Sally Perel spricht vor Schülern in Hürth
"Gebt die Wahrheit weiter"

Der 94-Jährige Sally Perel, der als Jude unter Nazis überlebte, sprach zu den Oberstufenschülern des Ernst-Mach-Gymnasiums. | Foto: Thiele-Effertz
  • Der 94-Jährige Sally Perel, der als Jude unter Nazis überlebte, sprach zu den Oberstufenschülern des Ernst-Mach-Gymnasiums.
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Hürth - Kein Geschichtsbuch, keine noch so gute Geschichtsstunde kann
bewirken, was der Bericht des 94-jährigen Salomon „Sally“ Perel
aus Israel vor den Oberstufenschülern des Ernst-Mach-Gymnasiums
geleistet hat. 90 Minuten sprach der Shoah-Überlebende, dessen
Biografie „Hitlerjunge Salomon“ weltweit bekannt wurde, zu den
Schülern. 90 Minuten, in denen die Stille in der Aula beeindruckend
greifbar war.

Sally Perel, der als Jugendlicher unter Nazis überlebt hatte, machte
auf seiner Lesetour Station in Hürth. Einen Tag zuvor war er bei
Stern TV zu Gast gewesen.

Perel wird am 21. April 1925 im niedersächsischen Peine als Kind
frommer Juden geboren. Als Drittklässler erleidet seine bis dahin
idyllische Kindheit eine tiefe Verletzung. Mit dem Inkrafttreten der
Nürnberger Gesetze im Jahr 1935 wird der kleine Sally der Grundschule
verwiesen. „Das traumatischste Erlebnis“, blickt Sally Perel
zurück.

Seine Familie siedelt ins polnische Lódz um. Als Sally 14 Jahre alt
ist, beschließen die Eltern ihn und seinen 30-jährigen Bruder nach
Ostpolen zu schicken. „Woher hatte meine Mutter die Kraft, mich aus
dem Haus zu schicken, wo sie wusste, dass sie mich nie wiedersieht?“
„Geh, du sollst leben“, gibt sie ihrem Kind mit auf den Weg. 

Sally ist 16 als er von der Wehrmacht während des Krieges gegen die
Sowjetunion verhaftet wird. Nach dem deutschen Überfall auf Polen ist
Sally in den sowjetischen Teil des Landes geflohen. Blitzschnell muss
der Junge entscheiden. Er gibt sich als Volksdeutscher namens Josef
Perjell aus und arbeitet als Übersetzer für die Wehrmacht. Der
Auftrag der Mutter „Du sollst leben“ hilft ihm die Entscheidung zu
treffen seine jüdische Identität zu verschleiern, ständig in der
Angst lebend, aufgrund seiner Beschneidung enttarnt zu werden. Und
tatsächlich wird seine Identität von einem homosexuellen Kameraden
aufgedeckt, der ihm versichert, ihn nicht zu verraten und das auch
nicht tut. „Der Drang zum Leben ist in jedem Menschen. Die
Erhaltungstriebe haben mich vollkommen überwältigt“, schildert
Perel. In seinem Körper existiere bis heute ein ewiges Tauziehen
zwischen Täter und Opfer. 

Später wird Perel nach Deutschland geholt, wo er auf die Akademie
für Jugendführung der Hitlerjugend in Braunschweig geht. „Es ist
gelungen, mein Gehirn zu vergiften, obwohl ich aus einer strengen
jüdischen Familie stamme“, gibt Sally Perel zu. 

Er habe angefangen, seine jüdische Herkunft zu hassen. Der Zeitgeist
habe ihn beeinflusst und überzeugt, nie aber die Rassenkunde und
Hetze gegen Juden.

„Es entstand in mir ein nicht wiedergutzumachender Schaden. Ich
schrie begeistert ‚Es lebe der Sieg‘, während meine
Glaubensbrüder vergast wurden“, schildert Perel seine
Zerrissenheit. Tagsüber sei er Nazi gewesen, nachts ein Jude.
„Meine Sehnsucht fand nur nachts statt. Da war ich im Ghetto in
Lódz bei Papa und Mama.“

Es sei eine menschliche Pflicht einmal im Leben Auschwitz zu besuchen,
appelliert Perel an die Schüler. „Auschwitz wurde zum Symbol der
schlimmsten Tragödie der Menschheit. Es war ein Selbstmord der
deutschen Kultur.“ Man könne es nicht abschütteln wie Staub vom
Mantel, es sei zu tief im Gewebe. Es gebe auch heute viele
Jugendliche, die alles leugnen. „Dass ihr heute hier seid, zeigt,
dass ihr euch weigert geschichtsfrei zu leben“, gab Perel
anerkennend an sein aufmerksames junges Publikum weiter. 

„Ihr seid ab jetzt Zeitzeugen. Ihr habt die volle Wahrheit aus
erster Quelle gehört. Bitte überliefert diese Wahrheit weiter. Damit
möchte ich euch beauftragen“, gibt Perel den Schülern mit auf den
Weg, besonders  vor dem Hintergrund aufkeimendem Rechstrucks. 

Eine bewegende Geschichsstunde für das Ernst-Mach-Gymnasium, dass
„Schule ohne Rassismus“ werden möchte. Im Januar wird es zu
dieser Thematik einen Projekttag geben. 

Sven Welter, Gitarrist der „Paveier“, Unterstützer der Initiative
#Wir sind Hürther und ehemaliger Schüler des Gymnasiums, hatte Sally
Perel vor dessen Vortrag begrüßt. „Es ist ein großes Glück,
einen Zeitzeugen erleben zu dürfen.“ 

Redakteur/in:

Martina Thiele-Effertz aus Hürth

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