"Zum Glück ist der Scheiß vorbei"
Zeitzeugen erzählen Schülern vom Zweiten Weltkrieg

Die Zeitzeugen Hans Heller und Ingeborg Tober berichten den Schülern der Anna-Freud-Schule ihre Erlebnisse. | Foto: at
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Müngersdorf - (at) In der Bibliothek der inklusiven Anna-Freud-Schule, die als
einzige Förderschule in NRW Schüler mit Körperbehinderungen,
chronischen und psychosomatischen Erkrankungen die Möglichkeit zum
Abitur gibt, waren die Schüler geschockt über die Kriegserlebnisse
der beiden Zeitzeugen. Der Kontakt kam über die Zeitzeugenbörse
Köln zustande.

Anstatt Daten, Fakten und Zahlen aus Geschichtsbüchern, erfuhr die
13. Klasse des Geschichtszusatzkurses die Geschehnisse des Zweiten
Weltkriegs und der Nachkriegszeit ihrer Gäste direkt, von Angesicht
zu Angesicht.

Überrascht, dass ein Treffen über die Zeitzeugenbörse Köln so
schnell und unproblematisch ging, sammelten Isabella Rombey, Rumeysa
Cakir und Nicolas Uhrberg vorab die vielen Fragen ihrer Projektgruppe
und planten dieses besondere Ereignis, durch das sie auch moderierten.
Die 91-jährige Ingeborg Tober, geboren in Köln, und der 90-jährige
Hans Heller, geboren in Magdeburg, beantworteten viele Fragen zum
Frontalunterricht mit Bestrafungen und Schlägen ihrer Schulzeit, der
verloren gegangenen Jugend, Verfolgung von Minderheiten aber auch dem
Widerstand und der späteren Entnazifizierung.

Von dem ehemaligen Wehrmachtssoldaten Heller, der bei der Flugabwehr
und an der Front in Italien kämpfte und zwei Jahre in Gefangenschaft
lebte, erfuhren sie, dass Hitler gar nicht die erste Autobahn baute.
„Die allererste Autobahn war die Autobahn Köln/ Bonn, und zwar
unter Adenauer. Hitler nannte sie nur eine einfache Straße, baute
diese aber dann exakt überall unter dem Namen Autobahn und auf Pump
nach“, stellte er richtig.

Die ehemalige Luftwaffen-Sanitäterin Tober, die an der Front in
Hürtgenwald war, erzählte von ihrer ausgebombten Schule, ihrem
ausgebombten Zuhause, dem komplett ausgebombten Köln und erinnerte
sich an die Anfänge, als das Kruzifix gegen ein Bild von Hitler
eingetauscht wurde. Beim Hitlergruß machte die Sportbegeisterte, die
beim Bund Deutscher Mädel war, parallel mit der anderen Hand eine
Faust zwischen den Falten ihres Faltenrocks. Die beiden verloren viele
jüdische Freunde und wurden Zeuge, wie auch NS-Kritiker und Helden
aus ihrem Umfeld einfach „verschwanden“.

„Zum Glück ist der Scheiß vorbei“, sagte die 91-Jährige
rückblickend auf diese prägende Zeit. Beide können nicht begreifen,
dass es nach alledem noch Menschen gibt, die rechtsextrem wählen.
„Das können nur Protestwähler und Personen sein, die diese Zeit
nicht durchmachen mussten!“ Persönliche Fotos aus dieser Zeit, die
von Armut, Hunger, Angst, Qual und Tod geprägt war, ließen sie unter
den Schülern herumgehen.

„Wir hatten jetzt so lange Frieden. Hoffentlich bleibt es so“, kam
es bittend aus beiden voller Inbrunst heraus.

Die Schüler waren sich einig: Bücher, Filme, Dokumentationen können
diese Art des Unterrichts nicht ersetzen. Das emotionale Gespräch hat
sich bei ihnen eingebrannt und wird nicht vergessen. Ergriffen
verabschiedeten sie sich mit Blumensträußen bei ihren Zeitzeugen,
die sie eigentlich gar nicht gehen lassen wollten.

Dass es die Homepage der Zeitzeugenbörse Köln noch gibt, ist der
Verdienst von Frau Tober. Sie hat gegen die Absetzung der Seite
protestiert und bezahlt die Gebühren des Web-Auftritts selbst. Über
neue Anfragen freuen sich die ehrenamtlichen Zeitzeugen. Die
Zeitzeugen haben viel mehr zu berichten, als es Anfragen gäbe.
„Jeder hat seine eigene Geschichte, jeder hat etwas anderes erlebt,
kann etwas anderes erzählen“, so Tober. Mehr Infos unter
www.zeitzeugenboerse-koeln.de

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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