Vorsicht, freilaufende Bücher!
Textpiratin Stefanie Boor will Lust auf Lesen machen

Die Literaturpädagogin Stefanie Boor möchte Lust auf Lesen machen. Dafür lässt sie regelmäßig Bücher frei. | Foto: Susanne Fern
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Widdersdorf - Lies doch mal ein gutes Buch! Diesen Satz hat bestimmt jeder schon
einmal gehört. Und nicht selten - zumindest innerlich - die Augen
verdreht. Das ist ein Satz, der auch bei Stefanie Boor für
Stirnrunzeln sorgt. Dabei hat es sich gerade die Literaturpädagogin
zur Aufgabe gemacht, Kinder und Jugendliche auf Bücher neugierig zu
machen.

„Ein gutes Buch? Das ist für jeden etwas anderes. Eltern sollten
nicht verzweifeln, wenn Kinder eher zum Comic greifen. Autorencomis,
sogenannte Graphic-Novels, umfassen auch schon einmal locker 800
Seiten und sind toll gezeichnet“, erklärt Boor. Bleiwüsten seien
eben nicht jedermanns Sache. Zudem könne man schnell den Überblick
beim Angebot verlieren. Bis zu 9.000 Kinder- und Jugendbücher
erscheinen jedes Jahr neu. Um Kinder auf das Lesen neugierig zu machen
und ihr Interesse zu wecken, müsse man entsprechende Wünsche
berücksichtigen. Das ist oft leichter gesagt als getan. Das wissen
Eltern, und auch Lehrer, nur allzu gut. Das gilt besonders bei Jungs.

Nur aus einem Buch vorlesen reiche nicht, meint Boor. Deshalb greift
die Literaturpädagogin auf bewährte Methoden zurück, um Leseneugier
zu wecken. Eine davon ist das Bücher-Casting. Eine Praxis, die Boor
gerne in Schulen anwendet, und da in Klassen, in denen viele Jungs
sind. Aktuell mache sie ein Casting mit sechs norwegischen Autoren. In
jeder Runde bekommen die Kinder Hinweise zur Geschichte. Und in jeder
Runde fällt ein Buch ´raus, bis schließlich die interessanteste
Geschichte übrig bleibt. „Die Kinder gucken am Ende in alle
Geschichten rein und nicht nur in den Sieger“, weiß Boor aus
Erfahrung. Natürlich habe sie es deutlich leichter als Lehrer: „Es
gibt kein richtig oder falsch, und ich gebe keine Noten.“

Eine ganz andere Methode praktiziert Boor seit Anfang April 2019: Sie
lässt Bücher frei. In unregelmäßigen Abständen stellt Boor unter
dem Banner der „Textpiraten“ ausgesuchte Kinder- und Jugendbücher
an belebten Plätzen zum Mitnehmen hin. Plätze, an denen Kinder und
Jugendliche anzutreffen sind, beispielsweise auf Spielplätzen, an
Bushaltestellen oder Schulen. Die Idee sei an sich nicht neu, räumt
Boor ein. Bookcrossing gebe es bereits seit 2001. Dabei werden Bücher
freigelassen, gelesen, bewertet und wieder freigelassen.

Die Geschichte von „Kamilla“ war das erste Exemplar, das Boor zum
internationalen Kinderbuchtag 2019 auf einem Spielplatz in Widdersdorf
frei ließ. „Als ich auf der Bank saß, etwas weiter neben mir stand
das Vorlesebuch, fuhr ein Junge mit seinem Tretroller immer wieder
heran. Als ich ging und mich später noch einmal umdrehte, hatte
Kamilla bereits einen neuen Besitzer.“ Über 14 Bücher hat Boor
seitdem freigelassen, die nun, so Boors Hoffnung, möglichst lange
umherreisen.

Anhand der Rückmeldungen auf der Homepage kann Boor den Weg der
freigelassenen Bücher mitverfolgen. Jedes Buch ist mit einer
Bookcrossing-ID versehen. Boor: „Das ist natürlich freiwillig. Die
Rückmeldungen sind bis jetzt aber alle durchweg positiv. Eine kam
sogar aus Belgien. Ich lasse nämlich nicht nur in Widdersdorf Bücher
frei. Das mache ich auch mal gerne während meiner Zugfahrten.“ Wann
immer Boor ein spannendes Buch aus einem Projekt übrig hat, geht es
also auf Reisen. Zudem ist sie Jury-Mitglied bei „BoysAndBooks“,
ein Projekt zur Leseförderungen von Jungen. „Die Bücher sollen
gelesen werden und nicht in meinem Bücherschrank verstauben.“

Ein paar Tipps, wie sich bei Kindern und Jugendlichen Interesse an
Büchern wecken lässt, hat sie auch. So könne mit dem Vorlesen gar
nicht früh genug angefangen werden. Babys mögen Stoffbücher, in
denen sie „blättern“ können. Mit zunehmendem Alter gehöre das
regelmäßige Vorlesen dazu, nicht nur als Abendritual vor dem
Einschlafen. Auch müssten Eltern mit gutem Beispiel vorangehen, das
Smartphone auch mal beiseite legen, und selbst zum Buch greifen.
Ältere Kinder könne man nach Ideen, Vorlieben und Wünschen fragen,
oder gemeinsam in Bibliotheken oder Buchgeschäften stöbern. Viele
Anregungen und Infos, welche Bücher gerade auf dem Markt sind, bieten
die Online-Plattformen wie „BoysAndBooks“, der „Leipziger
Lesekompass“, die „Stiftung Lesen“ und der „Deutsche
Jugendliteraturpreis“.

Mehr Infos zu den Projekten von Literaturpädagogin Stefanie Boor und
den Textpiraten gibt es unter
www.textpiraten.de oder bei
Facebook und Instagram.

- Holger Bienert

Die Literaturpädagogin Stefanie Boor möchte Lust auf Lesen machen. Dafür lässt sie regelmäßig Bücher frei. | Foto: Susanne Fern
Das Vorlesebuch „Kamilla“ stand nicht lange auf der Bank auf dem Spielplatz in Widdersdorf. Es wurde von einem Kinde mitgenommen und hoffentlich gelesen. | Foto: Boor
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