Jeder zahlt, soviel er kann und will
Insel moralischer Ökonomie

Theaterleiter Gerhard Seidel und Lena Brokinkel. | Foto: Priska Mielke

Das Freie Werkstatt Theater startet mit einem solidarischen Bezahlmodell in das neue Jahr.

von Priska Mielke

Köln. Noch ist das Publikum nicht wirklich zurück. Wie in vielen anderen Theatern hat man sich auch im Freien Werkstatt Theater (Zugweg 10) seine Gedanken darüber gemacht, wie man trotz Corona-Nachwirkungen, Inflation und Energiekrise wieder mehr Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten ins Theater locken könnte. „Wir müssen grundsätzlich umschalten“, war man sich schnell einig.
Bereits 2017 hat die Stadt Köln eine „Fast-Besucher-Studie“ durchgeführt, die Aufschluss darüber geben sollte, was Menschen sozusagen „auf den letzten Metern“ davon abhält, eine kulturelle Veranstaltung zu besuchen. Auch hier wurde der Ticketpreis als eine der wesentlichen Hürden identifiziert. Die Mission lautet also: Aus Fast-Besuchern Besucher machen.

Zunächst war ein „Pay what you want“-Modell ohne Preisstufen im Gespräch, wie es zum Beispiel das Theater Krefeld seit Ende September für ausgewählte Vorstellungen praktiziert. Das Stadttheater Hagen hat das erfolgreiche 9-Euro-Ticket von der Schiene an die Theaterkasse gebracht. Dort konnten Theaterfans und Neugierige drei Monate lang für neun Euro monatlich so viele Vorstellungen besuchen, wie sie wollten. „Theater bringt eine gewisse Entdeckerlust mit sich“, betont Lena Brokinkel, im FTW zuständig für die Zuschauerentwicklung, „die Leute sollen die Möglichkeit haben, Stücke auszuprobieren.“

Ab dem 1. Januar 2023 wird es im FWT nun ein solidarisches Preissystem mit fünf Preiskategorien geben: 6 Euro, 10 Euro, 16 Euro, 21 Euro und 30 Euro. Das Publikum ordnet sich selber ein – ein Nachweis wie Kölnpass oder Studierendenausweis wird nicht mehr verlangt. Die Preisstufen gelten für alle Veranstaltungen und die freie Platzwahl bleibt erhalten.

Natürlich besteht die Gefahr, dass auch diejenigen, die problemlos die „normalen“ Eintrittspreise zahlen könnten, die Chance nutzen, um sehr günstig ins Theater zu kommen. Doch auf diesen Einwand reagiert Lena Brokinkel mit entwaffnendem Optimismus. „Ich möchte mir den Funken Vertrauen bewahren“, sagt sie.
„Wir haben uns verschiedene Modelle angeschaut und uns für ein wertbasiertes Zahlsystem entschieden“, erklärt Theaterleiter Gerhard Seidel und ergänzt: „Es ist ein Balanceakt. Wir müssen sehen, dass wir auf dem Seil bleiben!“

Falls das Experiment mit dem Vertrauensvorschuss nicht funktioniert, soll es trotzdem nicht zurück zum alten System von Normalpreis und ermäßigtem Eintritt gehen. „Dann müssen wir modifizieren“, meint Gerhard Seidel. „Die Grundstimmung ist eine große Vorfreude“, fasst Lena Brokinkel die aktuelle Befindlichkeit im Team zusammen. Informationen zum neuen solidarischen Preissystem – und natürlich den aktuellen Spielplan – gibt es online unter fwt-koeln.de

Redakteur/in:

EXPRESS - Die Woche - Redaktion aus Köln

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