Grünes Hinterland der Amalfi-Küste
Vom späten Glück eines Vulkanausbruchs

Eine schmale, kurvenreiche Straße führt von der Küste hinauf ins Tramonti-Tal mit seinen vegetationsreichen Hängen: Von hier aus lassen sich mit dem öffentlichen Bus viele Ausflugsziele von Positano über Pompeji bis Salerno ansteuern. | Foto: Daniel Basler
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  • Eine schmale, kurvenreiche Straße führt von der Küste hinauf ins Tramonti-Tal mit seinen vegetationsreichen Hängen: Von hier aus lassen sich mit dem öffentlichen Bus viele Ausflugsziele von Positano über Pompeji bis Salerno ansteuern.
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Im malerischen Tal Tramonti: Umgeben von den Monti Lattari stößt man im Landesinneren der Amalfi-Küste auf eine einnehmende Landschaft, in der die Zeit einen anderen Takt hat, deren Bewohner den fruchtbaren Böden seit Jahrhunderten reiche Ernten entlocken und eine innige „Beziehung“ zu ihren bezaubernden Naturschätzen pflegen.

Wenn ich an die süditalienische Amalfi-Küste denke, kommen mir sofort Bilder von türkisfarbenem Wasser, pittoresken Häusern an steilen Klippen, spektakuläre Ausblicke und schmale, kurvenreiche Straßen in den Sinn. Doch inmitten dieses weltberühmten Panoramas am Golf von Salerno, fernab vom touristisch-quirligen Trubel, verbirgt sich ein Geheimnis: das über eine etwa sechs Kilometer lange Straße vom Hafenstädtchen Maiori zu erreichende Tal Tramonti ("tra monti" dt.: "zwischen Bergen"). Hier im Landesinneren, in den Monti Lattari, den Milchbergen, habe ich das kleine, idyllische Dorf Capitignano entdeckt, das sich wie ein verstecktes Juwel verstreut im oberen Teil des üppig grünen Talkessels erstreckt.

In Capitignano durfte ich die Familie Caso kennenlernen, die mit Leidenschaft und Hingabe ihr ländliches Hofgut, eine sogenannte Azienda Agricola, führt. Ihr Zuhause ist nicht nur ein Ort der Arbeit, sondern ein Schmelztiegel der Tradition und Gastfreundschaft. Claudio Caso, ein herzlicher junger Mann mit einem strahlenden Lächeln, empfängt mich auf der mit Weinranken überdachten Terrasse, während seine Mutter Raffaella in der Küche einheimische Spezialitäten zubereitet. Der Duft von frisch gebackenem Brot und aromatischem Olivenöl zieht durch die Luft und lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Die Familie Caso hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Produkte nachhaltig und mit viel Herzblut anzubauen. Ihre Felder sind ein Farbenmeer aus Zitronen-Hain mit übergroßen Limonen-Früchten, Beeten mit leuchtend roten Tomaten, ausladenden Kastanienbäumen und dem kostbaren Safran, der hier in mühevoller Handarbeit geerntet wird. Während ich mit Claudio durch den in einzelne Parzellen angelegten Garten schlendere, erklärt er mir, wie die Menschen hier seit Jahrhunderten leben und überleben – im Einklang mit der Natur und ihrer Umgebung.

„Wir haben das Glück in einem extrem fruchtbaren Gebiet zu wohnen“, sagt er mir gut gelaunt. „Die frische Bergluft, das milde Klima und die reichhaltige Vulkanerde, einst vom Vesuv vor fast 2000 Jahren hier abgelagert, schaffen die perfekten Bedingungen für unsere Produkte.“ Mit jeder Pflanzenart, die sie aussäen, wird das reiche kulturelle Erbe der Region fortgeführt. Claudio zeigt mir wie sie alte Anbaumethoden mit dem Konzept der Perma-Landwirtschaft, „das sich am Vorbild natürlicher Ökosysteme orientiert“, kombinieren, um das überlieferte Wissen zu bewahren und gleichzeitig die Erde zu schützen.

Am Abend setze ich mich mit der Familie an den Tisch, der liebevoll mit ihren unverfälscht zubereiteten Köstlichkeiten gedeckt ist, die wohlriechende Aromen verströmen: Ein Antipasti-Teller mit taufrischem Ricotta, angebratenem Gemüse wie Zucchini, Auberginen und Kürbis ist der Einstieg in den Gaumenschmaus. Frisch im Ofen gebackene Focaccia und herzhafter Käse sowie Wurst und Salami werden danach serviert – ein Feuerwerk des Geschmacks inmitten einer fast schon andächtig stimmenden Umgebung. Auch der selbstgemachte Wein schmeckt dazu bestens, der an den beiden Nebentischen gleichwohl bei den Gästen großen Zuspruch erfährt.

Es ist zu spüren, dass jeder Schluck und jeder Bissen mehr ist als ein delikates Abendmahl – es ist ein freudiges Geschehen, ein wohltuendes Gemeinschaftserlebnis, das mit herzlichen Gesprächen und viel Lachen ausgefüllt ist. Im Stillen denke ich mir, was für eine einträchtige Atmosphäre, wie eine mit Leidenschaft zubereitete Landküche Menschen zusammenbringen kann: Das frisch für uns kredenzte Zitronensorbet und die kleinen, mit Zitronencreme gefüllten, knusprigen Windbeutel setzen dem Ganzen noch die Krone auf. Und natürlich darf eine Kostprobe des bitter-süßen wie angenehm aromatischen Limoncellos, dem Likör-Klassiker aus Süditalien, hergestellt nach Hausrezept aus hochprozentigem Alkohol, Wasser, Zucker und den ätherischen Ölen der Zitronenschalen, nicht fehlen.

„Essen ist für uns mehr als nur Nahrung. Es ist ein Ausdruck unserer eingesessenen Lebensweise“, erklärt Claudio. „Wir möchten, dass unsere Gäste die Geschichten hinter unseren Gerichten kennenlernen.“ Diese Philosophie ist das Herzstück ihres etwas abseits vom Dorfzentrum gelegenen Agriturismo Il Tintore, das beschauliche Zimmer mit Blick auf die umliegenden, sanft wirkenden Berghügel bietet.

Die Casos sind nicht nur geschickte Landwirte, sondern auch wahre Pioniere des nachhaltigen Tourismus. Ihr Hof ist ein Paradies für Naturliebhaber, und sie laden Besucher ein, einen Blick in ihren Alltag zu werfen und viel Wissenswertes zur Fülle ihrer Feldfrüchte und der Haltung von einheimischen Nutztieren zu erfahren. All das zu erleben, war eine ungemeine Erfahrung, vor allem, wie es die Familie mit Zielstrebigkeit geschafft hat, als einzige in dieser Region den kostbaren Safran, eine Krokus-Art, anzubauen. Der edle Safran gedeiht auf den Feldern, die um den Hof der Cosas herumliegen, und ich durfte selbst miterleben, wie die feinen roten Fäden aus den hellvioletten Blüten gezogen wurden.

Es war eine meditative und fast heilige Tätigkeit, die die Verbundenheit der Familie mit ihrer Erde widerspiegelt. Safran ist hier eine absolute Rarität, und es ist kein Wunder, dass das Gewürz auf den Märkten von Amalfi und Ravello heiß begehrt und teuer ist. „Denn in jeder Blüte befinden sich nur drei Fäden des wertvollen Gewürzes. So kommt es, dass wir aus 150 bis 200 Safranblüten nur ein Gramm Safran gewinnen“, zeigt mir Claudio stolz ein prall gefülltes Gläschen ihres Luxusprodukts, „das je nach Qualität und Herkunft 2000 bis 7000 Euro pro Kilogramm kostet.“

Die Casos haben eine beeindruckende Nische im Bereich des Agritourismus aufgebaut. Sie bieten nicht nur Unterkunft in liebevoll renovierten alten Bauernhäusern, sondern auch Koch- und Pasta-Workshops an, in denen Besucher lernen können, wie man Limoncello herstellt oder Brot im traditionellen Steinofen backt. Doch mit Nostalgie hat dies nichts zu tun – im Gegenteil. Aus Überzeugung verknüpfen sie das Wissen der Vorfahren, der Erde ihre „Reichtümer“ zu entlocken, mit den Erkenntnissen der modernen Welt, insbesondere was die Agenda eines grünen, nachhaltigen Tourismus angeht.

Dieser wird in den einzelnen Orten des Tramonti-Tals immer mehr zu einer wachsenden Bewegung und zwar nach der Devise: Wer hierherkommt, begegnet nicht Glamour, sondern trifft auf Authentizität. Und die findet man reichlich – im Erleben wie die Menschen eine enge Verbindung zum Meer und den Bergen pflegen, wie sie im Rhythmus der Jahreszeiten leben und wie sie den Respekt vor der Natur praktizieren – und bei allem, was sie tun, zeigt sich dieses neue, alte Bewusstsein.

Für mich gestaltete sich der Aufenthalt bei der Familie Cosa zu mehr als nur reinen Urlaubstagen – sie entpuppten sich als eine Reise in das wahre Herz der Amalfi-Küste: Eingebettet in die Berg-Flanken der Monti Lattari lernt man in dem schluchtenartig zum Meer hin verlaufenden Tramonti-Tal – es erreicht Höhen von bis zu 1000 Meter – die wahre Bedeutung von Entschleunigung und Genuss kennen. Die Landschaft, das köstliche Essen und die Gastfreundschaft verschmelzen zu einer tiefen Erfahrung, die lange nachklingt.

Und während ich am Abend auf der Terrasse saß, den Blick über die in warmes Licht getauchten Hügel schweifen ließ und den Duft der Sfusato Amalfitano – so heißt die weltberühmte regionale Zitronensorte (sie gilt als die beste in Italien) –, einatmete, verstand ich, warum der gerade mal fünfzig Kilometer lange, fruchtbare Landstrich südlich der süditalienischen Metropole Neapel seit Jahrhunderten Reisende aus aller Welt in ihren Bann zieht.

Text / Fotos: Daniel Basler

Reiseinfos zu allen angesprochenen Punkten finden sich u.a. auf folgenden Internet-Seiten:
www.italia.it (Region Campania), www.distrettocostadamalfi.it, www.authenticamalficoast.it, www.costieraamalfitana.com, www.discovercampania.com, www.prolocotramonti.it und www.iltintorecostaamalfi.it

LeserReporter/in:

Daniel Basler aus Köln

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