Novemberpogrome 1938
Erinnerung und Mahnung zugleich

Mit Gedenkrundgängen in Mechernich und Kommern sowie einer Gedenkveranstaltung in Euskirchen wird am 9. beziehungsweise 10. November an die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft erinnert.  | Foto: Christian Pohl/pixelio.de/ProfiPress
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  • Mit Gedenkrundgängen in Mechernich und Kommern sowie einer Gedenkveranstaltung in Euskirchen wird am 9. beziehungsweise 10. November an die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft erinnert. 
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Euskirchen/Mechernich - (pp/tor). In diesem Jahr jährt sich zum 80. Mal das Pogrom vom 9.
November 1938. In dieser Nacht und am darauffolgenden Tag erreichte
der von den Nationalsozialisten propagierte und geschürte
Antisemitismus und Rassenwahn einen ersten Höhepunkt. Jüdische
Gotteshäuser und Geschäfte wurden angezündet, jüdische Mitbürger
wurden Opfer öffentlicher Demütigung und gewalttätiger
Übergriffe.

Die einschneidenden Ereignisse des 9. November waren ein
Zivilisationsbruch. Sie gelten als Fanal für die anschließende
Entrechtung und Ausgrenzung, Verschleppung und Ermordung von sechs
Millionen deutschen und europäischen Juden.

In Euskirchen wurde die Synagoge in der Annaturmstraße am Nachmittag
des 10. November 1938 zunächst geplündert und anschließend in Brand
gesetzt. Wie an anderen Orten auch gab es zahlreiche Schaulustige.
Öffentlichen Widerstand gegen die Ausschreitungen gab es nicht. Die
Synagoge brannte bis auf die Grundmauern ab. In den Jahren danach
wurden viele Euskirchener Juden in Konzentrations- und
Vernichtungslager deportiert.

Mit der Gedenkveranstaltung am Freitag, 9. November, 18 Uhr, erinnert
die Kreisstadt an die Ereignisse des Pogroms, ebenso wie an die
unzähligen Opfer des Holocaust, insbesondere an die ermordeten
Mitbürger aus Euskirchen. Die Veranstaltung ist gleichsam ein Aufruf
gegen Antisemitismus und Rassismus. Bürgermeister Dr. Uwe Friedl wird
zunächst eine Ansprache halten. Es folgen Gebete von Diakon Werner
Jacobs und Pastor Frank Thönes sowie musikalische Beiträge der
Solistin Mel Woossmann sowie Schülerinnen und Schüler der
weiterführenden Schulen. Außerdem ist eine Licht- und
Klanginstallation geplant.

Mit einem Gedenkrundgang wird in Mechernich am Freitag, 9. November,
ab 18 Uhr, der Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft gedacht. Die
Veranstaltung wird organisiert von den weiterführenden Schulen und
den christlichen Kirchen in der Stadt Mechernich. Start ist an der
Rathergasse, Ecke Turmhofstraße. „Dort werden wir dieses Jahr die
Wiederaufstellung des Gedenksteins für die jüdischen Bürger von
Mechernich feiern können“, sagt Franz Josef Kremer vom Orga-Team.
Zur Eröffnung wird Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick sprechen.

Von der Rathergasse aus zieht der Gedenkgang über mehrere Stationen
zum Dietrich-Bonhoeffer-Haus. Dort gibt es nach Abschluss der
Veranstaltung die Gelegenheit, eine Ausstellung über die Verbrechen
im Konzentrationslager Auschwitz zu besichtigen, die die evangelische
Gemeinde zu diesem runden Jahrestag organisiert hat.

„Die Nazis haben nicht nur sechs Millionen Juden aus ganz Europa
ermordet, sondern auch 3,3 Millionen russische Kriegsgefangene,
200.000 Sinti und Roma, 3,5 Millionen Zwangsarbeiter, Deportierte und
KZ-Häftlinge. Durch das Euthanasie-Programm der Nazis haben 250.000
behinderte Menschen den Tod gefunden. Insgesamt hat die
Gewaltherrschaft der Nazis mindestens 70 Millionen Menschenleben
gekostet“, so Kremer. Umso erschreckender sei es, dass heute bei
Demonstrationen wieder Nazi-Parolen gebrüllt und Nazi-Symbole gezeigt
würden und in fast allen deutschen Parlamenten Rechtspopulisten
sitzen. Kremer will ein Zeichen setzen: „Es ist heute wichtiger denn
je, an die Zeiten vor 80 Jahren zu erinnern.“

Mit Freude hat er zur Kenntnis genommen, dass auch in Kommern ein
Gedenkrundgang stattfindet - und zwar am Samstag, 10. November, ab 16
Uhr. Treffen ist an der Gedenkstele vor der ehemaligen Synagoge in der
Pützgasse. Die Häuser der Familien Kaufmann, Frohwein/Eiffeler und
Horn bilden die Stationen. Am Ende, in der Gielsgasse 20, wird eine
Gedenktafel enthüllt werden, die an die Familie Kaufmann erinnert.
„Der dazugehörige Stolperstein ist auch schon in Auftrag gegeben.
Er hat eine Vorlaufzeit von anderthalb Jahren“, so Mitorganisator
Rainer Schulz.

Insgesamt 29 jüdische Familien gab es nach heutigem Wissenstand im
Ortskern von Kommern. Schülerinnen der Marienschule Euskirchen werden
Wissenswertes erzählen und Einblick in die Schicksale der Menschen
geben. „Es ist wichtig, das Geschehene immer wieder in den Köpfen
zu wecken, solche Geschichten auszutauschen. Jude ist heute leider
schon wieder ein Schimpfwort unter den Jugendlichen. Man muss da
sensibilisieren“, so Lehrerin Elke Höver. Im Unterricht hatten die
Schüler das behandelt und daher gerne ihre Teilnahme an der
Gedenkveranstaltung zugesagt.

Man hat bereits viel über die Schicksale herausfinden können, wie
über die Familie Eiffeler. Ihr Leidensweg konnte nachgezeichnet
werden. Auf dem Pappschild, das um den Hals gebunden war, stand die
Nummer 167, auf den nächsten Schildern 168 bis 170, jeder der
vierköpfigen Familie Eiffeler aus Kommern musste diese so genannte
Transportnummer tragen: Ruth, ihre Schwester Hannah, Mutter Helene und
Vater Alfred. Die Familie wurde von Nazi-Schergen nach Minsk
deportiert. Dort wurden die Eiffelers noch am gleichen Abend
erschossen beziehungsweise in umgebauten Bussen vergast.

Das „Judenhaus“, wie es genannt wurde, steht heute noch mitten in
Kommern. Es gehörte der Familie Frohwein. 1941 mussten alle Juden
ihre Häuser verlassen und in das „Judenhaus“ an der Kölner
Straße ziehen. „Die Juden durften nur eine Matratze, eine Hose, ein
Hemd und eine private Kleinigkeit mitnehmen“, fanden die Schüler
heraus. 1942 wurden alle Bewohner des „Judenhauses“ nach Minsk
deportiert.

Alte Steine gibt es an der Kommerner Synagoge zu entdecken, denn Teile
der religiösen Stätte stehen heute noch. Das Gebäude wurde in der
Pogromnacht 1938 angezündet und brannte bis auf die Grundmauern
nieder. Weil Baumaterial nach dem Krieg knapp war, integrierten die
späteren Käufer die Mauerreste in die Außenwände ihres neuen
Hauses.

Die damals zwölfjährige Maria Klee übernachtete manchmal gegenüber
der Synagoge bei der Oma. Sie fand in dieser Nacht in der Asche der
noch qualmenden Ruine einen Synagogenleuchter und versteckte ihn in
ihrem Bett. Später wurde er an Emmy Golding, geb. Kaufmann in London
übergeben. Nachfahren von Emmy Golding werden vielleicht auch zu
Besuch kommen. „Emmy und Lilly, die beiden Jüdinnen, um deren
Familien es hauptsächlich geht, waren auch Marienschülerinnen“,
weiß Höver.

Gisela Freier hat sich intensiv mit der Geschichte der Kommerner Juden
auseinandergesetzt und hält die Erinnerung wach. Carl Horn habe nur
durch Glück überlebt, er war ins heutige Israel geflohen - auf
abenteuerlichen Wegen: „Aufgehetzte Kommerner wollten ihn in der
Pogromnacht mit dem Auto überfahren“, berichtet Freier. „Er
rannte um sein Leben und suchte Hilfe bei seinem besten Freund in
Firmenich.“In einem Heuwagen versteckt, brachte ihn die Familie nach
Luxemburg. In Israel war er bis 1975 Herbergsvater der Jugendherberge
am See Genezareth. Carl Horns Vater Abraham starb im
Konzentrationslager Theresienstadt, seine Mutter Ida, sein Bruder Leo
und seine Schwester Bertha in Auschwitz.

Mit Gedenkrundgängen in Mechernich und Kommern sowie einer Gedenkveranstaltung in Euskirchen wird am 9. beziehungsweise 10. November an die Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft erinnert.  | Foto: Christian Pohl/pixelio.de/ProfiPress
Insgesamt 29 jüdische Familien gab es nach heutigem Wissensstand im Ortskern von Kommern. Mit einem Gedenkrundgang wollen allen voran Rainer Schulz (l.) und Gisela Freier (r.) an die Familien erinnern, die dem Hass zum Opfer fielen, nur weil sie Juden waren. Auf einer Leinwand ist „Wer wohnte wo?“ verewigt. | Foto: TS/ProfiPress
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