40 Jahre Haus Schlesien
Ort der Erinnerung und Dokumentation an eine verlorene Heimat

Haus Schlesien in Heisterbacherrott als Erinnerungsort an die schlesische Kultur. | Foto: Haus Schlesien
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  • Haus Schlesien in Heisterbacherrott als Erinnerungsort an die schlesische Kultur.
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Heisterbacherrott -

Was die schlesische Identität ausmacht, stellt sich für einen
Außenstehenden zunächst als Zugehörigkeit zu einem einheitlichen
geografischen Raum dar. Dass Schlesien indes in vielfältigster Weise
wahrgenommen werden kann, hat einst schon der Dichter Johann Wolfgang
von Goethe auf seiner Schlesienreise in Worte gefasst. Er sei
unterwegs „in diesem zehnfach interessanten Lande“, schrieb er. Es
sei ein sonderbar schönes, sinnliches und begreifliches Ganzes“.
Das „zehnfach“ Interessante spielt an auf die Vielgestaltigkeit
der Region und die Unterschiedlichkeit der identitätsstiftenden
Begrifflichkeit. Wenn schon eine Region so vielschichtig ist, so ist
es auch die Deutung, wer sich als Schlesier identifiziert.

Schlesien liegt heute zum größten Teil in Polen. Ein kleiner Teil im
Westen von Niederschlesien gehört zu Deutschland, ein südlicher Teil
von Oberschlesien zu Tschechien. Während oder nach dem Zweiten
Weltkrieg mussten mehr als zwölf Millionen Menschen ihre Heimat in
den deutschen Ostgebieten verlassen. Sie mussten sich in einem zum
Teil stark zerstörten Deutschland zurecht finden und vor allem
lernen, mit Entwurzelung umzugehen. Auch die Erfahrungen und
Erinnerungen an die Flucht galt es zu verarbeiten. Umgekehrt stellte
die Aufnahme der großen Zahl an Vertriebenen Deutschland vor eine
immense Herausforderung, zumal das Land wirtschaftlich darnieder lag.
Spannungen zwischen Einheimischen und Neubürgern blieben nicht aus,
geschürt von Hunger, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Bestehende
Dorfgemeinschaften taten sich zum Teil schwer, mit dem fremden
Dialekt, mit anderen Sitten und Gebräuchen der Neuankömmlinge klar
zu kommen. Ihrerseits zeigten sich die Flüchtlinge fleißig und
willens, sich einzugliedern. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis die
Fremdheit auf beiden Seiten überwunden werden konnte.

Umso bedeutender ist es für die Betroffenen, die Erinnerungen an die
Kultur der verlorenen Heimat wachzuhalten und an die nachfolgenden
Generationen weiterzugeben. Im Jahr 1973 gründete sich deshalb der
gemeinnützige private Verein „Haus Schlesien“. 1978 konnte der
Verein den ehemaligen Fronhof in Heisterbacherrott, ein damals sehr
renovierungsbedürftiges Gebäudeensemble, von der Stadt Königswinter
erwerben. In den 1980er-Jahren wurde die gesamte Hofanlage aus
Spendenmitteln und mit tatkräftiger Unterstützung zahlreicher
schlesischer Gruppierungen restauriert. Es entstanden 40 Gästezimmer,
sowie Ausstellungs- und Seminarräume. Eine umfangreiche, gut
sortierte Bibliothek wurde eingerichtet und ein großes Museum in den
Folgejahren aufgebaut. Darin werden heute Kunsthandwerk,
landeskundliche Informationen und Sonderausstellungen präsentiert.
Ein Dokumentations- und Informationszentrum ist damit fest etabliert.
Aus der Scheune wurde der bis heute rege genutzte Eichendorffsaal.
Idyllisch angelegt ist auch der große Garten hinter dem Gebäude.

An die 1.000 Mitglieder hat der Verein heute. Das klingt viel, doch es
waren zu Spitzenzeiten bis zu 3.500 Mitglieder, erläuterte Nicole
Remig, Leiterin des Dokumentationszentrums. Das hat natürliche
Ursachen: „Die alten Schlesier sterben“, so Remig. Indes sei es
heute die Kinder- und Enkelgeneration, die sich bewusst für eine
Mitgliedschaft entscheiden würden. Wirtschaftlich in Gefahr sei der
Verein indes nicht, bekräftigt Professor Michael Pietsch, Präsident
des Vereins. Mit der ansässigen Gastronomie und dem Hotelbetrieb sei
der Erhalt es ehemaligen Fronhofs gesichert. Zudem flößen Bundes-
und Landesfördermittel. Weitere Modernisierungen sind geplant. Neben
der Sanierung der Hotelzimmer wird auch eine neue
Ausstellungskonzeption erarbeitet. Rund 20 Mitarbeiter sind
beschäftigt und kümmern sich um die Belange von Haus und Hof. „Wir
bilden auch Flüchtlinge aus“, betont Pietsch. Zwar sei die
Flüchtlingsgeschichte von Schlesiern und den heutigen Flüchtlingen
kaum vergleichbar, der Verlust der Heimat indes erzeuge ähnliche
Gefühle, sodass großes Verständnis für die Auszubildenden im
Verein herrsche.

Mit einem bunten Bühnenprogramm feierte der Verein nun das
40-jährige Jubiläum. Der Besucherandrang war immens. Die Bedeutung
der Gemeinsamkeit war deutlich spürbar, insbesondere bei den älteren
Besuchern. Indes, das zeigte sich ebenso deutlich, ist Haus Schlesien
mit einem breit gefächerten Kulturprogramm längst eine feste Größe
in Königswinter.

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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