Vom Vorzeigeprojekt zum Auslaufmodell?
Sorge in der Flüchtlingsarbeit: Rotstift bei Kölner Mindeststandards
2015 erreichte die weltweite Fluchtbewegung von mehr als 60 Millionen Menschen auch Deutschland. Etwa 1,1 Millionen Menschen stellen hier einen Antrag auf Asyl. In diesen Monaten zeigt sich die Zivilgesellschaft. Sie gleicht mit ehrenamtlichem Engagement aus, was die Politik zuvor jahrelang ignoriert hat. Auch die Stadt Köln reagiert zwei Jahre später. 2017 beschließt sie „Mindeststandards zur Flüchtlingsunterbringung“. Jetzt könnte dem erfolgreichen Projekt allerdings der Geldhahn abgedreht werden.
von Holger Bienert
Köln. Ein wesentlicher Bestandteil der Kölner Mindeststandards ist – neben der Unterbringung – die Organisation der ehrenamtlichen Arbeit, die sich den Geflüchteten widmet. Neben Geld, Kleidung oder anderer Unterstützung stellen viele Kölner auch ihre Zeit zur Verfügung. Zur besseren Vermittlung zwischen potenziellen Ehrenamtlern und den Bedürfnissen der Flüchtlings-Initiativen in den Veedeln finanziert die Stadt Köln seit 2018 insgesamt neun Lotsenpunkte aus dem städtischen Haushalt. Üppig besetzt sind diese Lotsenpunkte nicht: jeweils eine halbe Stelle bei freien Trägern, eine halbe Stelle in den Bürgerämtern, beim Forum für Willkommenskultur und dem Arbeitskreis muslimische Flüchtlingsarbeit.
Was sie eint, ist ihre Aufgabe. Konkret beraten diese Lotsenpunkte alle Bürger, die helfen wollen: welche Potenziale können eingebracht werden, welche Aufgaben entsprechen eigenen Neigungen und vor allem, wie lassen sich die Bedürfnisse der Initiativen im Veedel und das konkrete Hilfsangebot der Bürger zum Gewinn aller optimal und vor allem nachhaltig zusammenbringen. Eine klassische Win-win-Situation. Jetzt droht aus Sicht der Lotsenpunkte der GAU: Die bewilligten Teilzeitstellen, so die Befürchtung, könnten im anstehenden Haushalt der Stadt Köln eingespart werden.
Zerfall des Netzwerkes wäre für ehrenamtliche Arbeit eine Katastrophe.
„Diese Koordinationsstellen sind für die gesamte ehrenamtliche Arbeit wirklich neuralgische Punkte“, betont Caro Frank, Geschäftsführerin der Alten Feuerwache Köln. In dem Kulturzentrum an der Melchiorstraße befinden sich die Stellen für die Bezirke Nippes und Innenstadt. Vor einigen Wochen bekamen die Ehrenamtskoordinatoren aus allen Veedeln den Wink, dass die Weiterfinanzierung der Halbtagsstellen der Mindeststandards in allen Bezirken unsicher sei. Alle Dezernate wurden zu Sparvorschlägen aufgefordert. „Ich verstehe allerdings nicht, dass ausgerechnet an einem funktionierenden, eingespielten Netzwerk gespart werden soll, das so effektiv in der Flüchtlingsarbeit ist. Anfang des Jahres hieß es noch, dass die Stellen unbefristet werden. Und jetzt das Gegenteil. Dabei ist die Kölner DNA doch sozial. Mit den Mindeststandards wollte Köln bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen in der Unterbringung und Betreuung“, so Frank. Ihre Befürchtung: Ohne die Koordinierung könnten viele gute Absichten, in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit zu helfen, faktisch ins Leere laufen. Die Folge: Ehrenamtlich Engagierte würden nicht mehr alle wichtigen Infos erhalten und geflüchtete Menschen würden dadurch weniger Unterstützung erfahren, um sich beispielsweise auf Ämtern und im täglichen Leben zurechtzufinden. Das Gefühl der Isolation, so Frank, könnte sich verstärken: „Menschen würden dadurch noch mehr alleingelassen, als sie sich jetzt schon fühlen. Das wäre eine fatale Entwicklung. Wir wollen doch Engagierte stärken und nicht schwächen!“ Vor allem: Ist das Netzwerk erst einmal durch den Rotstift gekappt, sei es fraglich, ob es sich in dieser Form wieder zügig aufbauen ließe. Auch in den kommenden Jahren werden geflüchtete Menschen nach Köln kommen. Etwa 82 000 Euro betragen die Kosten im laufenden Haushalt für die beiden Halbtagsstellen für Nippes und Innenstadt, so Frank. Gemessen am Gesamtbudget von rund 5,8 Milliarden Euro eine geringe Summe, mit der aber enorm viel erreicht werden kann.
Der Haushalt für 2025 soll in der Sitzung des Stadtrates am 14. November eingebracht werden. Um der Forderung nach Erhalt der „Mindeststandards zur Flüchtlingsunterbringung“ Nachdruck zu verleihen, hat der Kölner Flüchtlingsrat an diesem Tag ab 8.30 Uhr eine Demonstration auf dem Theo-Burauen-Platz angekündigt.
Redakteur/in:EXPRESS - Die Woche - Redaktion aus Köln |
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