Das Vergessen verhindern
„Überlebt zu Dritt“
Kreis Euskirchen - (me) Der Geschichtsverein des Kreises Euskirchen präsentiert Band 35
seiner Veröffentlichungsreihe: „Hilde Nathan: Überlebt zu Dritt
– Ein Augenzeugenbericht“.
Als Hilde Nathan zehn Jahre alt wurde, endete ihre unbeschwerte
Kindheit abrupt. Die Nationalsozialisten hatten 1933 in Deutschland
die Macht ergriffen, und für Juden änderte sich alles. Auch für die
kleine Hilde, die 1923 in Münstereifel geboren worden ist.
Aufgewachsen in bürgerlichen Verhältnissen in Münstereifel und
Euskirchen begann nun für die jüdische Familie Nathan eine Zeit der
Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung, die im Konzentrationslager
Theresienstadt enden sollte. Wie durch ein Wunder hat die Familie den
Holocaust überlebt, aber was sie in all den Schreckensjahren erlebt
hat, ist für heutige Verhältnisse unvorstellbar.
40 Jahre nach Kriegsende begann Hilde Nathan ihre Erinnerungen an die
NS-Zeit, ihr Über-leben und das ihrer Eltern Hugo Nathan und Emilie
im Ghetto Theresienstadt niederzuschreiben. Mit viel Glück, doch vor
allem durch das kluge Vorsehen der Mutter, konnte Familie Nathan
sowohl in Köln als auch in Theresienstadt mehrfach ihre Deportation
in den sicheren Tod verhindern.
Das bis dahin Unaussprechliche niederzuschreiben, glich für Hilde
Nathan im Alter einer Psy-chotherapie und machte sie zu einer relativ
objektiven, keinesfalls verhärmten oder ankla-genden Zeitzeugin. Bis
zum Jahr 2007 arbeitete sie daran, sich an so viele Details wie
möglich zu erinnern und zu Papier zu bringen. Entstanden sind so drei
Teile eines Zeitzeugnisses, ungefähr 300 Seiten, die sie betitelte:
„Überlebt zu Dritt. Ein Augenzeugenbericht.“
Dazu Landrat Markus Ramers: „Die Schilderungen Hilde Nathans sind
bewegend und er-schütternd. Sie sind eine Verpflichtung für uns
alle, die Erinnerung an diese schreckliche Zeit wachzuhalten und damit
ihrem Wunsch nachzukommen, dass das unendliche Leid jener Zeit nie in
Vergessenheit gerät.“ Das Zeitzeugnis führe dem Leser
eindrucksvoll vor Augen, was es bedeutet, ausgegrenzt, fast aller
Rechte beraubt, verfolgt und vernichtet zu werden, und dies nur auf
Grund einer ideologisch definierten „Rassenzugehörigkeit“.
Die Inhaftierung im Ghetto Theresienstadt, der dort erlittene Mangel,
Krankheiten, die stän-digen Ängste, der Kampf um das eigene
Überleben und das Überleben anderer, die immer-währende Gefahr,
hilflos in noch schlimmere Verhältnisse oder in den Tod geschickt zu
wer-den, haben das weitere Leben der Hilde Nathan bis an ihr
Lebensende geprägt. „Ihre Erinnerungen sind ein wichtiger Beitrag,
die tatsächlichen Verhältnisse im Ghetto Theresienstadt, über das
sich in der Erinnerungskultur der Nachkriegszeit lange Jahre der
Mythos des schönen Altersghettos erhalten hat, darzustellen“, sagt
Dr. Gabriele Rünger, die Vorsitzende des Kreis-Geschichtsvereins.
„Es ist eines der wenigen deutschsprachigen Zeitzeugnisse, das sich
mit dem Leben der Jugendlichen im Ghetto befasst.“ Die Historikerin
aus Bad Münstereifel hat über viele Jahre den Kontakt zu Hilde
Nathan aufrechterhalten.
Die Präsentation des Buches fand in der Gesamtschule Euskirchen
statt. Hier wird sich im kommenden Schuljahr der Projektkurs Q1 auf
der Basis des Buches intensiv mit den Themen Diskriminierung,
Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Juden während der NS-Zeit
beschäftigen und dabei auch aktuelle Bezüge in den Blick nehmen.
„Mit dem Projekt wollen wir eine Brücke zwischen Gestern und Heute
bauen und dabei die Lebensstationen von Hilde Nathan verfolgen“,
betont Geschichtslehrerin Kim Selbach. Schulleiter Thomas Müller
freute sich ebenfalls über die Initiative der Schülerinnen und
Schüler und begrüßte das Projekt: „Wir müssen das Vergessen
verhindern.“
Das Buch wird allen Mitgliedern des Geschichtsvereins in den nächsten
Tagen zugesandt. Darüber hinaus ist das Buch für 20 Euro im
regionalen Buchhandel und beim Verlag Ralf Liebe erhältlich.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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