Wildfreigehege nachgebaut
Aaliyah und ihre Liebe zum Detail
Die 19-jährige Aaliyah Schenk hat das Wildfreigehege Hellenthal als Miniaturlandschaft nachgebaut. Die junge und begabte Asperger-Autistin ist auf dem Weg in ein reguläres Arbeitsverhältnis.
Region (lk). Menschen, die nicht einfach nur acht Stunden am Tag funktionieren wollen, scheinen in den normalen Arbeitsmarkt nur schwer vermittelbar. Dass dies auch anders sein kann, wenn man nur die richtige Unterstützung anbietet, beweisen die Nordeifel.Werkstätten (NE.W), denen es im Rahmen ihrer Berufsbildungsmaßnahmen (BBB) gelungen ist, eine Perspektive für die 19-jährige Aaliyah Schenk zu finden.
Die junge Frau, bei der das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, das für Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation verantwortlich sein soll, kam mit dem normalen Arbeitsleben nicht so recht klar.
„Aaliyah hat Probleme, mit vielen Menschen in einem Raum zu sein, sie besitzt zusätzlich eine sensorische Überempfindlichkeit, was Gerüche angeht, und liebt es daher, draußen an der frischen Luft zu arbeiten, wo sie sich frei bewegen kann“, berichtet Pflegemutter Erika Kirchner. Im Wildfreigehe Hellenthal, das sie schon seit ihrer Kindheit kenne, fühle sie sich daher besonders wohl und sicher und sei daher sehr froh gewesen, dass sie hier einen Betriebsintegrierten Bildungsplatz (BiBP) erhalten durfte und demnächst einen Betriebsintegrierten Arbeitsplatz (BiAP) angeboten bekomme.
Schon als Kind habe Aaliyah Schenk immer gern gebastelt. „Sie konnte sich stundenlang intensiv mit irgendwelchen kleinteiligen Arbeiten beschäftigen. In diesen Momenten ging es ihr immer sehr gut“, berichtet Erika Kirchner.
Diese Liebe zum Detail gepaart mit großer Ausdauer hat sich bei Aaliyah bis heute erhalten. Stundenlang kann sie auf der Lauer liegen, um beispielsweise im Wildfreigehege Hellenthal Tiere zu fotografieren. „Wenn nichts anderes zu tun ist, dann beobachtete ich eines der Tiere auch schon mal drei Stunden lang“, erzählt sie. Und das mit Erfolg. Als sie kürzlich einen jungen Luchs fotografierte und diesen in ihrem Instagram-Profil zeigte, war die Computerzeitschrift „c‘t“ so begeistert davon, dass sie das Foto sofort als „Bild der Woche“ prämierte.
Doch Aaliyah Schenk hat noch weitere Begabungen. Sie schreibt auch gern und hat schon zwei Jugendromane erstellt. „Was ich schreibe ist immer sehr düster“, sagt sie, „deshalb gefällt es nicht jedem.“ Darüber hinaus malt sie gern und hat zahlreiche Vogelkästen im Wildfreigehege mit bunten Disneybildern verschönert. Doch als kürzlich eine Mitarbeiterin des Wildfreigeheges Geburtstag feierte, offenbarte sich eine weitere Begabung der jungen Frau: Sie hatte einen Teil der Greifvogelstation im Kleinen nachgebaut und das so perfekt, dass der Chef des Wildfreigeheges, Karl Fischer, aus allen Wolken fiel. Fischer schlug ihr dann vor, doch mal die ganze Greifvogelstation zu gestalten, doch dazu war Aaliyah Schenk nicht zu bewegen, denn sie hatte schon längst einen viel größeren Plan im Kopf, nämlich das gesamte Wildfreigehege nachzubauen mit der Greifvogelstation als Zentrum.
Karl Fischer war sofort bereit, für sämtliche Materialkosten aufzukommen. „Drei bis vier Monate arbeitete Aaliyah an dem Modell, baute das komplette Gelände mit allen Attraktionen aber auch in seiner besonderen topographischen Lage am Berghang nach, eine supertolle Leistung. Die junge Frau hat ein Talent, das kein anderer hat“, schwärmte der Gehege-Chef in höchsten Tönen: „Sogar unsere Fahrzeuge sind als Modelle in der Miniaturlandschaft zu finden.“
„Ich bin in verschiedenen Modellbauläden gewesen und habe auch eine Ausstellung besucht, um das passende Material und die passenden Fahrzeuge zu finden“, berichtet Aaliyah Schenk. Das Meiste sei aber selbstgebastelt, für die Vogelvolieren musste Fliegengitter herhalten, Zäune wurden aus Blumendraht geflochten und kleine Holzwände aus Sperrholz erstellt.
Der Quadratmeter voller kleiner Wunder wurde von Benedikt Reetz und Sascha Lippert vom Team aus Bildungsbegleitern und Teilnehmern des Berufsbildungsbereiches der NE.W mit Schwerpunkt Gartenlandschaftsbau in eine Acrylglas-Vitrine eingebaut, die wiederum in einem Schaukasten der Greifvogelstation ihren Platz gefunden hat.
Aaliyahs Bezugsbetreuer und Teamleiter Christoph Tarrach, der durch seine ausdauernde Unterstützung wesentlichen Anteil an Aaliyahs Einstieg in das Berufsleben hat, erläuterte die Hintergründe der Berufsbildungsmaßnahmen: „Aaliyah hat zunächst ein sechsmonatiges Praktikum im Wildfreigehege absolviert. Danach wurde dieses in einen Betriebsintegrierten Bildungsplatz (BiBP) verwandelt.“ Dabei handelt es sich um einen Arbeitsplatz, der von einem Berufsbildungsbereich für Menschen mit Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen in private und öffentliche Betriebe verlagert wird.
Die Teilnehmer der beruflichen Reha-Maßnahme arbeiten in diesem Fall also in einem regulären Betrieb. Durch die NE.W wird allerdings weiterhin eine kontinuierliche Unterstützung und Betreuung am Arbeitsplatz gewährleistet.
„Ab 16. November wird dann der BiBP in einen Betriebsintegrierten Arbeitsplatz (BiAP) umgewandelt“, berichtete Tarrach. BiAPs sind Außenarbeitsplätze für Werkstattbeschäftigte in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes. „Die Betreuung wird hier nicht mehr ganz so intensiv sein wie derzeit“, so Tarrach, denn Ziel der kompletten Maßnahme sei letztlich eine Festanstellung für Aaliyah in einem ganz normalen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis.
Damit so etwas möglich werden kann, benötigt man Unternehmer wie Karl Fischer. Der Selfmademan ist dafür bekannt, nicht die Probleme in den Vordergrund zu stellen, die einer mitbringt, sondern die Möglichkeiten zu sehen, die einer hat, und diese Möglichkeiten wiederum als Zugewinn für den eigenen Betrieb zu erkennen.
Erika Kirchner lobte neben dem Wildfreigehege-Chef und seinem Team darüber hinaus besonders die NE.W. „Die haben wirklich alles möglich gemacht, um Aaliyah das Umfeld zu verschaffen, das sie benötigte, um sich weiterentwickeln zu können.“ Dass dies gelungen ist, konnte man während des Pressetermins, zu dem mehrere Print- und Radiojournalisten anrückten, erleben. Aaliyah Schenk zeigte sich selbstbewusst, was ihre künstlerische Arbeit anging, und antwortete bereitwillig auf alle Fragen, obwohl sie nicht gern im Zentrum des Geschehens steht und für Presserummel erst recht nicht viel übrig hat.
Redakteur/in:Lars Kindermann aus Rhein-Erft |
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