Unbekannte Zahl scharfer Bomben unter Köln
Stadt der Blindgänger
262 Luftangriffe und geschätzt 1,5 Millionen abgeworfene Bomben verwandelten Köln im Zweiten Weltkrieg in eine Trümmerlandschaft. Dabei ist jedoch längst nicht jede Bombe explodiert. Regelmäßig müssen auch heute noch Blindgänger beseitigt werden. Allerdings nagt der Zahn der Zeit an dem explosiven Material. Das Problem: Man kann sie nicht einfach im Erdreich verrotten lassen.
von Holger Bienert
Köln. Schätzungsweise zehn bis 15 Prozent der damals abgeworfenen Bomben detonierten nicht. Entschärfungen sind deshalb regelmäßige Ereignisse in Köln. Im vergangenen Jahr rückte der Kampfmittelbeseitigungsdienst (Kmbd) des Landes NRW annähernd 700 Mal im Regierungsbezirk Köln aus, weil ein Verdacht auf Fund von Kampfmitteln bestand. 2022 wurden im Stadtgebiet auf Baustellen und bei Sondierungen 30 Weltkriegsbomben entdeckt und unschädlich gemacht. Manche können nicht mehr entschärft und müssen kontrolliert gesprengt werden.
Wie viele Blindgänger noch im Erdreich der Domstadt liegen, lasse sich unmöglich schätzen, so eine Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf. Die jährlich relativ gleichbleibende Zahl der Funde lasse sich vor allem durch Baumaßnahmen erklären. Eine systematische Suche nach Kampfmitteln erfolge nur bei anstehenden Bauprojekten.
In Köln ist eine Überprüfung von Grundstücken auf Kampfmittel ein Teil des Baugenehmigungsverfahrens. Abhängig von der Größe des Areals kann diese Wochen und sogar Monate dauern. Spezialisten werten alte Luftaufnahmen aus, setzen Sonden ein und nehmen bei Bedarf Probebohrungen vor. Meist mit Erfolg. Blindgänger fanden sich in den vergangenen Jahren oft in Bezirken mit erhöhter Bauaktivität, wie etwa in Rodenkirchen und Lindenthal. Zuletzt wurde Anfang Februar eine britische Fünf-Zentner-Bombe in Lindenthal entschärft.
Und weitere Funde sind fast schon sicher. So steht bei Großprojekten wie der Parkstadt Süd oder dem ehemaligen Max-Becker-Areal in Ehrenfeld die Kampfmittelsondierung erst noch an, teilt die Stadt Köln auf Anfrage von EXPRESS – Die Woche mit.
Aber was ist mit den Blindgängern, die bisher nicht entdeckt wurden? Obwohl sie fast 80 Jahre im Erdreich liegen, sei es nicht zu erwarten, so die Einschätzung der Bezirksregierung Düsseldorf, dass diese in absehbarer Zeit verrotten würden. Hinzu kommt, dass die Fliegerbomben nichts an ihrer Sprengkraft eingebüßt haben. Die gute Nachricht ist: Solange die alten Bomben unbewegt im Erdreich bleiben, sei nicht damit zu rechnen, dass sie explodieren, so die Bezirksregierung. Die schlechte: Völlig ausschließen möchte sie das nicht.
Stefan Hansen, Geschäftsführer der Kampfmittelbeseitigung & Service GmbH (KMBS) aus Köln, stimmt dem zu. Dass ein Blindgänger im Erdreich irgendwann von selbst hochgehe, sei selten, aber möglich.
Warum das passiere, sei letztlich abhängig von einer Reihe unbekannter Faktoren, sagt Hansen: „Um welche Bauart handelt es sich bei der Bombe? Liegt sie eingeschlossen in der Erde? Wie ist der Materialverschleiß? Wie ist der Mechanismus des Zünders und sein Zustand? Ist er beispielsweise deformiert oder nicht?“ Laut dem Experten sei kein Blindgänger wie der andere.
Besonders wichtig sei die Frage, ob Sauerstoff an den Blindgänger gelangen kann und wie tief dessen Lage ist. „Ich habe schon erlebt, dass eine Bombe nur zwischen 50 und 80 Zentimeter tief lag, besonders in Köln und Umland“, erklärt der ehemalige Soldat. In solchen Fällen sei es dann lediglich eine Frage der Zeit, bis Erschütterungen oder auch das Absacken des Erdreichs eine Detonation auslösen könne. Selbstdetonationen in größeren Tiefen blieben jedoch meist unbemerkt, wendet der Kampfmittelbeseitiger ein. Und wenn etwas bemerkt werde, könne man es meist nicht einem Blindgänger zuordnen.
Hansen wünscht sich von der Stadt Köln dennoch eine systematische Sondierung des Stadtgebiets, die derzeit keine gängige Praxis sei. Bei jeder Form eines Tiefbaus, so sein Anliegen, müsse flächendeckend nach verbliebenen Kampfmitteln recherchiert werden. Das sei seiner Ansicht nach alleine schon aus Arbeitsschutzgründen notwendig und wäre auch umsetzbar, um anfallende Risiken zu minimieren – ähnlich wie es in seiner Heimatstadt Hamburg der Fall sei.
„Nicht immer können Luftbilder der Angriffe Aufschluss geben. Einfach aus dem Grund, weil sie nicht immer existieren und auch nicht alles wiedergeben können“, so Hansen. Baubegleitende Sondierungen durch Experten seien eine denkbare Alternative. Dass er dadurch jedoch irgendwann einmal arbeitslos werden könnte, erwarte er in naher Zukunft nicht. Einen Wunsch habe er dennoch: „Ich möchte gerne, dass meine Enkel aufwachsen, ohne dass es diese Altlasten im Boden gibt!“
Redakteur/in:EXPRESS - Die Woche - Redaktion aus Köln |
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