Euro-Children
Ferien von Hass und Gewalt

Trist, Grau in Grau, weite kahle Flächen, omnipräsente gepanzerte Landrover: Belfast in den siebziger und achtziger Jahren.  | Foto: Bert Bous/DRK/pp/Agentur ProfiPress
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  • Trist, Grau in Grau, weite kahle Flächen, omnipräsente gepanzerte Landrover: Belfast in den siebziger und achtziger Jahren.
  • Foto: Bert Bous/DRK/pp/Agentur ProfiPress

Vor 50 Jahren wurden einige Hundert Kinder aus dem Krisengebiet Nordirland in den Kreis Euskirchen in die Ferien geholt.

Kreis Euskirchen (lk). Dienstag, 31. Juli 2007 wenige Minuten nach 20 Uhr: Der Euskirchener Bruno Grobelny (damals 71) sieht die Nachrichten und ist von einem Bericht besonders gerührt: Nach 38 Jahren bürgerkriegsähnlichen Zuständen ist in Nordirland Frieden eingetreten. Die britische Armee beendet ihren Einsatz in Nordirland und zieht ab. Bereits am 28. Juli 2005 hatte die IRA den bewaffneten Kampf für beendet erklärt.

Sofort greift Bruno Grobelny, der ehemalige Geschäftsführer des Kreiscaritasverbandes Euskirchen, zum Telefon, und ruft seinen Freund und Weggefährten Rolf Zimmermann an, zu der Zeit Geschäftsführer des Roten Kreuzes im Kreis Euskirchen. Die beiden Euskirchener und ein großer Kreis von sie unterstützenden Mitarbeitern und Familien haben nämlich auf ihre Weise ein Stück zu diesem Friedensprozess beigetragen, der nach Jahrzehnten der Unruhe, des Terrors und des Bürgerkriegs endlich zu einem friedlichen Happy End führt.

Geholfen haben Grobelny und Zimmermann und zahlreiche Familien im Kreisgebiet im Rahmen der Aktion „Euro-Children“, die unter der Führung des belgischen Paters Robert Mathiew aus Antwerpen seit dem 2. Weltkrieg Kindern aus bedrängten Lebenslagen Ferienaufenthalte in friedlicheren und besser versorgten Gegenden verschafft.

Waren es zuerst ab 1957 mehrere tausend Flüchtlingskinder aus Deutschland und Österreich, die auf Einladung von Gastfamilien Ferien in Belgien verbrachten, so waren es ab den 1970er Jahren Kids aus den nordirischen Metropolen Belfast und Derry/Londonderry, wo faktisch Bürgerkrieg herrschte.

Von 1974 an haben Caritas und Rotes Kreuz und viele Familien im Raum Euskirchen, Mechernich, Zülpich, Weilerswist und Bad Münstereifel mindestens 15 Jahre lang die Aktion „Euro-Children“ unterstützt. Bei dieser Aktion wurden Kinder aus Nordirland für einige Wochen nach Euskirchen in Gastfamilien eingeladen. „Das war eine klasse Zeit, die mich sehr geprägt hat“, konstatierte Rolf Zimmermann in einer Interviewrunde mit einer Mitarbeiterin der irischen Botschaft.

Bert Bous, wie Zimmermann ebenfalls ein Rotkreuz-Funktionär, der 1989 eine Nordirin heiratete, hat für das Jahr 1987 genau Buch geführt. Damals waren deutschlandweit 789 Mädchen und 627 Jungen aus Nordirland zu Gast, das Gros waren Neun- und Zehnjährige, aber auch 21 Siebenjährige und 38 16- und 17-Jährige. Allein im Raum Euskirchen/Mechernich waren 31 Kinder in Gastfamilien untergebracht.

Die nordirischen Kinder und Jugendlichen kamen damals in eine völlig neue Umgebung. „Gerade wenn die katholischen Kinder in einer protestantischen Familie aufgenommen wurden, verstanden sie die Welt erst einmal nicht mehr“, berichtet der jahrzehntelang engagierte Rotkreuz-Mann und Pfadfinder Rolf Zimmermann.

Denn Katholiken und Protestanten bekämpften sich erbittert in Nordirland, obwohl es eigentlich kein religiöser Konflikt war, sondern einer zwischen der ursprünglichen katholischen irisch-stämmigen ärmeren Bevölkerung und den wohlhabenderen Nachfahren der aus Schottland, England und Wales gekommenen protestantischen Siedler.

„Wenn sich katholische und protestantische Kinder auf dem Schulweg begegnet sind, dann kam es vor, dass sie sich gegenseitig mit Steinen bewarfen“, erinnert sich Rolf Zimmermann. Nach der Schule ging es für die nordirischen Kinder sofort wieder nach Hause „Ihre Freizeit haben sie in der Wohnung verbracht, gespielt wurde aber auch auf der Straße, aber nur auf der eigenen und nur im eigenen Viertel, aber regelmäßig konfrontiert mit Militär- und Polizeipatrouillen und der Gefahr, in Auseinandersetzungen zu geraten“, so Bert Bous, ebenfalls engagierter Rotkreuz-Mann aus Kommern, der seit 1989 mit einer nordirischen Krankenschwester aus Belfast verheiratet ist.

In den Gastfamilien lernten die „Euro-Children“ etwas völlig Neues kennen. Die meisten stammten aus ärmlichen Verhältnissen. Im Kreis Euskirchen gab es hingegen fast alles, wovon man zu Hause träumen konnte. Und es gab Frieden. Es herrschte ein Klima der Angstlosigkeit. Die nordirischen Kinder atmeten erleichtert auf. „Man muss sich das vorstellen“, so Josef Heinen, der damalige Leiter des Kinderferienwerks der Caritas, das er von Mia Siebels übernommen hatte: „In jeder Familie in Belfast oder Derry war einer tot aufgrund der Unruhen oder saß im Gefängnis…“

„Vor diesem Hintergrund war es ein ungeheurer Vertrauensvorschuss, mit dem uns die Eltern aus Belfast und Derry ausgestattet haben“, erklärte Bert Bous im Interview mit Marlen Jacobshagen. „Andererseits munitionierten sich die »lieben Kleinen» aus den Unruheherden während der Ferien in der Eifel buchstäblich auf“, so der Journalist Manfred Lang.

Er musste einmal auf der Rückreise mit Euro-Children nach Belfast bei einer Zwischenlandung in Manchester erleben, wie englische Zöllner die Koffer der irischen Ferienkinder auseinandernahmen und Unmengen von Taschenmessern, Plastikpistolen und Waffenattrappen ans Tageslicht beförderten – und den Kindern abnahmen.

Die Geschichte mit den Euro-Children holte Bruno Grobelny, Rolf Zimmermann und Bert Bous, aber auch Caritas-Mann Josef Heinen und den früheren Tageszeitungs-Redakteur und heutigen Diakon Manfred Lang aus Mechernich jetzt wieder ein – und zwar in der Person von Marlen Jacobshagen, die im Auftrag der irischen Botschaft in Berlin eine Dokumentation über die Ferienaktion „Euro-Children“ und ihre Folgen für Bürgerkriegskinder aus Belfast und Londonderry in den siebziger und achtziger Jahren zusammenstellt.

Viele damalige Ferienkinder sagten der jungen Sozialwissenschaftlerin: „Ohne Ferien im friedlichen Deutschland, in Euskirchen und in der Eifel, wäre unser Leben völlig anders verlaufen.“ In den hiesigen Gastfamilien lernten sie nicht nur eine entspannte Begegnung mit Protestanten kennen, sondern auch friedliche Polzisten auf den Straßen, vor denen sie keine Angst zu haben brauchten und fliehen mussten.

Die Helfer aus dem Kreis Euskirchen erlebten hingegen in Belfast Razzien und Polizeikontrollen und permanente Überwachung. Und auch die Bundesregierung hatte ein Auge auf die Aktion „Euro-Children“. „Eines Tages bekam ich zu Hause in Euskirchen Besuch vom Bundesnachrichtendienst“, erinnert sich Grobelny. Die wollten wissen, wo wir uns da aufhalten und mit welchen Leuten wir zu tun haben.

Nach Durchsicht aller Akten war dann aber schnell klar, dass Caritas und Rotes Kreuz und ihre zivilen Helfer in Nordirland nur Gutes im Schilde führten. „»Machen Sie weiter so«, haben die Beamten nach der Untersuchung zu mir gesagt“, berichtet der ehemalige Caritas-Geschäftsführer. Der Verdacht einer Zusammenarbeit mit IRA oder INLA („Irish National Liberation Army“) war damit ausgeräumt.

Rolf Zimmermann: „Eines der Kinder, das öfter bei mir in der Familie war und das auch in meinem Geschäft gearbeitet hat, ließ mir aus dem Gefängnis eine Nachricht zukommen, in winziger Schrift auf zwei zusammengeklebten Zigarettenpapieren geschrieben“. Der junge Mann war zu 15 Jahren Gefängnis wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ verurteilt worden und bat Rolf Zimmermann um Verständnis.

Viele der Euro-Children aber haben den ihnen in den Ferien neu eröffneten Horizont für Verständigung und Weltoffenheit genutzt, berichtete jetzt Bert Bous im Gespräch mit Marlen Jacobshagen: „Einer hat beispielsweise Europarecht studiert und arbeitet jetzt in Amsterdam. Ein anderer ist Rechtsanwalt geworden, wieder ein anderer Sozialarbeiter.“

Marlen Jacobshagen will im Herbst im Auftrag der irischen Botschaft in Berlin an die Aktion erinnern und sich vor allem noch einmal bei der Hilfe der Gasteltern bedanken.

Trist, Grau in Grau, weite kahle Flächen, omnipräsente gepanzerte Landrover: Belfast in den siebziger und achtziger Jahren.  | Foto: Bert Bous/DRK/pp/Agentur ProfiPress
Trist, Grau in Grau, weite kahle Flächen, omnipräsente gepanzerte Landrover: Belfast in den siebziger und achtziger Jahren.  | Foto: Bert Bous/DRK/pp/Agentur ProfiPress
Redakteur/in:

Lars Kindermann aus Rhein-Erft

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