Lit.Eifel 2016
Das etwas andere Familientreffen
Netetrsheim - (pp). „Eigentlich habe ich rund 40 Jahre an diesem Buch
geschrieben“, gestand Autor Ulrich Land am Ende seiner Lesung im
Literaturhaus Nettersheim. Die ersten Manuskripte von „Michel B.
verzettelt sich“, einer fiktiven Biographie von Ulrich Lands
Großvater Michel Becker, verarbeitete der Autor noch auf einer
„Erika“-Schreibmaschine, die, ebenso wie die Dokumente aus Michael
Bs Leben, ein Geschenk seiner Eltern war.
Sein neuester Roman, aus dem er an diesem Abend zum ersten Mal las,
ist eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion. „Wenn ich etwas
nicht wusste, habe ich es dazu erfunden“, erklärte der Autor seiner
ziemlich genau 40 Köpfe zählenden, interessiert lauschenden
Zuhörerschaft bei der Lit.Eifel-Premierenlesung.
Darunter befanden sich einige Familienmitglieder und Engelgauer
Nachbarn, die sich nicht nur für den sich widersprechenden
Lebenswandel von Ulrich Lands Großvaters Michel Becker zwischen
Katholizismus und Ehebruch interessierten, sondern ebenso für die
Ausstellung von Bildern und Dokumenten des Heimatforschers Wolfgang
Rößler über die Gemeinde Engelgau zwischen 1932 und 1943.
In seiner Zeit war Michel Becker im Rheinland kein Unbekannter.
„Kaum einer seiner Romane, und die bringen es immerhin auf gut einen
Regalmeter, blieb unter einer Auflage von 10.000 Stück“, so Ulrich
Land, der Enkel Michel Beckers. Sein Großvater, der von 1895 bis 1948
lebte, war einer der radikalsten Vertreter des rheinischen
Katholizismus – zumindest in seinen Werken. Die Wirklichkeit des
Schriftstellers, der viele Jahre in Engelgau bei Nettersheim wohnte,
sah freilich anders aus.
„Pünktlich um 11 Uhr ließ er den Bleistift fallen, um
anschließend ins Wirtshaus zu eilen oder sich um die Damen im Ort zu
kümmern“, erklärt der Autor. In präziser Regelmäßigkeit wurden
von ihm alle religiösen Maxime über Bord geworfen und Käthe B., die
Großmutter von Ulrich Land, musste schon früh erkennen, dass sie
nicht die einzige war.
„Oft ließ er seine Frau tagelang ohne jede Nachricht warten und
vernaschte währenddessen das ein oder andere Bauernmädchen“,
führte der Autor aus.
Ulrich Land, der als freier und mehrfach preisgekrönter Autor in
Freiburg lebt, bekommt viele Jahre später immer wieder
widersprüchliche Geschichten über seinen Großvater aufgetischt. Er
begibt sich auf die Spurensuche nach seinem Vorfahren, von dem vor
allem ein Bild in der Familienchronik hängen geblieben ist: Das
schwarze Schaf.
Die einzelnen Episoden, die Land an diesem Abend bei der „Lit.Eifel
2016“ vor dem inneren Auge heraufbeschwor, ließen förmlich
spüren, wie schwer all diese Geschehnisse und Ausschweifungen Michel
Bs für seine Familie gewesen sein müssen.
Diese Auswirkungen sind für die Familienmitglieder bis heute
spürbar. Teile der Familie lernten sich erst an dem Abend im
Nettersheimer Literaturhaus kennen, und seine Nachfahren in zweiter
und dritter Generation, inklusive des Autors selbst, werden bis heute
von einer fast neurotischen Angst vor Schulden gebeutelt.
Ulrich Land verstand es mit seiner ausdrucksstarken Erzählweise
grandios, das Publikum mitzunehmen in die Zeit von Michel Becker und
man fühlt sich an diesem Abend so manches mal hin- und hergerissen
zwischen Faszination und Empörung, wenn Ulrich Land vom „Laacher
Fenstersturz“ oder „tragischen Geschehnissen auf dem
Scheißhaus“ berichtete.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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