Mit Pinseln und Scannern
Letztes Blatt wird Mitte dieses Jahrhunderts gewendet

Kleine Schätze: Master-Restauratorin Kathrin Lehmer erstellt durch ein Partnerschaftsprogramm Vollrestaurierungen. Sie zeigt ein Mittelalterwerk aus dem Jahr 1388. Das Unikat zeigt Formeln, Urkunden und Statuten der Universität zu Köln. | Foto: König
  • Kleine Schätze: Master-Restauratorin Kathrin Lehmer erstellt durch ein Partnerschaftsprogramm Vollrestaurierungen. Sie zeigt ein Mittelalterwerk aus dem Jahr 1388. Das Unikat zeigt Formeln, Urkunden und Statuten der Universität zu Köln.
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Köln - (kg). Auffallend sind die unzähligen grauen Pappkisten, die im
Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum (RDZ) überall vorzufinden
sind: Entweder gestapelt auf Paletten, geöffnet auf Tischen,
gesammelt in Regalen, oder aufbewahrt in einem großen, langen Flur.
„Jede Kiste ist wie ein Weihnachtspaket. Sie wissen nicht, was sie
bekommen“, erklärte Archivchefin Dr. Bettina Schmidt-Czaia, die mit
rund 25 Vertretern gekommen war. Darunter die deutsche Fernseh- und
Zeitungspresse.

Das rege Interesse rührt vom Strafprozess her, der am 17. Januar
beginnt. Vor fast neun Jahren, am 3. März 2009 stürzte das Kölner
Stadtarchiv ein. Eine Katastrophe, bei der zwei Menschen starben, und
bei der die Historien aus dem Zusammenhang gerissen und miteinander
vermischt wurden. Bis zum 2. März 2019 muss das Gericht festgestellt
haben, wer Schuld hat. Ansonsten verjährt jede Tat.
Das Kölner Stadtarchiv beginnt im Jahr 922 und umfasst 30
Regalkilometer. Knapp Dreiviertel davon Akten, zudem 62.000 Urkunden,
eine halbe Million Fotografien, sowie 1.800 mittelalterliche und
frühzeitliche Handschriften; dazu noch 300.000 Karten, Pläne und
Plakate. Etwa drei Regalkilometer versanken im Grundwasser. Sie wurden
schockgefroren und in 668 Gitterboxen gelagert. Anschließend wurden
sie bei Minus 20 Grad vakuumgetrocknet.
„Das Archivgut ist teils schwer beschädigt, jedes Blatt muss vom
alkalischen Baustaub gereinigt werden“, schildert Schmidt-Czaia. Vor
den Augen des Zuhörers breitet sie eine wahre Sisyphusarbeit aus, die
mit Pinseln und Bürsten, aber auch mit Scannern ermöglicht, einzelne
Teile wie Puzzlestücke peu à peu zusammen zufügen. 30, 40  Jahre,
sagt die Archivchefin, dauere es, bis alles aufgearbeitet sein wird.
Von den damals 95 Prozent geretteter Archivalien bleibt jedoch ein
Teil im Ungewissen: „Die fünf Prozent, das wissen wir noch
nicht“, sagt Schmidt-Czaia. „Es ist schwer zu sagen, aus welchen
Beständen sie fehlen“.
Knapp dreizehn Prozent der 30 Regalkilometer wurden bisher gereinigt,
ein Großteil dieser mehr als 220.000 so genannten Bergungseinheiten
sei wieder als Original oder digital nutzbar. Das Personal des
Stadtarchivs wurde von ehemals 38 auf heute 200 aufgestockt. Die Stadt
geht von einem Einsturzschaden von 1,2 Milliarden Euro aus. In 2020
soll das neue Archiv am Eifelwall in Betrieb genommen werden.
Allerdings wird der Rückzug der Archivalien mindestens ein Jahr in
Anspruch nehmen. Das letzte Blatt Papier dürfte den Angaben
Schmidt-Czaias zufolge erst ab Mitte dieses Jahrhunderts gewendet
worden sein.

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RAG - Redaktion

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