Schulen schwenken weiße Flagge
„Wir können nicht mehr!“
Schon römische Legionäre sollen sie in auswegloser Situation geschwenkt haben, seit Anfang des 20. Jahrhunderts gilt sie weltweit als Zeichen der Kapitulation – jetzt hissen Grundschulen in Nordrhein-Westfalen die Weiße Flagge. [p]Region. „Geschockt“ und „fassungslos“ reagieren Schulleiter, Lehrer und Eltern auf das „Corona-Test-Chaos“ an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen. Aufgrund der steigenden Inzidenzen und fehlender Laborkapazitäten warteten Eltern, Kinder und Lehrer immer länger auf die Einzelergebnisse positiver Pool-Tests, bis die Ergebnisse plötzlich ganz ausblieben.
Dienstagnacht, 22.15 Uhr, teilte das NRW-Schulministerium dann den Schulleitungen mit, wie sie ab Mittwochmorgen neue Testvorgaben umsetzen sollen. „Wie üblich hatte Ministerin Yvonne Gebauer vorher die Presse informiert und die unangenehmen Details der neuen Regelungen nur unzureichend erklärt“, ärgert sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Probleme der knappen PCR-Tests blieben nun wieder an den Schulen und an den Familien hängen.
Ab sofort sollen Kinder, deren „Klassenpool“ positiv auf Corona getestet wurde, morgens in die Schule kommen und sich dort einzeln testen lassen. Alternativ sollen die Eltern zu einem Testzentrum fahren. „Dort sind aber die Zeiten meist eingeschränkt und die Kapazität ebenfalls knapp.
40 Minuten testen – 5 Minuten Unterricht
Eine Testung vor Schulbeginn ist schwierig“, weiß Alexander Blumberg von der GEW Rhein-Erft zu berichten, als er am Übergangsstandort der Lindenschule Frechen weiße Flaggen und Plakate anbringt, darauf fordern Kinder: „Wir wollen lernen statt testen“ und Lehrer erklären: „Schule heute: 40 Minuten testen – 5 Minuten Unterricht“. Blumberg: „Die neuen Vorgaben bedeuten, dass wir nach einem positiven Poolergebnis wissentlich mindestens ein positiv getestetes Kind – das vielleicht sogar vorher in einem vollen Schulbus saß – in eine vollbesetzte Klasse holen, damit es dort gemeinsam mit anderen Kindern ohne Maske einen Antigen-Schnelltest macht. Wenn der – laut eigenen Aussagen des Ministeriums weniger sichere – Schnelltest dann bei einem Kind positiv ist, muss dieses dann wieder isoliert und von den Eltern abgeholt werden. Sicherlich haben die Eltern auch nichts Besseres zu tun, als zu Hause darauf zu warten!“
"Wissentliche und willentliche Gesundheitsgefährdung"
Die Lehrkräfte müssten den Kindern beim Antigen-Schnelltest assistieren, schließlich seien die Tests vorbereitungsintensiv und gerade von kleineren Kindern kaum selbstständig sicher umsetzbar. „Viele Kinder müssen bei diesem Test niesen, die Aerosolbelastung steigt sofort. Eine Testung im Außenbereich zur Minimierung der Aerosolbelastung ist zurzeit aber nicht möglich, weil der vom Ministerium eingekaufte Schnelltest nur bei Temperaturen über 2 Grad Celsius funktioniert“, sagt Blumberg. Dies alles hätte mit „bestmöglichem Infektionsschutz“ nichts mehr zu tun. Es sei vielmehr „wissentliche und willentliche Gesundheitsgefährdung!“
Laut Aussage der Schulen herrsche „das totale Chaos“. Gesundheitsämter seien nicht mehr erreichbar, die Eltern verunsichert, Schulleitungen überlastet und die Kinder zum Teil „krank vor Angst“. Blumberg: „Während das Ministerium weiter von „sicherem Präsenzunterricht“ spricht, haben Kinder, Eltern und Lehrkräfte täglich Angst. Kinder kommen mit Bauchschmerzen in die Schule, warten dort angespannt auf ihr Testergebnis und fragen, wer denn heute nach Hause geschickt wird. Immer weniger Zeit steht für den eigentlichen Unterricht zur Verfügung, weil immer mehr Zeit für das Testen und Nachverfolgen draufgeht.“
Lage ist außer Kontrolle
Sich in dieser Situation hinzustellen und von einer „Teststrategie“ zu sprechen, sei reiner Hohn, findet die Mutter eines Grundschülers. Sie hofft, dass die Präsenzpflicht wieder aufgehoben wird und Eltern selber entscheiden können, ob sie ihre Kinder dem steigenden Infektionsrisiko aussetzen. „Die Lage ist außer Kontrolle, davor sollte Frau Gebauer die Augen nicht länger verschließen. Es wird viel von Eigenverantwortung gesprochen, aber es besteht Schulpflicht. Wir müssen unsere Kinder schicken“, ärgert sie sich.
„Wir können nicht mehr! Die Vorgaben von Düsseldorf sind nicht umsetzbar, das Ansteckungsrisiko für alle steigt immer weiter. Ein normaler Unterricht und eine normale Bewertung der Kinder sind nicht mehr möglich“, sagt die GEW. Die Gewerkschaft fordert: Eine Information der Schulen vor der Presse, professioneller Testungen durch geschultes und geschütztes Personal, eine Entlastung der Schulleitungen, eine langfristige Planung des Schulbetriebs mit klaren Stufenplänen, eine Anpassung der Bewertungsgrundlagen für Klassenarbeiten und Zeugnisse in der Corona-Pandemie und Luftfilter für alle Klassen.
Redakteur/in:Lars Kindermann aus Rhein-Erft |
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