Aufarbeitung der Flutkatastrophe
«Natürlich hat es Fehler gegeben»

Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, stand im Untersuchungsausschuss Rede und Antwort zur Flutkatastrophe. | Foto: Oliver Berg/dpa/Archivbild
  • Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, stand im Untersuchungsausschuss Rede und Antwort zur Flutkatastrophe.
  • Foto: Oliver Berg/dpa/Archivbild
  • hochgeladen von Düster Volker

Ein Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags soll klären, ob das verheerende Ausmaß der Flutkatastrophe vom 14./15. Juli 2021, die in Nordrhein-Westfalen 49 Menschen das Leben kostete und Schäden in Höhe von rund 13 Milliarden Euro verursachte, zumindest zum Teil hätte abgewendet werden können. Heute wurde Herbert Reul (CDU), der Innenminister von Nordrhein-Westfalen zur Situation rund um das erschütternde Jahrhundert-Ereignis befragt. Sein Blick zurück zeigt: «Natürlich hat es Fehler gegeben!» Die Aufarbeitung habe aber auch bereits zu konkreten Lösungen geführt.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) musste am Freitag als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe aussagen. Dabei hat er erneut Fehler bei der Flutkatastrophe im vergangenen Juli eingeräumt, aber: Er habe diese bereits analysieren lassen und, wo es um systemische Fehler gehe, einen 15-Punkte-Plan für Verbesserungen unterbreitet.

Urlaubsabbruch und Heimreise per Pkw

Er persönlich frage sich, ob er seinen Urlaub nicht einen Tag früher hätte abbrechen sollen. Nicht zuletzt durch überflutete Autobahnabschnitte habe er für die Strecke von Lübeck nach Leichlingen mit seinem Privatwagen am 15. Juli elf Stunden gebraucht. Sich von einem Polizei-Hubschrauber abholen zu lassen, habe er abgelehnt, weil diese für die Menschenrettung gebraucht worden seien.

Er sei noch am Abend des 15. Juli unmittelbar nach seiner Rückkehr an seinem Privathaus in den Dienstwagen umgestiegen und habe in seinem Büro im Ministerium übernachtet. Er habe befürchtet, am nächsten Tag wegen überfluteter Straßen nicht mehr nach Düsseldorf zu kommen. Reul erläuterte, schon während seiner Rückfahrt aus Norddeutschland permanent wegen der Katastrophe telefoniert und etwa den Chef der Bundespolizei um Unterstützung gebeten zu haben.

49 Tote und Schäden in Höhe von 13 Milliarden Euro in NRW

Zu dieser Zeit hatten Mitte Juli 2021 Unwetter mit ungewöhnlich starken Regenfällen auch in Nordrhein-Westfalen eine immense Hochwasserkatastrophe ausgelöst. In NRW starben 49 Menschen, die Schäden wurden im Rahmen erster Schätzungen auf etwa 13 Milliarden Euro beziffert.

Der vom Landtag eingesetzte Untersuchungsausschuss prüft, ob es zu Versäumnissen und Fehlern im Zuge der Katastrophe gekommen ist. Ein vom Ausschuss bestellter Gutachter hat bereits zahlreiche Mängel und Versäumnisse aufgezeigt. So habe es vor allem an einer unmissverständlichen Warnung der Bevölkerung gefehlt.

Für und Wider des "großen" Krisenstabes und des Katastrophenschutzgesetzes

Zur umstrittenen Frage, den «großen» Krisenstab nicht einberufen zu haben, sagte Reul, er habe den Eindruck gehabt, dass die Koordinierungsgruppe sehr gut funktionierte. Sein Staatssekretär habe ihm davon abgeraten, während der laufenden Lage die Strukturen zu wechseln. Er habe diese Ansicht geteilt. Dies hätte Zeitverzögerungen verursachen und Grundsatzdiskussionen auslösen können. Als Signal an die Bevölkerung wäre das Einberufen des großen Krisenstabes aber besser gewesen.

Er halte das 2016 verabschiedete Katastrophenschutzgesetz, das die Krisenbewältigung den Kreisen und kreisfreien Städten zuweise, inzwischen für nicht ausreichend. Dieses sei für punktuelle Lagen «super». Bei Flächenlagen, wenn ganze Landstriche betroffen seien, komme das System aber an seine Grenzen.

Ein hydrologischer Bericht und seine Deutung

Reul widersprach der Ansicht, das Ausmaß der Katastrophe sei vorhergesehen worden und vorhersehbar gewesen. Der hydrologische Bericht vom 12. Juli morgens habe Regenfälle mit mehr als 100 Litern Niederschlag pro Quadratmeter binnen 48 Stunden mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 bis 30 Prozent versehen. Dies klinge eher wie eine Entwarnung, sagte Reul. Tatsächlich seien dann in Hagen 170 Liter innerhalb von drei Stunden vom Himmel gekommen.

Grünen-Obmann Johannes Remmel hielt Reul vor, der private Wetterdienst von Jörg Kachelmann habe vergleichsweise präzise gewarnt, während sein Haus die Lage noch als unklar und nicht vorhersehbar eingestuft habe. Die Verträge sähen eine Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst vor, entgegnete Reul. Wäre man Kachelmanns Hinweisen gefolgt, hätte man 153 Orte evakuieren müssen, darunter viele, in denen nichts passiert sei.

Reul weist Kritik zurück - Akten mit 1,25 Millionen Blatt Papier

Unwirsch reagierte Reul auf den Vorwurf der SPD, sein Haus habe dem Ausschuss möglicherweise immer noch nicht alle Unterlagen übersandt. Er verwahre sich gegen diese Unterstellung, sagte der Minister. Sein Haus habe Akten im Umfang von 1,25 Millionen Blatt Papier übersandt. Dies sei die hundertfache Menge im Vergleich zum Untersuchungsausschuss zum Attentäter Anis Amri. 29.000 Arbeitsstunden habe die Zusammenstellung der Unterlagen beansprucht.

Die Grünen verwiesen auf SMS von Reuls Handy am 14. Juli: Demnach habe er viermal vergeblich versucht, den damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet zu erreichen, etwa mit Nachrichten wie «Bist du in NRW?». Reul entgegnete, der Eindruck täusche, es habe an diesem Tag mehrfach Telefonate zwischen ihm und Laschet gegeben, die aber nicht protokolliert seien.

(vd)  /  © dpa-infocom, dpa:220310-99-467599/4

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

27 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.