Subversive Kunst-Guerilla
Vor 15 Jahren wurde die Kunsthalle okkupiert
Lindenthal - Wenn die Bezirksbürgermeisterin einen Teil ihres eigenen Rathauses
besetzt, dann hat das etwas Subversives an sich.
Als 2003 das neue Bezirksrathaus an der Aachener Straße bezogen
wurde, sollten nicht nur Politik und Verwaltung mehr Raum finden,
sondern auch die Kunst in Lindenthal. Ursprünglich, so
Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker, sollte der Sitzungssaal
im siebten Stock zusätzlich als Raum für Ausstellungen oder Konzerte
genutzt werden. Die Begründung ist einleuchtend: „Mit 150.000
Einwohnern im Bezirk ist Lindenthal eigentlich eine Großstadt. Nur
eben eine ohne Kunsthalle.“
Unerwartet bot sich eine Gelegenheit, die Blömer-Frerker erfolgreich
beim Schopf packte. Ein Ladenlokal im Erdgeschoss des Bezirksrathauses
war ursprünglich für eine Gastronomie eingeplant. Nur wollte sich
partout kein Investor für das Objekt finden lassen. Deshalb
okkupierte Blömer-Frerker gemeinsam mit einem Künstler kurzerhand
den leer stehenden Raum. Die subversive Kunst-Guerilla klebte im Mai
2003 einfach den Schriftzug „Kunsthalle Lindenthal“ an den Raum
und widmete ihn kurzerhand um. „Wir haben einfach nur Fakten
geschaffen. Wären wir den vorgegebenen Weg durch die Instanzen
gegangen, wäre aus der Kunsthalle wahrscheinlich nichts geworden.“
Folglich konnte auch nicht mit öffentlichen Geldern in die
„Kunsthalle“ investiert werden. Seit ihren Anfängen 2003 befindet
sich die Halle quasi im Rohbau. Die Wände sind einfach verputzt, der
Boden besteht nur aus Betonestrich und an der nackten Decke verlaufen
neben Neonröhrenlampen noch Elektrokabel. Kurios: Gerade dieser
unfertig wirkende Raum habe eine große Anziehungskraft in der
Kunstszene, versichert Blömer-Frerker. „In diesem Ambiente, mit
seinen hohen Fenstern, haben die Künstler für ihre Arbeiten großen
Freiraum. Die Halle hat eher einen Werkstattcharakter.“ Der
Konzeptraum hat sich in den vergangenen Jahren als außerordentlich
erfolgreich erwiesen. Auch was das Zielpublikum betrifft. Es sei ihr
außerordentlich wichtig gewesen, so Blömer-Frerker, Bürgern ihre
„Schwellenangst“ zu nehmen, die sich eher weniger für Kunst
interessieren. Ausstellungen in der Kunsthalle sollten nicht Teil
einer Champagner- und Häppchen-Szene sein, sondern einladend wirken
für alle Bürger. Mit Erfolg. Die Zahl der ausstellenden Künstler
vermag Blömer-Freker nicht mehr genau zu erfassen. Viel präsenter
sind dagegen die kleinen Geschichten zu den Ausstellungen:
Generalkonsule, die den Ausstellungen und Künstlern ihre Aufwartung
machten, der Besuch des Oberhauptes der griechisch-orthodoxen Kirche
oder Kinder, die im ausliegenden Gästebuch nicht mit Lob und Kritik
sparten.
Dass die Kunst ihre Spuren hinterlässt und den Blickwinkel zu
verändern mag, egal wo und wie, sei schließlich das Ziel gewesen, so
die Initiatorin. Auch für die Künstler selber. „Vor einigen Jahren
stellte ein junger Maler seine Werke aus, der noch studierte. Seine
Eltern waren von seinen künstlerischen Ambitionen wohl weniger
angetan. Das änderte sich erst, als sie sahen, welche Wertschätzung
und Bewunderung seine Ausstellung weckte.“ Auch in der Halle hat die
Kunst im Laufe der Jahre ihre eigenen Spuren hinterlassen.
Überbleibsel von Ausstellungen, wie eine Lichterkette mit
Glühlampen, die eckige Holzverkleidung einer Säule oder kleine
Sockel, gehören jetzt zum Inventar.
Dass die Bezirksvertretung Lindenthal als Mäzen ganz unbürokratisch
Kunst fördert, hat sich längst herumgesprochen. Geeignete
Ausstellungsorte sind auch in einer Stadt wie Köln selten zu finden.
Geschätzte 500 Anfragen liegen mittlerweile vor. Hier die richtige
Auswahl zu treffen, ist auch für Blömer-Frerker und ihre beiden
Kuratorinnen Asuman Hasircioglu und Nuray Turan nicht immer einfach.
„Wenn sich mehrere Künstler zu einem Thema zusammenschließen, ist
uns das immer lieber“, räumt Blömer-Frerker offen ein.
Ob es Grenzen in der Kunst gebe? „Nur eine: Kunst darf nicht die
Würde des Menschen angreifen. Sonst darf sie alles.“ Auch in
Lindenthal. Und Befürchtungen, dass sich jetzt doch noch ein Investor
für die Gastronomie finden könne, hat Blömer-Frerker mittlerweile
nicht mehr. „Ich denke, dass sich durch die Erfolge der vergangenen
Jahre jetzt viele Mitstreiter finden würden, um die Kunsthalle zu
belassen.“
- Holger Bienert
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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