Marode Kernkraftwerke in Belgien
Menschen haben Angst vor dem GAU - Klage eingereicht

Die Kläger auf den Stufen zum Eingang des Justizpalastes. | Foto: StädteRegion Aachen
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  • Die Kläger auf den Stufen zum Eingang des Justizpalastes.
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Region - Die StädteRegion Aachen, die Gemeente Maastricht (NL), die Stadt
Wiltz (L) sowie neun natürliche Personen und zwei Unternehmen
(Weiss-Druck aus Monschau sowie die Aachener Verlagsgesellschaft)
haben am Donnerstag (22. Dezember) in Brüssel eine Klage gegen den
Weiterbetrieb von Tihange2 auf den Weg gebracht. Die Klage richtet
sich gegen den Belgischen Staat, die Föderalagentur für
Nuklearkontrolle (FANK) sowie den belgischen Stromversorger und
Betreiber der Atomkraftanlage Engie Electrabel S.A. Sachlich
zuständig für diese Klage ist das Gericht der ersten Instanz in
Brüssel.

Der Rhein-Erft-Kreis - so heißt es in einer Erklärung aus dem
Bergheimer Kreishaus - unterstützt die Städteregion bei Ihren
Bemühungen finanziell und ideell: "Von einer Klagebeteiligung hat der
Rhein-Erft-Kreis nach juristischer Beratung abgesehen."

Die Kläger fordern die Stilllegung des Kernkraftwerks Tihange 2 und
begründen dies mit der persönlichen Betroffenheit im Falle eines
schweren Atomunfalls.

Die Kernargumente lauten, vereinfacht, wie folgt:

-        Die belgischen Behörden haben nicht alle
Anstrengungen unternommen,  die erforderlich und geboten sind, die
Bevölkerung und die Umwelt vor den Folgen eines nuklearen Unfalls zu
schützen.
-        Sie verstoßen damit gegen belgisches und
europäisches Recht.
-        Hierzu zählt das europarechtliche Vorsorge- und
Sorgfältigkeitsprinzip. Danach darf eine potenziell gefährliche
Anlage wie ein Kernkraftwerk nur betrieben werden, wenn dessen
Sicherheit hinreichend bewiesen ist. Wissenschaftliche Unsicherheiten,
beispielsweise wie sich die gefundenen Risse im Reaktordruckbehälter
im Störfall auswirken, stehen einem Weiterbetrieb entgegen.
-        Die FANC hat vor Erlass der
Wiederinbetriebnahme-genehmigung im November 2015 den Sachverhalt
nicht ausreichend geprüft. Die durchgeführten Untersuchungen sind
unvollständig, methodologisch lückenhaft und beruhen teilweise auf
falschen Berechnungsmodellen.

Sofern das Gericht der Forderung nach einer Stilllegung nicht folgt,
wird nachrangig beantragt, gegenüber Electrabel anzuordnen, den
Betrieb von Tihange 2 zumindest solange stillzulegen, bis alle
Sicherheitsfragen rund um Tihange 2 geklärt sind, insbesondere die
Ursachen für die Risse und die Folgen dieser Risse unter
„atypischen“ Umständen, das heißt in einem Krisenfall.

Die neun natürlichen Personen machen eine persönliche Betroffenheit
geltend und klagen wegen einer Gefährdung von Leib, Leben und
Gesundheit, die nach ihrer festen Überzeugung von Tihange 2
ausgeht. 

Darüber hinaus sehen sich die klagenden Unternehmen insbesondere in
ihren Eigentumsrechten beeinträchtigt. Vertreten werden die Kläger
durch Tim Vermeir und Tinne Van der Straeten (blixt –
Rechtsanwälte) in Brüssel.

Studie bestätigt starke Betroffenheit der DreiländerRegion
Aachen im Falle eines Super-GAUs

Im Oktober hatte die StädteRegion Aachen eine Studie des Wiener
Instituts für Bodenkultur vorgestellt, die mögliche radiologische
Auswirkungen bei einem Versagen des Reaktordruckbehälters im KKW
Tihange 2 für die DreiländerRegion Aachen unter 3000 verschiedenen
realen Wetterbedingungen analysiert.

Demnach würde mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit in der Region der
Grenzwert für die effektive Dosis zum Schutz von Einzelpersonen um
das Dreifache überschritten, der für den Normalbetrieb von Anlagen
zulässig ist (=1 Millisievert). Dieser Wert ergibt sich aus der
Strahlenschutzverordnung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Aachener
Region von einem radioaktiven Niederschlag betroffen wäre, der in
Tschernobyl zur Umsiedelung führte, liegt bei zehnt Prozent!

Bei ungünstiger Wetterlage wären die Auswirkungen in dieser Region
mit den Städten innerhalb der 20-Kilometer-Sperrzone von Fukushima
vergleichbar. Doch nicht nur die DreiländerRegion Aachen, sondern
weite Teile des Bundesgebietes, der Niederlande, Belgiens und
Luxemburgs wären von der Katastrophe betroffen.

Aachener Bevölkerung fürchtet einen Super-GAU in Tihange 

Genau vor einem Jahr (22. Dezember 2015) hatten rund 2.000 Menschen in
Aachen für die Sofortabschaltung der belgischen AKW in Tihange
demonstriert. Anlass war die Wiederinbetriebnahme des rissigen
Reaktorblocks Tihange 2. Zuletzt waren am 12. November 2016 rund
25.000 Menschen im Aachener Tivoli zusammengekommen, um ein Zeichen
gegen Tihange zu setzen.

  • Klage vor dem Staatsrat läuft seit Februar – Kläger
  • repräsentieren 23 Millionen Menschen![/*]

Die StädteRegion Aachen hat schon am 5. Februar 2016 eine Klage vor
dem Staatsrat eingereicht. Dieser Klage haben sich zwei deutsche
Bundesländer (Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) und über 100
Kommunen aus Luxemburg, den Niederlanden und Deutschland
angeschlossen. Sie repräsentieren über 23 Millionen Menschen!

Die Klage wird derzeit von einem „Auditor“ (vergleichbar mit einem
Staatsanwalt) untersucht, der den Sachverhalt sowie die von den
Parteien geltend gemachten Argumente untersucht, zusammenfasst und
seine Beurteilung in einem ausführlichen und begründeten Bericht
niederschreibt. Als Schlussfolgerung formuliert er einen Vorschlag
über die Lösung in der Sache. Es gibt keine Frist hierzu.

Dieser Bericht wird dann zur Kenntnis der Partei gebracht, der der
Auditor Unrecht gibt. Diese Partei hat dann wiederum Gelegenheit,
binnen 30 Tagen einen letzten Schriftsatz mit ihren Argumenten gegen
diese Beurteilung vorzulegen. Danach (innerhalb einiger Monate) wird
die Sache in öffentlicher Sitzung untersucht. Die Verhandlung vor dem
Staatsrat erfolgt hauptsächlich schriftlich. Nach Beratung
entscheidet der Staatsrat (innerhalb einiger Monate) in einem
begründeten Entscheid endgültig über die Streitsache.

Rechtsanwalt Tim Vermeir von der Brüsseler Kanzlei Blixt rechnet
damit, dass der Auditor seine Beurteilung innerhalb der ersten
Jahreshälfte 2017 abgibt.

Redakteur/in:

Ulf-Stefan Dahmen

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