Zeitreise in den Kölner Alltag
Ein Koffer Geld für eine Wurst
Die Inflation ist ein brandaktuelles Thema, jedoch war sie vor rund 100 Jahren ein noch viel größeres Problem, wie ein neues Buch von Dr. Werner Schäfke thematisiert. Wie haben die Kölner die Inflation damals erlebt?
von Priska Mielke
Köln. Als Dr. Werner Schäfke die Arbeit an seinem neuen Buch „Die Große Inflation 1914 bis 1924. Eine Kölner Geldgeschichte“ (ISBN 978-3-937795-70-6) begann, konnte er nicht wissen, dass es das Thema Geldentwertung wieder in die ersten Minuten der Tagesschau schaffen würde. Der ehemalige Direktor des Kölnischen Stadtmuseums hat sich mit diesem spannenden Kapitel Wirtschaftsgeschichte natürlich aus Kölner Sicht beschäftigt und vor allem nach Gegenständen und Geschichten gesucht, die vom Alltag der Menschen in dieser schwierigen Zeit erzählen. Besonders hellhörig dürften die Leser werden, wenn Schäfke die „Große Inflation“ als Folge des 1. Weltkrieges beschreibt, die in engem Zusammenhang mit der Kriegsfinanzierung stand.
Der Kölner Gewerkschaftssekretär und Ratsherr Peter Fröhlich (1901-1984) erinnerte sich, dass der täglich ausgezahlte Lohn irgendwann einen ganzen Koffer füllte. Als er mit dem Inhalt in eine Metzgerei ging, um ein Pfund Blutwurst zu kaufen, weigerte sich die Verkäuferin, das beinahe wertlose Papier zu zählen, und schenkte ihm die Wurst.
Noch deutlich schlimmer erging es der Kunsthistorikerin Louise Straus-Ernst, erste Ehefrau des berühmten Malers Max Ernst. Ihre üppige Mitgift, die ihr Vater ihr in bar ausgezahlt hatte, reichte gerade noch für ein Straßenbahnticket.
Während wir es im Augenblick mit einer Inflation von um die acht Prozent zu tun haben, überstieg die Teuerung im Juni und Juli 1923 100 Prozent, erreichte Mitte August über 200 Prozent und im November fast 600 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Preis für ein Kilo Graubrot sagenhafte 789 Milliarden Mark. Erst die Einführung der Rentenmark am 23. November 1923 machte dem Spuk der Hyperinflation ein Ende.
Die Inflation ließ allerdings nicht nur die Ersparnisse der Bevölkerung schmelzen wie Eis in der Sonne, sondern auch die Schulden der Stadt Köln. Großprojekte wie der Bau der Messe oder die Hafenanlage in Niehl ließen sich so problemlos finanzieren.
„Geschichte wiederholt sich (nicht)“, meinte Verleger Frank Tewes eindeutig zweideutig bei der Vorstellung des Buches und auch Autor Werner Schäfke ist überzeugt, dass es wichtig ist, sich mit den finanzpolitischen Entscheidungen von damals und ihren Folgen zu befassen und daraus zu lernen – ganz nebenbei ist „Die Große Inflation 1914 bis 1924“ auch ein sehr anschauliches Stück Stadthistorie, das verdeutlicht, wie Weltgeschichte und Lokalgeschichte miteinander verwoben sind.
Redakteur/in:EXPRESS - Die Woche - Redaktion aus Köln |
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