunden an, doch das, was Sascha hier erlebt, ist
für ihn eine echte Herausforderung – und es geht nahtlos weiter: Im
Medienbereich hält sich auch Jannes Horn auf. Der Linksverteidiger
des FC schreibt heute nur Autogramme. Wir dürfen auch zu ihm. Sascha
schüttelt ihm die Hand und fragt nach zwei Autogrammkarten, eine für
ihn persönlich, eine für Blatt-Gold. „Hätte nicht gedacht, dass
der so mit offenen Armen mit Behinderten umgeht“, ist Sascha
beeindruckt. „Manche haben ja Probleme damit!“

Bei einem Schluck Wasser können die ersten Eindrücke kurz sacken,
doch wir müssen weiter. Jetzt sind wir Objekt der Begierde, denn der
FC will vielleicht über unser Projekt im Geißbock-Echo berichten.
Nach dem Foto-Termin sagt Sascha: „Jetzt lass uns Fußball
gucken.“ Das Drumherum wird ihm zu viel. Wir gehen zu unseren
Presse-Plätzen. Die „Kollegen“ beäugen das seltsame Trio, das da
Platz nimmt, mit einer gehörigen Portion Skepsis. Wir fallen auf -
und aus dem sportlichen Rahmen. Erst recht, wenn weniger fachkundige
Kommentare während des Spiels fallen. Irritation und Unverständnis
um uns herum, gemischt mit dem fragenden Blick: „Was machen die
hier!“ Mir fällt dazu nur Saschas Frage ein: „Warum soll nicht
jemand wie ich dabei sein?“

Dem Gänsehaut-Moment der FC-Hymne, den Sascha mit „Anja, 50.000
sind hier“, großen Augen und einem seligen Lächeln kommentiert -
folgt eine rasante Anfangsphase der Geißböcke. Der FC lässt heute
keinen Zweifel aufkommen, wer Herr des Geschehens ist – 1:0 Drexler!
Saschas Analyse: „Kann man nicht besser spielen!“ Und dann:
„Scheiße!“ Ich schaue Sascha irritiert an, der wenig begeistert
auf sein Handy starrt: „Aue führt 1:0 gegen Paderborn.“ Dann ist
er wieder beim Geschehen auf dem Platz: 2:0 Terodde! Der FC führt
souverän und nimmt das Tempo raus – „jetzt ist nur noch
Mittelfeldgeplänkel“, sagt Sascha leicht enttäuscht. Halbzeit!
Das Sportliche ist für mich heute Nebensache. Die Wucht des
Erlebnisses, das Sascha hier ermöglicht wird, ist für mich das
Beeindruckende.

Der FC spult auch in Hälfte zwei souverän sein Pensum ab – Cordoba
und Terodde erhöhen auf 4:0. Dann die Stadion-Durchsage: „Das
Rhein-Energie-Stadion ist ausverkauft!“ Sascha fragt: „Warum
machen die nicht mehr Plätze?“ Wieder fragende Blicke der
Sport-Journalisten um uns herum. Ich erkläre ihm kurz, dass der FC
das gerne möchte, vielleicht sogar ein eigenes Stadion bauen will.
Das Spiel endet 5:1 für den FC und ich frage Sascha nach seinem
Fazit: „Köln steigt auf! Was willst Du mit denen in der zweiten
Liga!“

Wir räumen Kamera und Laptop ein – „Paderborn hat verloren“
informiert uns Sascha kurz mit Blick auf sein Handy. Wir gehen wieder
in den Medienbereich runter. „Sollen wir noch zur
Pressekonferenz?“, frage ich. Sascha druckst etwas herum und sagt
dann: „Ne, nicht mehr, ich muss das sacken lassen!“ Das sieht man.
Für Sascha ist das Tandem-Projekt heute mit all seinen Begegnungen,
Eindrücken und Emotionen eine Herausforderung, kein vergnüglicher
Ausflug. Mit Anja klärt er, dass er sie am Sonntag, spätestens
Montag braucht, um seinen Bericht zu erstellen – und der soll gut
werden. Er wird dann mit Anja mehrfach und intensiv die Aufzeichnungen
besprechen, bis er ihr letztlich seinen Bericht fertig diktiert hat.
Für Sascha bedeutet das Erstellen des Berichts zum einen eine
besondere Wertschätzung, aber auch Druck – und davon hatte er heute
schon genug.

Wir verabschieden uns von Anja, kämpfen uns durch Regen und Wind
zurück zum Auto und treten die Heimreise an. „Das heute war der
Wahnsinn“, betont Sascha und gibt mir auf dem Weg nach Frechen einen
persönlicheren Einblick in sein Leben: „Ich hatte in letzter Zeit
wenige tolle Erlebnisse.“ Dazu gehört auch der Austausch mit den
Kollegen der Schreibwerkstatt über ihren Alltag. „Der Jochen hat
jetzt erzählt, wie Jugendliche gesagt haben, ‚guck mal, der
Behinderte`. Wieso sagen die das?“, fragt Sascha. Ich kann ihm
leider keine vernünftige Antwort geben. Dann sind wir wieder zurück
am Haus der Gold-Kraemer-Stiftung. Sascha verabschiedet sich, müde,
aber auch glücklich: „So was würde ich gerne öfter machen. Oder
auch andere aus der Schreibwerkstatt, um zu zeigen, dass auch wir
behinderten Reporter dazu gehören!“ Und ich denke mir: Ja, warum
eigentlich nicht!

Redakteur/in:

Düster Volker aus Erftstadt

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