Seit sechs Monaten ist der Muezzin zu hören
Er ruft immer noch (... und fast keinen störts)
Viel Zuspruch, aber auch eine Menge Kritik, gab es im Vorfeld des Pilotprojektes „Muezzinruf“ im sonst doch so weltoffenen Köln. Bundesweit hatte das Thema hohe Wellen geschlagen. Das war vor einem halben Jahr – Zeit für ein Zwischenfazit ...
von Serkan Gürlek & Angelika Stahl
Ehrenfeld. Etliche Kamerateams und Reporter aus ganz Deutschland hatten sich vor gut einem halben Jahr, am 14. Oktober 2022, im Innenhof der Ehrenfelder Zentralmoschee versammelt, um dem ersten „öffentlichen“ Gebetsruf einer Moschee beizuwohnen.
Wer den Ruf aus einem muslimisch geprägten Land kennt, etwa aus dem Urlaub, der weiß, dass der Gesang des Muezzins fünf Mal am Tag laut von den Minaretten der Moscheen ertönt. In der Kölner Zentralmoschee steht der Muezzin jedoch nicht mehrmals täglich auf einem der beiden Minarette. In Ehrenfeld ertönt sein Ruf seit Oktober einmal wöchentlich zum Freitagsgebet, mittags für fünf Minuten. Er wird über zwei Lautsprecher in den Innenhof der Moschee übertragen.
„Die Lautstärke ist auf 60 Dezibel eingepegelt, der Verstärker und das Mischpult sind verplombt. Um die Auflagen der Stadt erfüllen zu können, waren ein schalltechnisches Gutachten und die Hilfe eines Ingenieurbüros erforderlich. Insgesamt haben wir rund 12 000 Euro in das Projekt investiert“, so der Direktor des MoscheeForums Murat Şahinarslan. Negative Rückmeldungen habe die Moschee bislang keine erhalten, so der Direktor. Die Stadt bestätigt dies und fügt hinzu, dass sich die Gemeinde an alle Auflagen halte.
Jedoch ist Şahinarslan seit Beginn der Gebetsrufe eine andere Veränderung aufgefallen: „Wurden vorher rund 50 kostenlose Moscheeführungen gebucht, ist die Zahl schlagartig um rund 30 Prozent gestiegen“, berichtet er. Viele kämen, um sich ein eigenes Bild von der Moschee zu machen. Die am Ende jeder Führung stattfindende offene Diskussionsrunde würde gerne genutzt und vielfach seien die Besucher einerseits von der Moschee und ihrer Architektur, aber auch vom melodischen Klang des Gebetsrufes positiv überrascht.
Im offenen Dialog möchte die Gemeinde auch mit den Anwohnern bleiben. Zum Ende des Pilotprojekts „Muezzinruf“ in anderthalb Jahren wolle man mit ihnen über die bisherigen Erfahrungen sprechen, bevor es zur Evaluierung des Pilotprojektes mit der Stadt gehe, so Şahinarslan. Ob eine Ausweitung auf andere Gebetszeiten oder die Anhebung der Lautstärke geplant ist, seien dann Themen für die abschließenden Gespräche mit der Stadt.
Wie laut sind 60 Dezibel eigentlich? Hört man den Gebetsruf direkt vor der Moschee auf dem Bürgersteig noch, wenn doch ein laufender Automotor im Stand schon rund 70 Dezibel hat? EXPRESS – Die Woche war vor Ort und hat genau hingehört: Wenn gerade kein Verkehr auf der Venloer Straße herrscht und man die Ohren spitzt, kann man den Gebetsruf leise hören. Sobald der Straßenverkehr wieder rollt, ist nichts mehr zu vernehmen. Ähnlich sah es der größte Teil von Passanten und Ehrenfeldern bei einer kurzen Straßenumfrage dieser Zeitung.
Dabei wurden vereinzelt auch negative Stimmen laut, die den Ruf ablehnten. Von diesen wollte jedoch niemand mit Namen genannt oder abgebildet werden.
„Wenn ich ehrlich bin, habe ich den Muezzinruf gerade zum ersten Mal bewusst gehört. Ich finde ihn nicht zu laut oder störend.“
Silvia, Köln
„Ich freue mich über den Muezzinruf. Ich wohne in Ehrenfeld und gehe selbst zum Freitagsgebet in die Moschee. Der Ruf des Muezzin mag vielleicht für andere störend wirken, mir gibt er das Gefühl von einem Stück Heimat. Außerdem ist er wesentlich leiser als etwa in der Türkei.“
Ege, Ehrenfeld
„Uns stört der Ruf des Muezzin nicht. Man hört ihn kaum. Er wird von der Geräuschkulisse des Straßenverkehrs übertönt. Zudem gibt es die Religionsfreiheit in Deutschland. In der einen Religion läuten am Sonntagmorgen kurz nach 9 Uhr die Glocken zur Messe und hier ruft am Freitagmittag der Muezzin zum Freitagsgebet. Für uns ist das ok.“
Joshua & Bernd, Köln
Wollen andere Kölner Moscheen nachziehen?
Laut der Stadt gibt es aktuell keine weiteren Moscheegemeinden, die Anträge für einen Muezzinruf eingereicht haben. Murat Şahinarslan, Direktor des Kölner MoscheeForums, weiß, warum die sechs anderen Ditib-Moscheen in Köln bisher kein Interesse bekundet haben: „Aufgrund der räumlichen Nähe zu den Nachbarn haben die Gemeinden entschieden, aus Rücksicht auf den Gebetsruf außerhalb der Moschee zu verzichten.“
Redakteur/in:EXPRESS - Die Woche - Redaktion aus Köln |
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