Helferinnen berichten - offene Baustellen
„Erst Flut-, nun Antrags-Terror“

Lassen Betroffene wie Brigitte Altengarten nicht allein und versuchen, mit ihren Institutionen und persönlichem Engagement bestmöglich zu helfen: Andrea Schnackertz (l.) und Wiebke Borgolte (r.). | Foto: Düster
  • Lassen Betroffene wie Brigitte Altengarten nicht allein und versuchen, mit ihren Institutionen und persönlichem Engagement bestmöglich zu helfen: Andrea Schnackertz (l.) und Wiebke Borgolte (r.).
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„Die Flut ist doch lange vorbei!“ Das hören Wiebke Borgolte und Andrea Schnackertz ganz häufig. Doch die Not vieler Betroffener ist auch heute noch riesengroß, weiß das Duo.

Erftstadt. Bei der Bewältigung der Flutkatastrophe und ihrer Schäden wurde bereits viel geschafft, keine Frage. Zahlreiche Baustellen sind abgeschlossen. Es gibt allerdings auch weiterhin genügend persönliche Schicksale, bei denen dringend Hilfe vonnöten ist. Wiebke Borgolte vom Flutlotsenbüro des DRK Kreisverband Rhein-Erft e.V. und Andrea Schnackertz von der Hochwasserhilfe des Diakonischen Werkes Köln und Region gGmbH sind Helfer in der Not. Sie versuchen nach Kräften, Betroffenen bei Problemen mit Gebäude- und Hausrat-Versicherungen oder Gutachten zu helfen sowie Anträge für Landesmittel oder Spendengelder aus den Töpfen der Wohlfahrtsverbände zu stellen. Keine leichte Aufgabe, denn: Vor allem beim „Antrag für Wiederaufbauhilfe“ des Landes „saufen“ Jung und Alt in einem „Meer“ von Fallstricken sozusagen noch einmal ab. „Mir haben schon viele Betroffene gesagt: Auf den Flut-Terror folgt der Antrags-Terror“, berichtet Wiebke Borgolte. Im April 2022 übernahm das DRK-Flutlotsenbüro im Auftrag des Rhein-Erft-Kreises mit anderthalb Stellen die Aufgabe der Hilfe bei der Antragstellung der Landesmittel von den Johannitern, die noch mit viereinhalb Stellen ausgestattet waren.

„Schlimmer, als bei der Steuererklärung!“

Als maßgebliche Helferin bei der Antragstellung hat Wiebke Borgolte seitdem, dank rund 1.600 Fällen, mit ihrer Kollegin Claudia Lehmann reichlich Erfahrungen mit der Bürokratie ­gesammelt – die zu Beginn versprochene „schnelle und unbürokratische Hilfe“? „Die Realität sieht ganz anders aus – bis heute“, betont Wiebke Borgolte. Anträge und Kommunikation können ausschließlich digital via Mail und Computer erfolgen, „da sind viele Ältere ohne Familie oder Hilfe schon komplett raus“, weiß Wiebke Borgolte. Die Anträge sind zudem kleinteilig, so muss zum Beispiel jede einzelne Position erfasst und „abgesegnet“ werden – auch bei mehreren, langen Baumarkt-Kassenzetteln: „Das ist schlimmer, als bei einer Steuererklärung!“ Und dann? „Sind Anträge zurückgekommen, weil in einem Beleg eine Position destilliertes Wasser in Höhe von 1,55 Euro oder ein Halogen-Lämpchen über 4,99 Euro zu streichen wären“, lächelt Wiebke Borgolte bitter. Für Beides gab es logische Erklärungen, doch am meisten ärgert sie: „Die Kleinkariertheit. Es muss geprüft werden, keine Frage, aber es sollte verhältnismäßig bleiben. Für die Klärung solcher Positionen wird so viel Zeit - die die Betroffenen nicht haben - und Geld verschwendet, statt das System und den Austausch zu optimieren.“

„Für die Menschen ist das zermürbend!“

Auch Andrea Schnackertz, die für die Diakonie versucht, Betroffenen mit Rat, Tat und persönlichen Verbindungen zur Seite zu stehen, hatte bereits oft genug Grund, zu verzweifeln: „Und wir sind ja nicht mal persönlich betroffen. Für diese Menschen ist das zermürbend.“ Zwar sind die Anträge im „eigenen Haus“ deutlich leichter zu handhaben, so Schnackertz, doch der Austausch mit anderen Hilfsorganisationen, der Stadt oder dem Land und seinen Einrichtungen hätte viel früher greifen müssen. So erforderte er immer wieder viel Geduld, Hartnäckigkeit und Aufbauarbeit - zur Bildung von Kontakten und Netzwerken. Dies galt auch für die Zuständigkeiten der Bezirksregierungen, die seit der Flut wechselten: „So liegen heute Baustellen in einer Straße zur Bearbeitung einmal in Köln und einmal in Detmold“, fasst Andrea Schnackertz zusammen.

„Ein koordinierenderKopf wäre wünschenswert!“

Und direkt vor Ort sieht es nicht anders aus: „Wir hätten uns von öffentlicher Seite einen koordinierenden Kopf gewünscht. Es gibt zwar einen Wiederaufbaumanager bei der Stadt Erftstadt, der ist aber für die städtischen Projekte zuständig, nicht für die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger.“ Was fehlt? „Jemand, der sich zunächst der jeweiligen Situation der Betroffenen annimmt und diese dann an die passenden Stellen und Hilfsorganisationen vermittelt“, sind sich Wiebke Borgolte und Andrea Schnackertz einig. Die beiden Damen haben aber mittlerweile eine organisationsübergreifende, persönliche Allianz geschmiedet. „Wir wissen, wer von uns wie am besten helfen kann. Darüber hinaus versuchen wir, an weitere Stellen zu vermitteln“, erklärt das Duo und betont: „Wir kümmern uns auch jetzt noch um Erstkontakte, also Menschen, die erst jetzt Förderanträge stellen.“

Bei der Förderung gilt grundsätzlich der Schlüssel: 80 zu 20 – 80 Prozent der Schäden können vom Land aufgefangen werden. Die Frist zur Antragstellung soll seitens der Politik zeitnah bis 2026 verlängert werden, erste Beschlüsse sind gefasst. „Die fehlenden 20 Prozent nicht versicherter Schäden sollen dann im besten Fall über die Spendentöpfe der verschiedenen Wohlfahrtsverbände abgedeckt werden. Welche Summe das am Ende ist, gibt am besten der Abschluss des dreistufigen Förder-Systems des Landes wieder – auf die erste Antragstellung und den so genannten ‚Mittelabruf‘ folgt zu guter Letzt der abschließende ‚Verwendungsnachweis‘. Dort sind die Werte und Schadenssummen genau aufgelistet“, erklärt das Duo die Praxis, die so häufig zeitliche Verzögerungen für die Anträge der Spendengelder mit sich bringt.

Nur ein „Härtefall“:Familie Altengarten aus Blessem

Und so betonen die Helferinnen, fast zwei Jahre nach der Flut: „Es ist lange noch nicht vorbei, viele benötigen immer noch Hilfe!“ So, wie Brigitte Altengarten aus Blessem. Sie muss in diesen Tagen ihr Haus abreißen lassen. Ihr Schicksal und was sie am meisten trifft, lesen Sie in einer der kommenden Ausgaben.

Wiebke Borgolte und Andrea Schnackertz hoffen, auch wenn sie sich bereits mehrfach „blutige Nasen“ mit ihren Vorstößen geholt haben, weiter auf Verbesserungen in der Kommunikation und für das System: „Es ist nie zu spät! Unsere Aufgabe ist es, den Menschen bestmöglich zu helfen! Dafür werden wir weiter arbeiten!“

Kontakt zu Wiebke Borgolte, DRK-Flutlotsenbüro, unter Telefon 02271/ 606139 und zu Andrea Schnackertz sowie ihrem Diakonie-Team unter 0163/ 7117593.

Redakteur/in:

Düster Volker aus Erftstadt

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