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Auf Augenhöhe
Menschen am Rande der Gesellschaft

Dr. Gerd Bonse mit seinem Foto von Elvis | Foto: © Dirk Conrads
  • Dr. Gerd Bonse mit seinem Foto von Elvis
  • Foto: © Dirk Conrads
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Stammheim. (dc) Ali war für viele Jahre als "Plattenopa" der Pate der Obdachlosen auf der Kölner Domplatte und hatte für alle ein offenes Ohr und viele Ratschläge übrig. Manchmal gab es Großversammlungen um seinen Lagerplatz unweit des Römisch Germanischen Museums, den er lange mit seiner Lebensgefährtin Ramona teilte.
Für Ali (56) kam Ostern 2013 jede Hilfe zu spät. Er wurde auf dem Vorplatz zum Kölner Hauptbahnhof tot aufgefunden. Er war erfroren, seine neben ihm liegende Ramona konnte mit schweren Erfrierungen noch gerettet werden. Niemand hatte sich um Ali und Ramona gekümmert, weder das Bahnhofspersonal, noch die Sicherheitskräfte oder die vorbeilaufenden Passanten.

„Dieses Schicksal von Ali und seiner Ramona macht mich sehr traurig“ erzählt Dr. Gerd Bonse. Er kannte die beiden persönlich und hat sie mit seiner Fotokamera porträtiert. Dr. Gerd Bonse, Chemiker bei Bayer Leverkusen, kam durch seine vielen Dienstreisen zur Fotografie. Nach seiner Pensionierung wurde das Fotografieren zu seinem Hobby und Passion.

Gerd Bonse hatte schon immer ein Auge für besondere Situationen auf der Straße, die er mit seiner Kamera festhielt. Er entdeckte Köln für sich neu und Menschen faszinierten ihn schon immer. Bevor er seine Fotostory über die Menschen am Rande der Gesellschaft startete, suchte er erstmal das Vertrauen der Obdachlosen.
Wichtig war es ihm, die Obdachlosen nicht von oben herab zu betrachten, sondern sich mit ihnen lange zu unterhalten und zuzuhören.
Das ist überhaupt das Wesentlichste. „Für die Obdachlosen ist es wichtiger, dass man sich ihnen respektvoll nähert, sich unterhält und sie und ihre Probleme wirklich ernst nimmt, als ihnen eine Münze in den Becher zuwerfen“, erklärt Gerd Bonse.

Er begegnet den Obdachlosen stets auf Augenhöhe und dass zeigen die Fotos von Gerd Bonse. Respektvoll und sehr ausdrucksstark sind seine Porträts geworden. Vier Jahre hat er für seine Fotos gebraucht, die mittlerweile mehrfach veröffentlicht wurden und Preise bekamen.
Viele Geschichten hat er gehört und erlebt. Und sie haben Spuren bei ihm hinterlassen, wie Ali und seine Ramona.
Er sieht die Welt der Obdachlosen schon länger mit anderen Augen: „Der Beginn der Fotografie von Menschen am Rande der Gesellschaft begann durch einen Obdachlosen, der Bücher bei sich hatte. Ich war natürlich neugierig und fragte ihn, was er denn liest. Er hatte mehrere Spiegel-Bestseller dabei. Das überraschte und faszinierte mich, denn es entsprach überhaupt nicht dem Klischee, Obdachlose können und wissen nichts. Die liegen nur rum und betteln.“
Im Gespräch erfuhr Gerd Bonse die ganze Geschichte. Der Mann hatte Abitur, ging mit seiner Firma im Ausland leider pleite und fand in Deutschland keinen Anschluss.

Nach vielen Treffen nahm Gerd Bonse ihn mit in eine Bücherei. Er durfte sich dort ein Buch aussuchen. Der Obdachlose führte mit dem Inhaber ein intensives Gespräch über Belletristik. Als der Inhaber erfuhr, wen er vor sich hatte, war er äußerst überrascht und sagte zu Gerd Bonse, dass er sich selten so gut über Bücher unterhalten habe.

Ein weiteres Beispiel ist Elvis. Er lebt in seinem Wohnzimmer unter einer Kölner Brücke. Für sein Porträt hatte er sich extra schick gemacht und herausgeputzt und nichts dem Zufall überlassen.
Gerd Bonse hatte viele Termine mit ihm gemacht und meistens fühlte Elvis sich nicht bereit. „Das musste ich respektieren und habe gerne gewartet. Das ist ein Vertrauensbeweis ihm gegenüber“, sagt Gerd Bonse.

Gerd Bonse weiß zu berichten, dass die Zahl der obdachlosen Frauen zunimmt: „Das passiert meistens aus finanziellen Gründen. Ich kenne viele Frauen, die am Ende einer Ehe oder Beziehung ihr Leben nicht mehr alleine finanzieren konnten. Zu wenig Einkommen, um die Miete zu bezahlen. Das ist ein Teufelskreis und diese Frauen landen dann auf der Straße.“

Keine Wohnung, keine Arbeit, kein Einkommen, kein Konto. Das betrifft Männer wie Frauen. Ein Teufelskreis, der nicht leicht zu durchbrechen ist.
Ein weiteres Thema ist die sexuelle Gewalt gegenüber den obdachlosen Frauen. Dazu Gerd Bonse: „Deshalb kleiden sich viele Frauen auf der Straße wie Männer und nehmen deren Verhaltensweisen an, damit sie nicht direkt als Frau erkannt werden. Sie verstecken sich und tragen gerne Hüte, die tief ins Gesicht gezogen werden, dazu noch einen Mantel der ihre Körper verhüllt. Sie verlieren ihre weiblichen Attribute immer mehr.“

Es dauert nicht mehr lange und der nächste Winter ist da. Es beginnt für Obdachlosen eine harte Zeit. Nicht alle Menschen, die auf der Straße leben, suchen Asyl in entsprechenden Einrichtungen. Um die, die auch bei Minusgraden auf der Straße bleiben, kümmern sich in Köln die „Kältegänger".

Generell hat Köln bei den Obdachlosen einen sehr guten Ruf. Aber die gefährlichste Zeit für die Obdachlosen sind die Stunden nach Mitternacht bis in den frühen Morgen. Nicht selten gibt es Gewaltübergriffe betrunkener Jugendliche. Und die Menschen am Rande der Gesellschaft haben keine Lobby, sie müssen mit ihren Verletzungen alleine klarkommen.

Für den kommenden Winter hat Gerd Bonse einen Wusch: „Es wäre schön, wenn Passanten bei erheblichen Minusgraden einfach den Notruf wählen würden, sollten sie einen Obdachlosen irgendwo schlafend antreffen.“

LeserReporter/in:

Dirk Conrads aus Köln

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